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-- Medienkritik & Kommunikation
--- Die Umwortung aller Worte

Kenon - 17.06.2021 um 21:11 Uhr

Wenn man es darauf anlegt, kann man jedes Wort - selbst harmlos erscheinende wie “Sonnenschein” - zu einem Problem machen und fordern, dass es aus irgendwelchen locker erfundenen Sensibilitätsgründen durch ein anderes, angeblich harmloseres ersetzt werden muss, bis ein anderer Mensch daherkommt, der auch das Ersatzwort irgendwie problematisch findet usw. usf.. Alles selbstverständlich vollkommen undemokratisch und undialogisch, nur von individuellen Befindlichkeiten oder Eingebungen getrieben.

Schwierig wird es, wenn das ursprünglich problematisierte Wort durch ein bereits existierendes ersetzt werden soll, das eigentlich nicht synonym verwendet werden kann. In diesem Fall muss man auch für das Ersatzwort ein Ersatzwort wählen. Schnell haben wir eine Kettenreaktion, die irgendwann zur Umwortung aller Worte führt. Nietzsche würde gewiss vor Freude weinen.

Heutzutage ist kein Vorschlag zu schräg, als dass er bei einem gewissen Klientel nicht auf fruchtbaren Boden fallen würde. Eine Sprachungerechtigkeit in der sozialen Dimension soll ja beispielsweise sein, dass durch die negative Konnotation von “Nehmen” und die positive von “Geben” die realen Verhältnisse in der Sprache umgekehrt werden, wenn es um Arbeitgeber und -nehmer geht, denn der Arbeitnehmer ist ja a) der Gute, der eigentlich seine Arbeit weggibt während b) der Böse die Arbeit vom Guten nimmt. Daher müssten die Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer unbedingt miteinander vertauscht werden.

Na gut, lasst uns diese beiden bisher offenbar von allen immer falsch verwendeten Begriffe miteinander vertauschen. Es wird zu einiger Verwirrung führen, aber inzwischen - nach so viel bereits praktiziertem Sprachaktivismus - sind wir ja ausreichend leiderprobt und manche wollen auch partout nicht mehr kommunizieren, ohne dass sie sich dabei wie Jesus ein Kreuz auf den Rücken werfen, um damit bergan gen Golgatha zu ziehen. Wir werden auch diese Veränderung um jeden Preis mit einem lautstarken Hosianna, das auf empathischen Schwingen aus dem tiefsten Herzensgrund kommt, begrüßen. Sprache ändert sich eben - und den exklusiv forcierten Sprachwandel kann man einfach nicht aufhalten, auch wenn schnell verteufelte Mahner manchmal noch das Gegenteil behaupten.

Die Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben wir also gegeneinander ausgetauscht. Was weiter? Da der Böse nun durch ein böses Wort (Arbeitnehmer) und der Gute durch ein gutes Wort (Arbeitgeber) bezeichnet wird, ist die Welt ja schon irgendwie gerechter geworden, oder etwa nicht? Schließlich haben ja Worte, sofern man Anhänger des linguistischen Determinismus ist, Zauberkräfte und können die Wirklichkeit verändern.
Man muss nur ganz ganz fest daran glauben.

Ok, jetzt bin ich aber wirklich mal ehrlich:

Mir fehlt dieser ganz ganz feste Glaube und ich drücke es bewusst vulgär aus, ohne an gewisse alte Römer heranzureichen:

Worte sind nur Huren, die von meinen Gedanken benutzt werden, um als von anderen wahrnehmbar in der Welt zu erscheinen. Sie versuchen sicherlich, einen guten Job zu machen, aber letztlich ist es doch bloß Sex ohne Liebe.

Vielen Dank fürs Lesen!




Kenon - 02.09.2021 um 23:13 Uhr

Das schöne an banalen Sprüchen ist, dass sie häufig auch wahr sind. Nehmen wir zum Beispiel “Man lernt nie aus”. Das trifft bisher vollständig auf mich zu. So habe ich kürzlich gelernt, dass auch die Begriffe Herren- und Damenfahrrad sexistisch und damit aus unserer so fortschrittlichen Zeit gefallen und auszulöschen sind. So etwas widerlich hinterwäldlerisches wie “Herrenrad” oder “Damenrad” sagt man jetzt also besser nicht mehr, auch wenn es mir die Rechtschreibprüfung noch(!) nicht rot anstreicht. Damenräder sind “Tiefeinsteiger”, und weil dieses Wort auch krass nach Diskriminierung riecht (tief = negativ, Einsteiger = Personen mit wenig Bildung auf einem gewissen Gebiet), redet man besser von einem “Fahrrad mit trapezförmigen Rahmen”. Natürlich, das ist ja auch eine griffige – Umschreibung. Für eine bessere Welt müssen wir unsere alten Sprachgewohnheiten auf jeden Fall alle ablegen – wer “Damenrad” sagt, unterdrückt schließlich Frauen.

Ich warte stets gebannt auf die neuesten Sprachvorschriften, die sich irgendwer, der es wirklich weiß, ausdenkt, damit ich ein Immer-Noch-Besser-Mensch werden kann.




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