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-- Literaturgeschichte & -theorie
--- Die goldene Feder
Kenon - 22.06.2021 um 21:14 Uhr
Die Werbung verspricht vieles:
Wenn Du diesen sündig teuren Füllhalter erwirbst und nutzt, stehst Du praktisch auf einer Stufe mit John Lennon. Vielleicht wirst Du dann ähnlich erfolgreiche Zeilen zu Papier bringen können, zahlreiche eingängige Welthits, welche die Zeiten überdauern, erschaffen? Oder hier, dieses Gitarren-Modell, das auch Jimi Hendrix spielte: Wenn Du selbst darauf spielst, wirst auch Du möglicherweise bahnbrechende Stücke komponieren, welche die Musikwelt für immer verändern? Ruhm und Erfolg sind nicht weit entfernt, nutzt man nur die rechten Helferlein …
Als vernünftige Menschen fallen wir nicht auf diese Angebote herein, aber als Träumer ergeben wir uns dem magischen Denken und fangen an, unsere Münzen zu zählen. Wenn wir sie dann gegen das verklärte Produkt getauscht haben, steht uns immerhin zweierlei Erkenntnis offen:
1) Der Erfolg der Stars liegt nicht allein am eingesetzten Instrument.
2) Der eigene Misserfolg ist auch durch die Benutzung der Instrumente der Stars nicht aus der Welt zu schaffen.
Ich selber habe mir irgendwann mal einen schönen schwarzen Füllhalter mit goldener Feder im Stile der Neuen Sachlichkeit gekauft. Nicht, weil ihn irgendein Künstler einsetzte, dem ich nacheifere, sondern schlicht, weil er mir gefiel. Es war ein besonderes Instrument, um besonderes zu schaffen – so viel Eitelkeit gebe ich gern zu. Ironischerweise kaufte ich den Füllhalter in einer Zeit, in der ich aus beruflichen und privaten Gründen kaum mehr zum Schreiben kam. Dieser fürchterliche Widerspruch grinste mir immer und immer wieder ins Gesicht. Ich habe den Füllhalter schließlich auf der Arbeit eingesetzt, und doch ist er von Zeit zu Zeit eingetrocknet. Ein schönes Gedicht hat er vermutlich nie zu Papier gebracht.
Was ist meine Erkenntnis? Ich verfasse Texte im Kopf. Damit sie nicht verlorengehen, muss ich sie irgendwie aufschreiben, ganz gleich, womit, und sei es mit einem Bleistift-Stummel von Ikea auf der Rückseite eines Kassenbons; wenn ich Texte unter die Leute bringen will, müssen sie zuvor in einen Computer kommen.
Das ist auch schon alles.
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