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--- Der alte Dreck

Kenon - 13.01.2022 um 23:02 Uhr

Es ist nicht immer angenehm, etwas abgestandene, selbstverfasste Texte zu lesen, manchmal sogar peinlich bis schmerzhaft: Ja, da ist er, der alte Dreck – und es ist doch das beste, was man zur jeweiligen Zeit von sich gegeben hat, nur hält es den heutigen Kriterien, die man bei der Bewertung anlegt, nicht mehr stand. Was kann man machen? Das Zeug ignorieren, sich verkriechen und verstummen, sich “professionell” dazu bekennen und doch froh über den gewonnenen Abstand sein? Ich meine, dass ich eine gute, geradezu fortschrittliche Methode für mich selbst gefunden habe:

Ich werfe dem alten Dreck einfach jede Menge neuen hinterher.




ArnoAbendschoen - 13.01.2022 um 23:27 Uhr

Umarbeiten! Wobei Ausmaß und Methode sich aus den erkannten Mängeln ergeben müssten. Man kann sich dieser Arbeit sogar mit verschiedenen Graden von Leidenschaft hingeben, von trotziger Verbissenheit bis zu wahrem Feuereifer. Man denke an Bildende Künstler, die an einer Plastik aus formbarem Material arbeiten. Ich kenne kaum Befriedigenderes als solches Streben nach etwas Gelungenerem.



Kenon - 14.01.2022 um 00:12 Uhr

Ja, das Umarbeiten ist eine Option, aber nichts, was mir wirklich Freude bereitet:
Kleine Schnitzer bessere ich sicher noch gern aus, aber was ich einmal geschrieben habe, arbeite ich nur widerstrebend um, weil dabei auch immer etwas verloren geht, was mir eigentlich einmal wichtig war – vielleicht erinnere ich mich später nur nicht mehr daran. Ich merke es ja gerade bei Texten, die ich in eine druckfertige Form bringen möchte, und sie sind nicht älter als fünf Monate: Es ist nicht meine Passion, nachträglich zu feilen, wegzunehmen, hinzuzufügen, also umzugestalten; lieber schreibe ich an einem Abend fünf neue Texte, als einen älteren “postnatal” in den Zustand des Gelungeneren zu treiben – vielleicht ist es ja wieder nur ein Irrtum, was ich gerade für gelungener halte? Zielführend ist es in dem gerade angesprochenen Fall sicherlich nicht – andererseits freut sich (nach BrunO Zacke) auch (ausnahmslos?) jeder Text darüber, dass er es geschafft hat, geschrieben worden zu sein.




Itzikuo_Peng - 14.01.2022 um 05:30 Uhr

Zitat:

Umarbeiten!
Ja.

Mache ich öfter inzwischen, nachdem ich gemerkt habe, dass mich nicht der Blitz trifft, wenn ich einen meiner Texte aus zB 2006 aufrufe. Kein vermeintlich fertiger Text ist mir da heilig. Wobei es bei Änderungen Jahre oder Jahrzehnte später gar nicht mal darum geht, Fehler zu korrigieren, sondern um Stilistisches. Kurz und knapp versucht zu beschreiben: Nach Intensivierung des Schreibens in ca. 2004 (und Öffnung zur Öffentlichkeit hin) schrieb ich zunächst „normale“ Sätze (Kurzgeschichten, Gedichte). Irgendwann 2008 meinte ich, speziell Gedichte irgendwie bis zur (inhaltlichen) Unverständlichkeit umformulieren und verkünsteln zu müssen (plus formal Kleinschrift ohne Umlaute), was ich dann auch tat. (Nebenbemerkung: das sind Geschmackssachen, auch. Beim Einsenden an Lit.-Zeitschriften und Anthologien meine Erfahrung: was dem einen gefällt, lehnt die andere ab [Binsenweisheit, klar]). Dann vor drei oder vier Jahren dieses als nicht mehr passend empfunden und – vor allem nach Lektüre von Tranströmer, Louise Glück und anderen – zurückgekehrt zu Schlichtem, Reduziertem, weitgehend Klarem. Besonders die Lektüre von Tranströmers Gedichten ist mir ein Aha-Erlebnis gewesen:

„Der Fernlaster mit Anhänger kriecht durch den Nebel
und ist ein großer Schatten der Libellenlarve,
die sich im Schlamm auf dem Grunde des Sees bewegt.“ (Tranströmer – Verkehr)

Das hat mich überzeugt. Das gefällt mir.

Ich heute so:
https://www.versalia.de/profil/Oktoberskizze.4433.2.html

Aktuell bin ich, passend zum Thema, in der Tat dabei, ab 2006 Altes, am Rande der Hauptstraße von mir selbst lange Vergessenes durchzugehen, anzupassen, bisher nicht Veröffentlichtes mal als Buch zu konzipieren und dann mal gucken, ob evtl. edit. Und zwar, hab´s öfter schon tituliert, ausdrücklich und ohne Verlagssuche bei BoD. Da redet mir niemand rein und it´s my private party and I like it.

Mein persönliches Lieblingsgedicht von mir selbst:

Das Reh

Reh
kommt aus Wald
rupft Gras.
Geht wieder.

Die Sonne scheint.

-

In diesem Sinne,
freie Tinte für alle.




