- versalia.de
-- Aesthetik
--- Fluch der Schönheit

Kenon - 02.03.2021 um 00:35 Uhr

Durch ihre Schönheit und selbstverständlich auch etwas Glück war Nico alias Christa Päffgen (1938-1988) zu einem berühmten Model geworden, sie versuchte sich zudem als Schauspielerin in einigen Filmen, erlernte die Grundlagen des Handwerks zusammen mit Marilyn Monroe und war das blonde Tambourin-Püppchen mit der schauerlich tiefen Stimme bei “The Velvet Underground”. Nicos Äußeres hat ihr weltlichen, wenn man so will: äußerlichen Erfolg eingebracht. Die Menschen waren von Nicos Augen, ihren Lippen, ihren straffen Gesichtszügen, ihrem makellosen Körpergewicht, ihren kühlen Posen und nibelungenhaften Bewegungen fasziniert. Sie bewunderten, begehrten und fürchteten sie. Sahen die Menschen auch einen Menschen in ihr, oder war sie ihnen nur ein hübscher Gegenstand, den man wahlweise zur Bewerbung eines alkoholischen Getränkes oder einer experimentellen Rockformation benutzen konnte - und der sich freilich auch dazu benutzen ließ?

Schönheit kann ein Fluch sein. Das hat Nico vielleicht das erste Mal erfahren, als sie als junger Teenager von einem amerikanischen Soldaten im Nachkriegsdeutschland vergewaltigt wurde. Später war Nico ein Star, hatte erreicht, wovon viele Mädchen nur träumen können - und führte dann doch eine persönliche “große Kehre” herbei, indem sie sich gehen ließ. Die bewusste Begrüßung des körperlichen Verfalls, der Aufschwemmung des Gesichtes, des Einfalls der Wangen, des Verfaulens der Zähne durch den jahrelangen Konsum von Tabak, Alkohol, Heroin und anderen Drogen, das tiefschwarze Färben der blonden Haare - das war doch nichts anderes als eine selbst herbeigeführte Neugeburt. Eine Neugeburt - zwar im Zeichen des Todes, aber eine Neugeburt.

Sie sei sehr wählerisch mit ihrem Publikum, sagte die späte Nico einmal einem dadurch verblüfften Reporter, müsse niemandem gefallen. Optisch hatte sie sich von ihrem früheren Ich abgespalten, und trug es dennoch weiter in sich. Wie konnte es anders sein? Auch die Leute sahen weiterhin das in ihr, was sie einmal war; in Interviews wurde sie immer und immer wieder zu ihrer Zeit bei “The Velvet Underground” und im Kreise Andy Warhols befragt.

War der optische Wandel für Nico also tatsächlich eine Befreiung? Das wird nur sie selber gewusst haben.
Vielleicht war auch einfach nur dieses ”Manchmal muss man sterben, um zu leben.” ihre unbewusste Maxime geworden, der sie nachgegangen ist, bis sie eines Tages auf Ibiza in der nachmittäglichen Hitze von ihrem Fahrrad fiel und verstarb.




URL: https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=6153
© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz // versalia.de