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--- Exklusive Sprachkonstruktion - Gendern & Co.

Kenon - 13.12.2020 um 00:30 Uhr

Das Binnen-I, welches erfunden wurde, um die deutsche Sprache geschlechtergerechter zu machen, gibt es bereits seit 1981. Ungeachtet seiner spezifischen typographischen Form - und es gibt einige Formen, die es annehmen kann -, war es schon immer ein hässliches Ungetüm, das sich im Namen einer besseren Welt an die Worte gehängt hat: wie ein Pickel, der über Nacht gewachsen ist und plötzlich ein Leben für sich beansprucht. Man lebt heute leider in einer Welt, in der es einem immer wieder begegnet. So zum Beispiel auch in einem frisch erschienen Buch bei Suhrkamp:

Zitat:

“Auf diese Art werden all jene entrechtet, die seit Langem mit der Analyse dieser Probleme betraut sind, seien sie Expert:innen, Aktivist:innen, Akademiker:innen, Gewerkschaftler:innen, Journalist:innen oder Politiker:innen”.

Wer ist denn dieser “Expert”? Warum ist der “Aktivist” in der Einzahl, die “Aktivistinnen” aber in der Mehrzahl - das gleiche beim “Journalist”? Ist das jetzt tatsächlich eine gerechtere Sprache? Oder ist das einfach nur exklusiv konstruierter Blödsinn, von einer fürchterlichen Ästhetik, der die Sätze in die Länge zieht, ohne ihnen zusätzlichen Inhalt zu geben?

Der Statistik nach stehen 224 gegen 194 Zeichen:

Zitat:

Auf diese Art werden all jene entrechtet, die seit Langem mit der Analyse dieser Probleme betraut sind, seien sie Experten, Aktivisten, Akademiker, Gewerkschaftler, Journalisten oder Politiker.

Das kann ich lesen und verstehen - und hey, ich denke dabei nicht nur an Männer!

Mit diesem perfiden Gender-Trick kann man ein an sich dünnes Büchlein etwas strecken und seinen recht hohen Preis vielleicht besser rechtfertigen. Wertvoller wird es dadurch natürlich nicht. (Wen es interessiert: Das Zitat stammt aus Adrian Daub: “Was das Valley denken nennt: Über die Ideologie der Techbranche”). Wenn mich das Geschwurbel auf den ersten Seiten nicht sowieso schon abgeschreckt hätte: Wenn überhaupt, würde ich mir doch lieber das englische Original kaufen, denn in der englischen Sprache gibt es diese “Pickel” nicht, da spielt man höchstens einmal mit den Personalpronomen: “The pharmacist went around the corner. She now found herself in the Street of Fatuousness”, was ich witzig finde und mir gern gefallen lasse. Auf Deutsch funktioniert es natürlich nicht, da wir nicht nur geschlechtsneutrale Artikel benutzen. Dafür hat man im englisch-sprachigen Raum andere Gebiete identifiziert, welche der Sprachreform bedürfen. So sind plötzlich Blacklist, Whitelist, Master, Slave nicht mehr wertfreie technologische Begriffe, sondern sollen als diskriminierend verstanden werden, damit sie selbst diskriminiert werden können. Aus Blacklist soll Blocklist werden, aus Master Main usw. usf.. So einfach ist es, eine gerechtere Welt zu schaffen! Tausende Gratis-Mutige springen auf den neuesten Zug auf, morgen, übermorgen dann wieder auf den nächsten. Ihr seid Helden: Auf der richtigen Seite der Geschichte.

Ist denn auch “stateless” ein böses Wort, weil es nicht nur “zustandslos” meinen kann sondern auch “staatenlos”? Muss es künstlich ersetzt werden? Ich fürchte: Ja. Und sollte Black Friday nicht lieber Block Friday heissen? Liebe Sprachverbesserer:innen, bitte! macht unsere Sprachen inklusiver, sauberer. Macht, was ihr wollt. Eurer Willkür seien keine Grenzen gesetzt, denn eure Sache ist ja gerecht. Die Sprache gehört zwar all jenen, die sich ihrer bedienen und bedient haben, sie ist persönliches Eigentum als auch Gegenstand sozialer Verhandlungen der Menschen untereinander, aber darauf kann die Diktatur des Besseren keine Rücksicht nehmen. Das ist vollkommen klar.

Aber folgendes ist mir noch klarer. Sprache ist wie ein Fluss: Sie sucht sich die einfachsten Wege. Sie ist wie ein Stein, über den viele Jahre viele Menschen schreiten und der so ganz glatt wird. Ein Binnen-I als künstliche Verkomplizierung kann sie nicht akzeptieren. Es schadet dem ästhetischen Empfinden, der Verständlichkeit - aber am schlimmsten: In gedruckter Form ist das Binnen-I sogar umweltschädlich und trägt dazu bei, dass wir unseren Planeten noch schneller zerstören, weil es mehr Ressourcen benötigt.

