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-- Politik & Gesellschaft
--- Kleider provozieren die Meute

Kenon - 02.04.2019 um 22:43 Uhr

Berlin gilt als tolerante Stadt. Stimmt das? Ich habe dazu keine allgemeinen Daten. Allgemeine Daten sind auch nicht besonders relevant für das eigene Erleben. Wenn es Dich trifft, trifft es Dich - was hilft einem dann die Statistik? Wahrscheinlich ist die Stadt schon einer der toleranteren Flecken im Osten Deutschlands, was selbstverständlich und leider nicht besonders viel heißt. Lassen wir es erst einmal so stehen: Berlin ist eine relativ tolerante Stadt. Das persönliche Gegenteil zu beweisen ist für mich aber doch ziemlich einfach, wenige Äußerlichkeiten reichen, um verbale homophobe Angriffe hervorzurufen. Manche fühlen sich bereits durch orange Schuhsohlen provoziert, auf die blaue Lederjacke aus dem Winterschlussverkauf (50% off) ist ebenfalls Verlass, am sichersten aber wirkt die ränderlose Brille mit den schmalen, billigen goldenen Bügeln, dann kann weder die trainierte Teenager-Bratze (steht auf seinen Kumpel) im dunklen Sportanzug, die kleinwüchsige Jungmutter (blondiert) in weißen Jeans, der morgens schon angetrunkene Fußballnarr im schwarz-rot-goldenen Karnevalskostüm (Witzfigur und er weiß es) oder der arabisch-stämmige Migrant (redefreudig) mit seiner Afrofrisur an sich halten. Wahrscheinlich ist es einfach nur stumpfer Neid, blanke Dummheit sowieso. Soll ich deswegen auf diese Kleidung verzichten? Sicherlich nicht. Es gibt hier im Kiez ja auch noch den brutalen Vollalkoholiker - längst in einem der letzten Stadien des professionellen Säufertums -, der jeden Mann, der ihm begegnet, homophob herausfordert. Dem ist egal, wie Du herumläufst. Der schimpft und schimpft und macht Dich an. Lange ist der nicht mehr hier (und das - ohje - “ist auch gut so”). Warum ihn überhaupt wahrnehmen?
Andererseits ist da noch die traurige Sache mit den Afrikanern. Wenn sie mich sehen, erschrecken sie plötzlich, schalten auf Survival und vergrößern den Abstand, dabei will ich ihnen ja gar nichts böses. Die Bösen - das sind die anderen.




ArnoAbendschoen - 08.04.2019 um 12:29 Uhr

Zu dem Sachverhalt im engeren Sinn kann ich kaum etwas beitragen. Persönlich habe ich so gut wie nie solche Erfahrungen gemacht und Derartiges auch nur höchst selten als Beobachter wahrgenommen. Vermutlich ist diese Differenz bezüglich Erfahrungen auch eine Frage von Lebensalter und Generation. Ich habe schon länger den Verdacht, dass sich hinter der heutigen Fassade von Toleranz ihr widersprechende und leider zunehmende Tendenzen verbergen.

Was mich stutzen ließ, ist die Verwendung des Begriffs "Meute". Es handelt sich doch um jeweils individuelles, spontanes aggressives Fehlverhalten einzelner Zeitgenossen? Der Begriff würde angebracht sein, wenn diese Einzelaktionen auf der Basis einer allgemein verbreiteten Einstellung erfolgten, gewissermaßen reflexhaft und, obwohl singulär, in der Summe doch massenhaft. Der Text scheint mir eine solche Deutung nahezulegen.

Vielleicht ist auch das Phänomen selbst nicht isoliert zu betrachten, vielleicht ist es nur ein Ausschnitt. Ich sehe einen Ungeist sich breitmachen, einen Hass aller auf alle und alles, eine ebenso destruktive wie leicht verführbare Geisteshaltung. Dass Berlin davon weniger betroffen wäre, halte ich für eine Selbsttäuschung, von Politik und Medien inszeniert.




Kenon - 09.04.2019 um 23:28 Uhr

Ich selbst messe dem Titel nicht zu viel Bedeutung zu; er ist tatsächlich auch zuletzt entstanden. Letztlich braucht ein Text einen Titel, um klickbar zu sein und geklickt zu werden. Du hast natürlich Recht, dass das Wort Meute sonst anders gebraucht wird; die Personen haben isoliert gehandelt, aber letztlich doch sehr ähnlich, so dass ich sie schon als Gruppe sehe. Es ist vielleicht nicht besonders gut gelungen, aber natürlich ist der Titel eine Abwandlung von “Kleider machen Leute”. Ich hatte auch mit einem sehr langweiligen Titel geliebäugelt, der sich dann mit dem Textkörper kontrastiert, nur wollte ich in dem Moment der Entscheidung mehr von meinem Ärger hineintragen.
Auch wenn ich nicht direkt involviert bin, beobachte ich im Berliner Alltag sehr viel Aggressivität.




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