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-- Prosa
--- Die Bestie und ich

ArnoAbendschoen - 17.06.2021 um 21:10 Uhr

Einmal musste es ja geschehen. So lange schon hatte ich furchtsam danach Ausschau gehalten, draußen in den tiefen Wäldern, fern von Berlin. Da ging ich also gestern auf einem denkbar einsamen Weg so für mich hin, als im Dämmerlicht ein Lebewesen auftauchte, vierbeinig, rasch vorwärtsstrebend, mir entgegen. Ein streunender, wildernder Hund? Wird er mich als mögliche Beute wahrnehmen? Sei mutig, Arno, du Adler, erweis dich deines Namens würdig. Wegfliegen würdest du wohl gerne? Schau lieber, ob du am Boden einen Stock findest …

Plötzlich wie eine Eingebung die Erkenntnis: Es ist kein Hund, es ist ein Wolf und er ist keine fünfzig Meter mehr entfernt. In der freien Natur war ich noch nie einem begegnet. Er lief anders als ein Hund: immer gleichmäßig geradeaus, zielbewusst, wie in Eile. Hell leuchtete im Waldesdunkel der große weiße Fleck auf der Halsvorderseite und um sein Maul herum. Vermeide, Arno, beim Niederschreiben jetzt Verweise auf eine Gestalt aus Grimms Märchen, behaupte, du hättest ihn wiedererkannt als den Wolf, der in des Portugiesen Rodrigues Film „Der Ornithologe“ jenem Fernando im Wald erscheint und entgegenknurrt. Freilich, jener Kino-Wolf schien wie vom Präparator ausgestopft und ohnehin nur eine Vision. Man unterlässt es nicht ungestraft, seine Pillen zu nehmen …

Ich bitte wieder ansetzen zu dürfen, so formuliere ich, einen Großen zitierend, als läse hier irgendeiner mit. Zurück also zum gestrigen Wolf und in die Märkische Schweiz. Der Wolf hatte mich noch gar nicht wahrgenommen, das holte er nun nach und floh sogleich, wie ein scheues Reh. Ein Hase würde erst noch einmal kurz innehalten und sich vergewissern. Mein Wolf jedoch bog einfach, ohne seinen Lauf zu unterbrechen, im rechten Winkel ab und verschwand im Unterholz. Um seinen Fluchtinstinkt zu unterstützen, klatschte ich zwei-, dreimal in die Hände, und er verstand es nicht falsch als Applaus und Dacapo. Nein, das Geräusch splitternder Zweige wurde noch kurz zum Stakkato, ehe Waldesstille wieder eintrat. Ich kann es nicht anders ausdrücken: Dieser Wolf verhielt sich in allem mustergültig.

Fast bedauere ich es, dass unsere Begegnung so kurz war. Anderenfalls hätte ich, sie beschreibend, weiter ausholen, mehr Aufwand treiben und mehr Effekt erzielen können.




Kenon - 17.06.2021 um 21:27 Uhr

Manchmal würde ich hier einfach nur gern einen “Daumen nach oben” oder ein “Herz” geben. So kann ich eine der immer gleichen Floskeln, die trotzdem ehrlich gemeint sind, von mir geben: Der Text ist schön. Der Text ist gelungen. Ich habe ihn sehr gern gelesen. Das trifft ja alles zu, auch wenn es sich nicht besonders tief anhört.

Einen Wolf habe ich noch nicht in der Natur angetroffen. Füchse sehe ich öfter in der Stadt, einer hat mir möglicherweise beim Joggen auch schon mal in den Fuß gebissen - aber ich muss aufpassen, was ich sage, da mir die Dichtung oft mehr Freude bereitet als die Wahrheit.

Wölfe finde ich faszinierend. Ich schaue sie mir gern in Dokumentationen an, auch “Of Wolves and Men” von Barry Lopez kann ich empfehlen, obwohl es tatsächlich etwas kleiner als sein Ruf ist.




ArnoAbendschoen - 18.06.2021 um 11:12 Uhr

Oh, danke. Bin umso mehr erfreut, als ich gerade nicht viel Zeit und Energie zum Schreiben übrig habe. Dies ist einer der wenigen neuen Texte.



Kenon - 18.06.2021 um 18:41 Uhr

Naja, man muss ja auch nicht immer schreiben.

Ich selbst generiere momentan viele Ideen, die ich kurz in ein paar Schlagworten festhalte, damit sie nicht für immer verlorengehen, aber mir fehlt die Zeit, sie alle auszuarbeiten.




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