- versalia.de
-- Aesthetik
--- Adonis - Film von Scud (Hongkong)

ArnoAbendschoen - 06.04.2021 um 14:01 Uhr

Der 2017 herausgekommene Film „Thirty Years of Adonis“ von Scud ähnelt einem mächtig das Wasser aufwirbelnden Raddampfer mit zwei großen Schaufelrädern, einem formal-ästhetischen und einem geistigen. Beide sind nicht aus derselben Werkstatt und ursprünglich auch gewiss nicht zum Transport von Geschichten wie dieser entworfen. Die Handlung ist vordergründig eine von heute, zwar spektakulär, doch im Ganzen realistisch. Yang Ke (Adonis He Fei) ist ein arbeitslos gewordener Darsteller der Peking-Oper und wird von seinem Agenten daher jenseits der Bühne vermarktet, als Model, in der Pornofilm-Industrie, als Prostituierter, Männern wie Frauen zur Verfügung stehend. Dieses Hongkong glitzert, blendet und bringt den attraktiven jungen Mann bis an die äußersten Grenzen seiner physischen Existenz. Er scheint in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen, als er ein eigenes Bistro eröffnet, einen Lebenspartner findet und die Stadt mit ihm verlassen will. Nur vollendet sich sein Schicksal schon vorher, auf höchst grausige Weise.

Dieser Stoff wird stilistisch wie vom späten Pasolini dargeboten. „Die 120 Tage von Sodom“ ist als Vorbild für die Sex- und Massenszenen wie für diejenigen sozusagen aus dem Gesellschaftsleben deutlich zu erkennen. Das immerhin haben Salò und Scuds Hongkong gemeinsam: Ihre innere Ordnung ist befristet und das Bewusstsein ihrer Endlichkeit treibt die Zeitgenossen zu immer raffinierteren, oft scheußlichen Exzessen. Der Haupterzählstrang wird häufig unterbrochen, indem Rückblenden oder Visionen eingeschaltet sind. Sie scheinen jede Illusion eines Zeitkontinuums zerstören zu wollen. Der Schluss der Filmhandlung schließlich ist eine Coda im Jenseits, und zwar in einem, das noch Kontakt hat zum aktuellen Diesseits, dem gleichzeitig aber auch dessen Vergangenheit und Zukunft zugänglich sind.

Diese Elemente gehören bereits dem geistigen Hintergrund des Films an, der vom Buddhismus geprägt ist. Karma und Wiedergeburt sind die großen Themen, mit denen zugleich die christliche Passionsgeschichte synchronisiert wird. Zum religiösen Aspekt erklärte Scud in einem Interview: „Bevor ich mit dem Drehbuch zu ‚Adonis’ begonnen habe, bin ich für einige Wochen zu einem berühmten Meister nach Bhutan in Klausur gegangen. Den fertigen Film habe ich als Erstes seinem wichtigsten Apostel vorgeführt. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit europäische Zuschauer den tibetanischen Buddhismus verstehen. Dies ist zumindest die genaueste Analyse davon, die ich bieten kann – und die auch ohne Vorbehalt von den Geistlichen akzeptiert wurde.“ (Zitiert nach einem der DVD beigegebenen Booklet der Edition Salzgeber.)

Die Spannweite des Programms, das dem Film zugrunde liegt, ist also enorm. Ist das Werk auch gelungen? Zumindest gilt dies für jede einzelne Szene, von denen jede aufregend schön, ja betörend ist, nie ins Kunstgewerbliche abgleitet, immer kraftvoll und originell erscheint. Mit diesen Bildern allein schafft der Film schon als Mosaik ein überzeugendes Ganzes. Schließlich ist Kunstfilm an sich das: eine in sich geschlossene autonome Welt aus bewegten Bildern, nicht die Darlegung einer rational nachvollziehbaren Botschaft oder Lehre. Um im Bild des Anfangs zu bleiben: Scuds Filmdampfer gleitet souverän und rauscht majestätisch über Untiefen wie Abgründe.




URL: https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=6171
© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz // versalia.de