Wollt Ihr Sprachverbesserer:innen wirklich solche Umweltschwein:innen (nichts gegen Schwein:inne, aber man sagt es so …) sein???




ArnoAbendschoen - 13.12.2020 um 12:21 Uhr

Bravo! Gute Analyse, gut formuliert. Das hier Kritisierte ist a) unästhetisch, b) unpraktisch, c) unlogisch. Die Motivation dafür kann sein: a) Machtstreben bei den Anführern, b) Konformismus bei den Mitläufern.

Die üblen Folgen sind nicht aufs Gedruckte beschränkt. Im Fernsehen und im Radio werden so, zumal in den Nachrichten, zusammengerechnet ganze Sendeminuten geopfert und der Information entzogen. Das ist wie ein neuer Gesslerhut; peinlich anbiedernd die Praxis der meisten Politiker. Das muss man gehört und gesehen haben, wie z.B. Kai Wegner (CDU) nach seiner Kür zum Spitzenkandidaten in Berlin mit verkrampfter Miene in einem kurzen Interview zehn- oder zwölfmal in drei Minuten sein "Berlinerinnen und Berliner" herunterhaspelte. Bei anderen schleift sich im raschen Redefluss das -innen ab, es wird verschluckt und hört sich dann an wie: "Berliner und Berliner". Bei derart absurdem Theater wird meine Aufmerksamkeit regelmäßig vom Sachthema abgezogen.

Deinen Optimismus bezüglich des "Pickels" teile ich. Anders sieht es bei grammatikalisch falschem Deutsch aus, nämlich dem Missbrauch mit dem substantivierten Partizip I, z.B. "Studierende" statt "Studenten", "Arbeitende" statt "Arbeiter". Diese fatale Praxis ist dabei, die Oberhand zu gewinnen. Hier wird aus sach- und sprachfremden Motiven das in der Sprache entwickelte Differenzierungsvermögen zerstört. Die Sprecher verlernen den begrifflichen Unterschied zwischen Arbeiter und Arbeitendem. Damit wird der Kernbestand der Sprache angegriffen. Schande über die, die sich so vergehen! Schande über Anführer (nicht Anführende) wie über Mitläufer (nicht Mitlaufende)!




Kenon - 16.12.2020 um 19:59 Uhr

Danke, Arno, auch für Deine Ergänzungen. Mein Text hat schon ein paar kleinere Schwächen (am Anfang, in der Mitte und am Ende), aber irgendwann muss man ja auch immer loslassen und an den nächsten Text denken.

Gendern ist und bleibt ein leidiges Thema, bei dem man schnell zum Buhmann wird, wenn man nicht mit dem Mainstream übereinstimmt, aber es gibt auch Lichtblicke. Immerhin ist selbst in der taz (08.08.2015) folgender Artikel erschienen: Gegen den Strich (“Das Binnen-I stört. Und jetzt machen ihm auch noch Sternchen, Unterstrich und x Konkurrenz. JournalistInnen, Feminist_innen und Expertx streiten über die neuen Versuche, gendergerecht zu schreiben”). Den kann ich in Zukunft immer dann hervorholen, wenn meine eigenen Worte nicht ausreichen, weil sie ja nur von mir sind.




ArnoAbendschoen - 05.01.2021 um 12:19 Uhr

Gestern in den Nachrichten der Berliner Abendschau ein schönes Beispiel für Inkonsequenz: Als es um Todesopferzahlen im Straßenverkehr ging, war von "Fußgängern und Radfahrenden" die Rede. Da ist man auf halbem Weg steckengeblieben. Ich probiere mal Lösungen:

Fußgehende und Radfahrende?

Zufußgehende und Radfahrende?

Fußgänger und Fußgängerinnen und Radfahrende?

Fußgänger und Fußgängerinnen und Radfahrer und Radfahrerinnen?

Fußgänger:innen und Radfahrer:innen?

Es gibt überhaupt keine befriedigende Lösung für dieses Luxusproblem: Die - eingebildete - Diskriminierung weiblicher Fußgänger darf auf keinen Fall Bestand haben! Und hinter dem Quatsch verschwindet die beunruhigende Nachricht: Zunahme der Todeszahl von 40 auf 50 in einem Jahr.




Kenon - 07.01.2021 um 00:54 Uhr

Alles schön und gut, Arno, aber um auch nicht-binäre Menschen zu berücksichtigen, reicht die sprachliche "Gestaltung" hier noch nicht aus. Du musst kreativer werden, mit Sternchen, Unterstrichen und so. Wie man das dann spricht, ist egal.

Laut Luise F. Pusch ist Deutsch übrigens eine "Männersprache" - und mehr noch: "Unsere Grammatik widerspricht dem Grundgesetz". Nanu, wer ist denn diese Frau Pusch? Keine Ahnung, aber sie hat ein Buch mit dem Titel "Die Frau ist nicht der Rede wert" geschrieben.




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