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--- All My Life - Film aus Ägypten

ArnoAbendschoen - 17.01.2021 um 22:48 Uhr

Die Handlung des 2008 herausgekommenen Films ist im Kairo des Jahres 2001 angesiedelt. Neueren Informationen zufolge scheinen sich die Verhältnisse seither in Ägypten nicht zum Besseren gewandelt zu haben. Das Werk selbst beschäftigt sich mit staatlicher Repression gegen Homosexuelle, mit Hetzpropaganda in den Medien und absurden Einstellungen von Normalbürgern. Es ist ein verstörender Stoff, eine traurige Geschichte, wenn auch voll filmreifer Dramatik.

Hauptfigur ist der sechsundzwanzigjährige Buchhalter Rami, ein ernsthafter Charakter, gleichermaßen um Würde, persönliches Glück und Anpassung an die Verhältnisse bemüht. Am Anfang des Films verlässt ihn sein Partner Walid, um eine Scheinehe einzugehen, die im Verlauf der Handlung zerbrechen wird. Ramis Freund Karim, ein lebenslustiger Arzt, lebt mit Mark, einem amerikanischen Lehrer, zusammen. Mark erreicht, dass sie in die USA übersiedeln, um dem zunehmenden Druck zu entgehen. Auch Ramis Freundin Dalia, eine feministische Studentin, emigriert dorthin, kehrt jedoch später in die Heimat zurück, um am politischen Kampf teilzunehmen. Zu Ramis jüngeren Nachbarn gehören die konträr angelegten Charaktere Ahmad und Mina, der erste ein sexbesessener Hetero-Fundamentalist, der andere ein Angehöriger der koptischen Minderheit, noch unter der Fuchtel seiner Mutter und erst zu Beginn seines Coming-outs stehend. Ein sensationslüsterner Kollege versorgt Rami im Büro mit den neuesten Horrormeldungen aus der Presse. Diese beziehen sich auf eine tatsächlich im Juni 2001 erfolgte Razzia, bei der die Besucher einer schwulen Diskothek festgenommen und nach entwürdigenden Untersuchungen vor Gericht gestellt wurden.

Rami freundet sich mit dem Kellner Atef an. Ihre Beziehung scheitert daran, dass sie nach Bildung und sozialem Status nicht zueinander passen. Atef kehrt enttäuscht in sein Dorf zurück. Rami sucht Kontakte über das Internet und gerät so in die Fänge eines kriminalistischen Schwulenjägers. Er wird festgenommen, gefoltert und unterschreibt ein erzwungenes falsches Geständnis. Im Epilog erfährt der Zuschauer, dass ihm die Flucht nach Frankreich geglückt ist.

Der Film, zum großen Teil mit talentierten Laiendarstellern realisiert, wurde sowohl in Kairo als auch in Kalifornien gedreht. Die Aufnahmen in Ägypten erfolgten heimlich ohne Drehgenehmigung, die in den USA scheinen ein Werk von Emigranten, die voll Zorn zurückblicken. Tatsächlich hat die Präsentation des Stoffs etwas unmittelbar Mitreißendes, trotz formaler Schwächen. Die Handlung, um einen Querschnitt aus der ägyptischen Gesellschaft bemüht, bündelt zu viele exemplarische Schicksale und verknotet sie dann auf dem Höhepunkt ein wenig gewaltsam. Die Dialoge dienen zu oft vor allem der Darlegung von Thesen. So erinnert das Werk in Teilen an Romane des 19. Jahrhunderts. Zugleich empfindet der Rezensent Skrupel: Was wiegen diese Einwände im Vergleich zur Schwere der thematisierten Problematik und zur Überzeugungskraft der dargestellten Schicksale?

Der Film darf nicht mit dem US-amerikanischen gleichen Titels von 2020 verwechselt werden. Maher Sabry bezieht sich mit seinem auf die Anfangszeile eines älteren arabischen Lieds, das im Film mehrmals erklingt: „Mein ganzes Leben war ich allein“.




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