Itzikuo_Peng - 14.01.2022 um 05:57 Uhr

Arbeitstitel für "den alten Dreck" in evtl. Buchform:

Der Wiedehopf auf dem Schrottplatz

:)

Da berühren sich dann Kenons Beitragstitel und meine aktuellen Tätigkeiten.

Und dass mir jetzt keines den Titel klaut! Ich wollt´s nur gesagt haben ...




Kenon - 14.01.2022 um 20:31 Uhr

Zitat:

und – vor allem nach Lektüre von Tranströmer, Louise Glück und anderen – zurückgekehrt zu Schlichtem, Reduziertem, weitgehend Klarem.

Ja, die Einfachheit … Wieviel kann man weglassen? Wie gewöhnlich dürfen die Wörter, Formulierungen werden, damit es noch als ein Gedicht durchgeht? Bei wem überhaupt – wer ordnet es ein? Zuerst sicherlich der Verfasser, der entscheidet, ob ein Text bloß in der Schublade oder gar im Papierkorb landet oder einer Leserschaft angeboten wird.

Ich diene bei diesem Thema ebenfalls gern mit einem jüngeren Beispiel:
Das war es (Gedicht)

Zitat:

Der Wiedehopf auf dem Schrottplatz

Ein netter Titel. Wer sollte ihn stehlen? Die verkünstelte Version könnte “Der Wiedehott auf dem Schropfplatz” lauten. Vielleicht gut für die Hardcover-Ausgabe?




ArnoAbendschoen - 15.01.2022 um 00:04 Uhr

Als Prosa-Autor muss ich einsehen, dass Umarbeiten bei Lyrik differenziert zu betrachten ist. Die beiden von den geschätzten Kollegen zuletzt verlinkten Beispiele zeigen die Spannweite auf. Bei der "Oktoberskizze" kann ich mir gut vorstellen, dass sie der Autor nach Jahren sich noch einmal und dabei Änderungen vornimmt. Nicht, dass mich irgendetwas daran nicht überzeugt hätte, ein Gedicht mit dieser Struktur bietet von vornherein viel mehr Ansatzpunkte für Varianten. Anders das so knappe "Das war es". Was sollte man daran in zehn Jahren ändern können, um es noch wirkungsvoller zu machen? (Es hat mich auch inhaltlich angesprochen durch diesen letzten Blick auf einen für immer Entschwundenen. Die Formel "Das war es" am Schluss hat vielleicht auch etwas von Magie, nicht nur von Resignation.)

Im Grunde sieht es bei Prosa nicht viel anders aus. Je knapper formuliert, desto geringer die späteren Korrekturmöglichkeiten. Nur bei ausdifferenzierten Texten, zumal in größeren Zusammenhängen, hat der Lektor seiner selbst später leichtes Spiel. Meine Praxis besteht vor allem im Umarbeiten von Auszügen aus Romanen.




Itzikuo_Peng - 15.01.2022 um 04:59 Uhr

Zitat:

Wie gewöhnlich dürfen die Wörter, Formulierungen werden, damit es noch als ein Gedicht durchgeht? Bei wem überhaupt – wer ordnet es ein?

Mir ist das egal, sowohl als Leser als auch als Schreiber. Einteilung war gestern. Gehe selbst auch nicht vorsätzlich an einen zu schreibenden Text ran, sondern lasse lieber laufen. In eigenen Büchern selbst auch alles kreuz und quer, bis hin zu lose eingeworfenen Sätzen und Geschichten-Fragmenten etc. Vermutlich absolut nicht jedes Sache.

Zitat:

Ich diene bei diesem Thema ebenfalls gern mit einem jüngeren Beispiel:
Das war es (Gedicht)
Gefällt mir.

Zitat:

Die verkünstelte Version könnte “Der Wiedehott auf dem Schropfplatz” lauten. Vielleicht gut für die Hardcover-Ausgabe?
Sehr schön. :)

Zitat:

Bei der "Oktoberskizze" kann ich mir gut vorstellen, dass sie der Autor nach Jahren sich noch einmal und dabei Änderungen vornimmt.
Oder vll. als Mitmach-Text abdrucken? "Wie würden Sie umschreiben?" Freien Platz lassen und E-Mail-Addy angeben oder son Schabernack.
Zitat:

Nicht, dass mich irgendetwas daran nicht überzeugt hätte,
Danke.

Das Feld ist unendlich. Gedichte im Roman (Pynchon), Längeres mit Fußnoten spicken als Ergänzung (DF Wallace), Erzählung in der Erzählung in der Erzählung (ich), usw. Das ist mir SO EIN FEZ, die Spielerei mit einfach allem, was man aus Buchstaben machen kann, und dann aber in Buchform. Vll. konnte ich etwas klar machen, warum ich selbst meine Bücher verbreche. Und: E-Books, nein, danke. Je nach Reader meine Erfahrungen schlecht von wegen Format-Verhauung. Da bin ich Pedant. Das, wie immer, in Kürze, weil eigentlich schreibe ich gar nicht gerne über das Schreiben Punkt Punkt Punkt




Kenon - 16.01.2022 um 09:36 Uhr

Zitat:

Das, wie immer, in Kürze, weil eigentlich schreibe ich gar nicht gerne über das Schreiben Punkt Punkt Punkt

Ich schreibe ganz gern über das Schreiben, und auch, wie ich über das Schreiben schreibe. Dann hört es allerdings auf.

Danke noch für die Rückmeldungen zu meinem Text.




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