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-- Literaturgeschichte & -theorie
--- Ich baue Kartenhäuser

Kenon - 23.11.2021 um 22:00 Uhr

Meine Texte sind meist wie Kartenhäuser: Voller Übermut und Freude gebaut, dabei regelmäßig doch sehr einseitig, oberflächlich und obendrein in maßlosem Schwarz maßlos angemalt. Wie bei allen Kartenhäusern reicht es, hier oder da eine Karte zu berühren, reicht der zarteste Windhauch, damit alles zusammenstürzt; aber das macht mir gar nichts: Ich bin der Sisyphos des Kartenhausbaus. Etwas anderes kann und mag ich nicht sein, die Vergeblichkeit ist in Wahrheit meine Bestimmung, mein Paradies. Stürzt ein Haus ein, dann schaue ich nicht auf die Trümmer sondern nach vorn (wo immer das sein mag) und erschaffe in einem inspirierten Moment das nächste klägliche Gebäude, damit ihm dasselbe Schicksal widerfahre. Oft sind meine Texte auch wie verwunschene Blumen, die ich in meiner Hand für ein buntes Sträußlein halte, überreiche ich sie jedoch jemandem, dann offenbaren sie sofort, dass sie eigentlich nur welke, modrige Stengel sind. Stell Du sie gern trotzdem in eine Vase oder wirf sie einfach weg. Wie auch immer Du entscheidest: Alles ist gut.

Ich habe – nach gewissen Kriterien bewertet – im Lauf der Jahre schon einige unverantwortliche Texte geschrieben, ein paar wenige tatsächlich mit dem Wunsch, dass Leser ihnen widersprechen mögen. Das mag für einen Autoren keine besonders kluge Strategie sein – aber was soll es. Natürlich ist jedes zusammengestürzte Kartenhaus irgendwie auch eine Anklage, die einen verfolgt, sind die zusammengestürzten Kartenhäuser eine Anhäufung von Anklagen, und manchmal sind mir Texte nach meinen aktuell gültigen Kriterien einfach wirklich nur missraten – Metaphern hin oder her.




ArnoAbendschoen - 23.11.2021 um 23:13 Uhr

Du bringst den Leser hier in eine missliche Lage. Schweigt er zu diesem Text, könnte das fälschlich als Zustimmung aufgefasst werden. Widerspricht er, setzt er sich dem Verdacht der Unaufrichtigkeit aus. Ich versuche es mal so: Als Vexierbild finde ich dein Selbstporträt als Autor recht erheiternd.

Im Ernst: Eine Tendenz zu gelegentlich starker Subjektivität ist in einem Literaturforum an sich noch kein Mangel. Und vielleicht ist das Gegenteil - Bemühen um Objektivität - manchmal auch maskierte Subjektivität.




Kenon - 23.11.2021 um 23:40 Uhr

Auch ich würde mich in eine missliche Lage begeben, wollte ich hier antworten …

Nur soviel: Natürlich ist der obige Text unernster Ernst als auch ernster Unernst – ein Text, den ich nun seit über 20 Jahren immer wieder schreibe; oder, um es mit den Worten eines halbwegs populären Musikers zu sagen: “Das ist das Lied, das ich mein ganzes Leben schon singe”.

Mit Objektivität tun wir uns Subjekte wirklich schwer. Auch wenn wir nicht “ich” sagen, verschwindet das Ich nicht; allerdings hatte ich tatsächlich in Erwägung gezogen, den Text in “Sonstiges” einzustellen, habe es jedoch in der jüngeren Vergangenheit mit anderen Texten auch schon lockerer gehandhabt ...




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