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--- Gekauft wie gesehen
ArnoAbendschoen - 26.08.2021 um 18:13 Uhr
Noch so ein wichtiger Tag, schon wieder einer … Ich nähere mich zu Fuß dem Haus im Berliner Norden, in dem ich Jahre gewohnt habe, und weiß, es ist mein letzter Gang dahin. Die Wohnung ist verkauft, der Kaufpreis überwiesen. Die Übergabe heute wird eine Formalität sein. Ich blicke am Haus hoch und würde mich gern leichtem Abschiedsschmerz hingeben: Mehr oder weniger schöne Jahre waren es und trotz der bekannten Mängel hat es sich rentiert – die günstige Marktlage eben!
Warum stehen jetzt mehrere Leute vor dem Haus? Ich erkenne den Käufer wieder, einen jungen Chinesen aus Berlin, und Frau Schüttebier, die Maklerin. Ihn habe ich erst beim Notar kennengelernt. Genau wie damals strahlt er arglose Freundlichkeit aus. Frau Schüttebier, nervös und optimistisch wie immer, tänzelt um unsere kleine Gruppe und will vorstellen. Der Chinese hat also zur Übernahme einen deutschen Architekten mitgebracht? Nur um festzustellen, dass alles in Ordnung sei, wie der Graukopf mit einigem Nachdruck versichert. Die kleine alte Frau ist die Mutter des Käufers, vielleicht auch sein Finanzier, sie ist eigens aus China zu Besuch gekommen, und in ihrem Schlepptau jetzt der dreijährige Enkel. Die Frau des Käufers, hochschwanger und kurz vor den Wehen, ist diesmal daheimgeblieben.
Wir fangen ganz unten an. Im miterworbenen Kellerabteil vermisst der Architekt eine Beleuchtung. Frau Schüttebier und ich, wir äußern uns dazu nicht. Gekauft wie gesehen, wir denken es nur. Wir bleiben auch stumm, als behauptet wird, Eingangshalle und Treppenhaus entsprächen nicht den damaligen Bauvorschriften. Kann man das wirklich wissen? Unterwegs verlieren wir die Oma und den Enkel, fangen sie ein und versammeln uns endlich im Objekt, sechs Personen auf gut fünfzig Quadratmetern. Wir verteilen uns in den Räumen.
Frau Schüttebier fingert an einem Schlüsselbund, sie hat ein Verzeichnis aller Schlüssel, die sie nun ausprobiert. Was passt, soll dem Erwerber gleich übergeben werden. – „Frau Schüttebier“, sage ich, „auf keinen Fall dürfen Sie an der Wohnungstür die Kette vorlegen, sie ist defekt, lässt sich, einmal eingeschnappt, nicht mehr lösen. Wir saßen hier so mal gefangen.“ – Sie verspricht es.
Der Architekt hat inzwischen schon wieder etwas gefunden. Die uralten Isolierbänder an der Balkonverglasung seien porös wie Mürbeteig, auch das müsse noch auf den Kaufpreis angerechnet werden. Nun sage ich es doch: „Gekauft wie gesehen, das gilt auch hier.“ Es kommt zu kurzem Streit, den die Maklerin auf ihre Weise schlichtet: Die Hitze der letzten Wochen sei schuld am maroden Gummi. Das ist lächerlich – und ich hafte für zwischen Notartermin und Übergabe eingetretene Schäden! Frau Schüttebier widmet sich dann wieder ihren Schlüsseln. Architekt und Käufer wandern weiter durch die Räume, probieren dies und das aus. Oma und Enkel langweilen sich und ich schaue durch ein Fenster in den Himmel. Hoffentlich ist es bald vorbei.
Stattdessen kommt die Maklerin aufgeregt aus dem Flur zurück. Sie hat die Kette doch ausprobieren müssen und sie lässt sich nicht mehr lösen! Jetzt sind wir hier alle eingeschlossen, schauen uns ratlos an. Frau Schüttebier verschwindet im Flur und hantiert hörbar weiter an der festgehakten Kette, erfolglos. Der Architekt macht sich im Bad zu schaffen. Der kleine Junge mault weinerlich, seine Oma nimmt ihn in die Arme und ihr Sohn geht stumm und besorgt von einem zum anderen. Ich sehe durchs Fenster auf den Parkplatz hinunter: ob sich einer zeige, dem man etwas zurufen könnte. Damals haben wir durch den kleinen geöffneten Spalt ins Treppenhaus geschrien: Hilfe, Hilfe! Und der Nachbar von gegenüber ist gekommen und hat versprochen, den Hausmeister zu alarmieren …
Eine Viertelstunde später. Frau Schüttebier hat die Kette doch noch losbekommen und zeigt Abschürfungen an den Handgelenken vor. Der Architekt scheint davon unbeeindruckt, er hat inzwischen im Bad eine Leckage entdeckt: Der Abfluss des Waschbeckens sei undicht. „Ist wohl lange nicht benutzt worden“, sagt er, sichtlich befriedigt, und lässt reichlich Wasser vor unseren Augen plätschern, am Boden schnell eine Riesenpfütze. Die Maklerin und ich, wir wischen sie gemeinsam auf, und während wir uns dabei mit den Köpfen sehr nahe kommen, sage ich leise: „Frau Schüttebier, das wird wohl heute nichts. Ich muss morgen für drei Wochen verreisen, lassen sie bitte alles rasch in Ordnung bringen und mir in Rechnung stellen. Die Übergabe können sie dann ohne mich über die Bühne bringen, möglichst noch vor dem Ersten, ja?“
Kurz darauf fahren wir alle im Lift hinunter. Wir vertagen uns und ich sage mir: Unter solchen Umständen verlasse ich also dieses Haus gerade für immer …
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