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-- Medienkritik & Kommunikation
--- Grausliche Wörter und Begriffe

ArnoAbendschoen - 19.07.2021 um 12:13 Uhr

Fangen wir mit „Kulturschaffende“ an. Der neuerdings wieder beliebte Ausdruck hat im 20. Jahrhundert eine Karriere hinter sich, die einen schon Distanz wahren lassen müsste. Dann gibt es wieder das bekannte Problem mit dem Partizip Präsens: Ein Maler in einer Schaffenskrise oder ein Schriftsteller mit Schreibblockade ist gerade kein Kulturschaffender mehr – momentan schafft, d.h. erzeugt er gar nichts. Er kann sich aber immer noch Maler oder Schriftsteller nennen, da er Werke dieser Art schon produziert hat und zumeist auch weiterhin hervorzubringen hofft. Und was hat es mit „Kultur“ auf sich? Das ist ein Sammel- und Oberbegriff, dessen mögliche Inhalte so vieles umfassen können: das Blockflöte spielende Mädchen auf einem Schulfest wie den Entwerfer eines Bühnenbildes, den Verfasser eines Gedichtes, das es nie in auch nur eine Anthologie schaffen wird, und die Arbeit einer Videokünstlerin, die auf der Biennale in Venedig vertreten ist. Kulturen „schafft“ selbst ein Laborant, der solche zum Nachweis oder Ausschluss einer gefährlichen Krankheit anlegt. Es gibt Hefekulturen, Zellkulturen … Wir kennen den Kulturbeutel und Firmen rühmen sich einer Unternehmenskultur.

Bannen wir das Wort „Kulturschaffende“. Es ist so hochtrabend wie nichtssagend, passend zu einer Zeit, auch der einer mal prophezeit haben könnte, sie werde eine Kultur sein, aber keine mehr haben.

Apropos Firmen - sie tönen gern so: Die Philosophie unseres Unternehmens lautet … Womit wir bei einem Fall von sprachlicher Hochstapelei sind. Kaum eine Firma dürfte sich tatsächlich mit Philosophie beschäftigen, sondern mit: Produktion, Marketing, dem Erzielen von Gewinnen. Soll das überhöht oder verschleiert werden? Fabrikanten, Betriebswirte, bleibt beim Produzieren und beim Werben für eure Produkte, aber Letzteres bitte nicht mit lächerlich hochtrabender, verfälschender Diktion. Zwar will ein Bonmot wissen, Philosophie sei ein eigens zum Zweck des Missbrauchs erfundenes Vokabularium, aber eben eines nur für Philosophen, nicht für Geschäftsleute.

(Kann fortgesetzt werden.)




ArnoAbendschoen - 20.07.2021 um 21:34 Uhr

Zu lesen und zu hören ist jetzt von "Impfdurchbrechern". Gemeint sind Menschen, die trotz kompletter Schutzimpfung an Covid 19 erkranken. Tatsächlich durchbricht das Virus den Impfschutz und der geimpfte Patient ist, anders als der Sprachgebrauch suggeriert, das passive Objekt dieses Vorgangs. Leser und Zuhörer werden schon verstehen, wie es gemeint ist? Möglicherweise, doch der Eindruck mangelnden Bewusstseins für exakte Sprache ist fatal. Merke: In Deutschland kann auch ein Staatssekretär öffentlich falsches Deutsch reden und fast niemand stört sich daran.



Kenon - 04.08.2021 um 17:30 Uhr

Ich bin glücklicherweise kein Radiohörer; mir bleibt dadurch wohl in den heutigen Zeiten einiges erspart. Aktuell kenne ich auch keine Wörter, die mir begegnen und die ich wirklich nicht leiden kann (vom “neuartigen” Corona-Virus spricht man ja jetzt nicht mehr); allerdings tritt bei mir manchmal das Phänomen von Wortohrwürmern auf: Plötzlich setzt sich irgendein Wort in meinen Kopf, beispielsweise ein siebensilbiges Fremdwort, und besteht darauf, dass ich immer wieder daran denken muss, vielleicht gar tagelang – absolut ohne sinngebenden Kontext.

Die “Impfdurchbrecher” sind vermutlich nur eine hastige Übersetzung aus dem Englischen. Es muss ja immer alles so schnell gehen heutzutage.




ArnoAbendschoen - 18.01.2022 um 22:23 Uhr

Auch das gibt es immer noch: grausliches Amtsdeutsch. Da das folgende Beispiel so schön ist, erweitere ich mit ihm einmal den gesteckten Rahmen:

„Nach Prüfung des Falls wurde ein Erlaubnisverfahren zum Halten eines nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Halten von Hunden als gefährlich eingestuften Hundes durchgeführt und die Haltung daraufhin mit entsprechenden Auflagen belegt.“

So zitiert die AZ aus Uelzen einen Sprecher der Landkreisverwaltung. Stramme Haltung der Behörde, aber es gab doch kein Halten, sondern Leine los und "Shariks grausiges Ende".




Kenon - 18.01.2022 um 22:55 Uhr

Inhaltlich ist der Satz wahrscheinlich nicht falsch, zumindest ergibt er einen Sinn. Die Umständlichkeit des Ausdrucks erinnert mich ein wenig an Hegel; vielleicht gehört das sprachliche Austoben zu den kleinen Freuden, die man als Beamter haben kann.



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