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-- Rezensionen
--- Zwei Erzählungen von Hans Keilson
ArnoAbendschoen - 01.11.2021 um 12:01 Uhr
Als der S. Fischer Verlag 2005 eine zweibändige Ausgabe der Werke von Hans Keilson zusammenstellte, wies er dem relativ schmalen belletristischen Teil den ersten Band zu. Hier finden sich neben den beiden Romanen noch zwei Erzählungen. Diese könnten unterschiedlicher nicht sein, in Länge, Struktur und auch bezüglich ihrer Überzeugungskraft. „Komödie in Moll“ umfasst gut achtzig Seiten und erschien erstmals 1947. Teile des Textes wurden schon gegen Ende des Krieges geschrieben. Die Erzählung stellt anhand eines einzelnen, besonders dramatischen Falls die Umstände dar, in denen sich während der deutschen Besatzung der Niederlande untergetauchte Menschen und ihre Gastgeber befanden. Hier ist es ein alleinstehender etwa vierzigjähriger Jude, der auf diese Weise dem drohenden Transport in ein Vernichtungslager entgehen will. Untergebracht ist er bei einem jüngeren Ehepaar ohne Kinder, das in einer nicht namentlich genannten Kleinstadt am Meer ein Reihenhaus bewohnt. Ihr Schützling wird etwa ein Jahr lang versteckt, dann erkrankt er schwer, vermutlich an Grippe. Um weder ihn noch sich zu gefährden, lässt ihn das Ehepaar zu Hause behandeln. Dennoch stirbt er und die Gastgeber müssen nun einen Weg finden, die Leiche fortzuschaffen und gleichzeitig deren zivile Bestattung zu garantieren. Dabei begehen sie einen Fehler, der sie selbst in große Gefahr bringt und zum vorübergehenden Untertauchen zwingt.
Keilson beschreibt dies recht fesselnd im auktorialen Stil, einsetzend mit dem Tod und dann häufigen Rückblenden. Er stützt sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen im Untergrund und stellt alle wesentlichen Umstände klar vor Augen: das Eingesperrtsein, die vielen strikten Vorsichts- und Abschottungsmaßnahmen, die gelegentlichen Pannen, das Netzwerk von Helfern und Widerständlern. Ebenso wichtig ist ihm die seelische Entwicklung der Hauptfiguren unter dem permanenten Druck. Wie der Titel schon andeutet, fehlt auch eine untergründige humoristische Note nicht. Man darf die Erzählung als insgesamt rundum gelungen bezeichnen, bereichernd sowohl für den historisch wie den literarisch oder psychologisch Interessierten.
Vergleichbares für das erstmals 1968 erschienene und nur elf Seiten umfassende „Dissonanzen-Quartett“ festzustellen, ist nicht möglich. Hier setzt sich ein Ich-Erzähler im Rückblick mit der Geschichte seiner Eltern und der Schuld des Vaters auseinander. Dieser entstammte einer konservativen protestantischen Pastorenfamilie, wurde selbst Philologe und heiratete eine Frau orthodox-jüdischer Herkunft. Beide führten ein relativ liberal emanzipiertes Leben. Sie stehen für eine zeittypische gemäßigte Progressivität, die sich jedoch ab 1933 nicht bewährte. Der Vater ließ sich scheiden, die Mutter und zwei Schwestern fielen dem Holocaust zum Opfer. Der Sohn empfängt nach dem Krieg im US-Exil einen Brief seines inzwischen selbst umgekommenen Vaters. Darin erläuterte er die nicht durchweg zu verdammenden Motive für seine Trennung von der Familie. Seine Strategie zu deren Rettung scheiterte. Der Sohn verknüpft mit der Verarbeitung des Briefes ansatzweise historische und geschichtsphilosophische Betrachtungen. All das ist ein großartiger Stoff und überhaupt nicht auf so wenigen Seiten gestaltbar. Es bleibt skizzierter Entwurf, unglücklich in die Form einer kleinen Erzählung gepresst. Der Autor irritiert die Leser zusätzlich, indem er den Ich-Erzähler mit einzelnen Elementen seiner eigenen Biografie ausstattet, obwohl diese sich im Wesentlichen eben nicht mit der des Erzählers deckt.
Keilson selbst sah sich in erster Linie als Arzt und in zweiter erst als Schriftsteller. Weise hat er im Alter weitgehend auf belletristische Produktion verzichtet. Der Verlag hat ihm mit dieser Zugabe zu den im Buch vorangehenden Werken von Gewicht keinen Gefallen getan.
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