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--- Mietendeckel: Ein Fall aus der Praxis

ArnoAbendschoen - 27.08.2019 um 22:11 Uhr

Diese Nachricht wurde von ArnoAbendschoen um 22:16:00 am 27.08.2019 editiert

Alle Welt redet jetzt vom neuen Berliner Mietendeckel. Viel diskutiert werden die geplanten Mietobergrenzen. Dabei gerät etwas anderes leicht aus dem Blickfeld: das generelle Verbot jeglicher Mieterhöhung für die nächsten fünf Jahre, ganz unabhängig davon wie hoch oder wie niedrig die Miete heute ist. Die Genossenschaften mit ihren sehr maßvollen Mieten haben daher schon gegen den Deckel protestiert. Nimmt man ihnen den Inflationsausgleich, werden sie sich künftig mit der Instandhaltung schwer tun, an Neubau ist kaum noch zu denken.

Ebenso gravierend sind die Folgen für viele Kleinanleger. Hier ein krasses, doch nicht untypisches Beispiel: Herr S. vermietet im Herbst 2015 eine Plattenbauwohnung im Berliner Osten an Herrn P. zu einer Kaltmiete von knapp unter 2 Euro je qm, einem Freundschaftspreis, gewiss. Sie schließen einen Staffelmietvertrag, der über zehn Jahre jeweils alle zwei Jahre eine Mietsteigerung von 2% vorsieht. Dementsprechend steigt die Miete um diesen Satz erstmals im Herbst 2017. Die vertraglich vorgesehenen weiteren Erhöhungen in den Jahren 2019, 2021 und 2023 entfallen aufgrund des Abgeordnetenhausbeschlusses vom Juli 2019. Ob 2025 wieder um 2% erhöht werden kann, ist zzt. offen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang Folgendes: Das Finanzamt beruft sich im konkreten Fall von Anfang an auf die am Markt übliche Miete und kürzt alle steuerlich einsetzbaren Aufwendungen (Handwerkerrechnungen z.B.) im Verhältnis zur tatsächlich erzielten Miete. Der Staat sagt dem Vermieter also: Willst du voll absetzen, musst du teurer vermieten. Und jetzt kommt der Staat erneut und greift rückwirkend in bestehende Verträge ein mit der Folge, dass selbst minimale Erhöhungen nicht mehr möglich sind. Dieses in sich widersprüchliche Verhalten staatlicher Organe gehört mit vors Verfassungsgericht, wenn die Normenkontrollklage kommt.

In Berlin dürfte es Tausende ähnlicher Fälle geben, in denen an Freunde oder Verwandte zu ausgesprochen niedrigen Sätzen vermietet wurde. Es geht dabei nicht nur um die materielle Schlechterstellung des Vermieters. Oft sind die immateriellen Auswirkungen noch schwerwiegender. Betroffen ist z.B. auch die Selbstachtung des Mieters. Verhalten sich beide Vertragspartner gesetzestreu, ist ihm verwehrt, das zu leisten, wozu er sich freiwillig in Einschätzung seiner Möglichkeiten verpflichtet hat.

Der Gesamteindruck ist fatal: Da ist Machtpolitik am Werk, die sich eiskalt über Formen zwischenmenschlicher Solidarität – genossenschaftlich oder privat – hinwegsetzt, sie einfach beiseite schiebt. Das soll links sein? Nein, danke.




ArnoAbendschoen - 19.10.2019 um 17:01 Uhr

So, nun liegt nach langem Streit die für das Gesetzgebungsverfahren revidierte Fassung der Senatspläne vor. Sie beinhaltet zum Teil eine Milderung. Konkret ist für niedrige Mieten (siehe Beispiel im Text oben) nun doch ein Inflationsausgleich ab 2022 möglich. Damit ist das grundsätzliche rechtliche Problem aber nicht aus der Welt: nachträglicher Eingriff des Staates in Privatverträge, die bei ihrem Abschluss rechts- und gesetzeskonform waren. Das wird sicher auch Thema in Karlsruhe.



ArnoAbendschoen - 15.04.2021 um 22:01 Uhr

So, nun also amtlich: alles verfassungswidrig. Entscheidung im Senat einstimmig, er hielt nicht mal mündliche Verhandlung für notwendig.

Auch juristische Laien konnten schon bislang bei einem Blick ins BGB vermuten, dass die Sache oberfaul war. Und rückwirkende Eingriffe in privatrechtliche Verträge, die bei Abschluss rechtskonform waren, das ist der Tabubruch schlechthin.

Der Zweck heiligt nicht die Mittel, jedenfalls nicht vor Gericht.




Kenon - 15.04.2021 um 23:12 Uhr

Mir klingt es noch in den Ohren, dass der Berliner Mietendeckel ein Export-Schlager werden würde - verschiedene R2G-Politiker hatten sich siegesgewiss dahingehend geäußert, selbst in jüngerer Vergangenheit. Nun müssen sich viele Mieter auf Rückzahlungen gefasst machen. “Deutsche Wohnen” kündigte Nachforderungen an, während der Konkurrent “Vonovia” auf diese - auch aus Rücksicht auf das für viele finanziell schwierige erste Corona-Jahr - verzichten möchte.

Im Grundgesetz wird kein ausdrückliches Recht auf Wohnen gewährt, allerdings ist es ein Menschenrecht, das in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICCPR) festgehalten wird.

Ich kenne mich auf dem Gebiet wenig aus und merke, dass ich schnell in Aporien gerate, wenn ich anfange, darüber nachzudenken. Natürlich leben wir in einem Rechtsstaat und in einer Marktwirtschaft, was viele Vorteile mit sich bringt, andererseits ist es schwierig zu verstehen, warum jemand mehr Wohnraum besitzen darf als er selbst direkt nutzen kann - gerade auf einer Erde, die dem Einzelnen aufgrund des Bevölkerungswachstums immer weniger Platz bietet. Verböte man ihm das jedoch, würde es vermutlich einfach zu einem explosiven Zuwachs an Treuhandverhältnissen kommen.




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