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-- Literaturgeschichte & -theorie
--- Schlag nach bei Pongs
ArnoAbendschoen - 05.06.2018 um 18:32 Uhr
Arglos, ja unwissend war ich damals, als ich in einem Modernen Antiquariat für ein paar Mark sein „Lexikon der Weltliteratur“ erstand. Der Literaturwissenschaftler Hermann Pongs (1889 – 1979) war mir vorher kein Begriff gewesen. Ich besitze dieses „Handwörterbuch der Literatur von A – Z“ noch immer, schlage gelegentlich darin nach, weniger um mich zu informieren als vielmehr mich zu amüsieren. Ich spreche hier von der 1984 posthum im F. Englisch Verlag erschienen Neuausgabe, nicht von dem ursprünglichen „Kleinen Lexikon der Weltliteratur“ von 1954. Auf dieses hatte damals „Die Zeit“ mit liberal hüstelndem Wohlwollen reagiert: Es sei „natürlich etwas subjektiv geraten … Über manche Deutungen und Formulierungen lässt sich streiten, es sind nicht alle gleich gut geraten, einige komisch verzerrt … Trotzdem ist die Leistung sehr beachtlich und anregend, auch für solche nützlich, die die Literatur erst kennenlernen wollen …“
Das soll kein Aufsatz über den Professor Pongs werden - er soll vor allem selbst zu Wort kommen. Vergegenwärtigen wir uns vorher, dass ihm 1969 die Humboldt-Gesellschaft für seine Lebensleistung die Humboldt-Plakette als Ehrengabe verlieh. Und vielleicht schwant uns, dass in Zukunft einmal über Koryphäen von heute ähnlich geschmunzelt oder auch die Stirn gerunzelt werden könnte …
Ich stelle mich also jetzt mal dumm, wie einer, der „die Literatur erst kennenlernen“ will. Erfahre ich für mich Nützliches? Erster Versuch: Dostojewski. Pongs vermittelt mir tatsächlich aufregend Neues: „D.s Tochter führt die moralische Stärke D.s auf Einschuss uralten Normannenblutes im Litauererbe zurück.“ Und Joseph Roth hat einen „asphaltglatten Stil, der durch die naiven Impulse des ostgalizischen Ursprungs lebendig unterströmt wird.“ Blut oder Asphalt, bei Pongs scheint immer etwas zu fließen. Wedekind ist „ein Partner Freuds“. Und Freud dann Partner von Wedekind? Hermann Bang kam „aus überalterter Familie“. Was soll das heißen - degeneriert? Bei André Gide erkennt Pongs einen „pervertierten Trieb“, kreidet ihm „Verherrlichung der Homoerotik“ an und wirft diese mit „Knabenliebe“ in einen Topf. Besonders schlecht kommt Doderer weg: „Spiegel schlechthin unbewältigter Widersprüche, als ‚Universalität’ ausgegeben.“ Er wirft Doderer „die Poesie des Spießers“ vor, „österreichische Selbstverliebtheit“, „Verflachung der Theresianischen Kultur“ usw. usf. Prof. Pongs widmet Doderer auffallend viel Raum. Die Parallele wie Differenz zwischen beiden: Doderer, ab 1933 NSDAP-Mitglied, trat 1940 mit inzwischen erreichter Distanz zu den Nazis in die katholische Kirche ein, Pongs im selben Kriegsjahr erst in die NSDAP.
Allmählich werde ich süchtig nach solchen Pongs-Zitaten, das muss mein „pervertierter Trieb“ sein. Also weiter auf Entdeckungsreise durch sein Lexikon, diesmal vom ABC geleitet. Was finden wir denn da?
À la recherche du temps perdu: „Das Laster hat sich schimmelpilzartig vermehrt …“
Bergson, Henri: „Bergsons letzte Wirkung bestimmt sich danach als explosiv, nicht als konstruktiv für eine neue Grundlegung vom Sein.“
Dauthendey, Max: „ … aus ursprünglich spanischem Geschlecht … Von Russland brachte er (Dauthendeys Vater, A.A.) sich die Frau mit, aus dem Kreis süddeutscher Kolonisten, eine herrnhutische Protestantin, auch von dunklem Typus.“
Éducation sentimentale: „Der Dichter zwielichtet selbst: sagt er Ja oder Nein zu solcher Liebe?“
Hofmannsthal, Hugo von: „Von der Großmutter ital. Blut, von der Mutter sudetendeutsches, vom Vater jüdisches …“
Huch, Ricarda: „ … von männlichem Geist.“
Kafka, Franz: „Kafka bedeutet nur erst ein Fragezeichen, gesetzt hinter alle Werte abendländischer Kultur.“
Pavese, Cesare: „ … durch die Selbstmarter seines ‚Tagebuchs’ und die Konsequenz seines Selbsttods berühmter geworden als durch seine zwiespältigen Werke.“
Strindberg, August: „ … von Geburt an in unselige Zwiespälte verstrickt, die sein Weltbild verwirren …“
Thoma, Ludwig: „Th. ist kein Bauer, sondern Studierter, doch aus altem Försterblut …“
Tschechow, Anton: „Menschenverachtung und eine Art schadenfroher Humor halten sich die Waage …“
Updike, John: „Updike gilt stilistisch als arriviert, im Gegensatz zur Wahl seiner Themen.“
Weiß, Konrad: „Meister des einfachen Worts in der Lyrik, aus katholischer Substanz, oft geistdurchdunkelt.“
Wien: „Als Grenzstadt der Ostmark (sic!) Brücke zwischen West und Ost, Europa und Asien. Das kaiserliche Wien strahlt deutsches Wesen in den Balkan aus …“
Pongs befand sich aufgrund seiner Rolle als NS-naher Literaturprofessor ab 1945 in einem langjährigen Kampf um Stellung und Reputation. Die Stationen dieser Auseinandersetzung sollen hier nicht nachverfolgt werden. Es geht jetzt nur ums Lesen und Staunen: zu welch krassem Schwadronieren ein deutscher Hochschullehrer mal fähig war und dass er dafür erst ein Amt und später immer noch ein Publikum fand.
Aufschlussreich ist ferner, wie unbarmherzig er mit Hans Grimm („Volk ohne Raum“) abrechnet – es hat den Anschein, da wird ein mehr oder weniger weit entfernter Geistesverwandter stellvertretend geopfert. Auch seine starke Antipathie gegen Doderer mag sich aus für ihn ärgerlicher relativer geistiger Nähe erklären. Amüsant dann wieder, wenn er von Walt Whitman ein klar homoerotisches Zitat bringt, es ihm aber, anders als bei Gide, Proust und Platen, nicht ankreidet, sondern es in diesen Zusammenhang bringt: „Kameradschaft, Urzelle der Demokratie“. Also auch noch anpassungsfähig gewesen, der Herr Professor.
Kenon - 06.06.2018 um 08:16 Uhr
Da der Mann Geschichte und seine Werke ohne breiteren Einfluss sind, kann man seine völkisch-biologistischen Ergründungen heute durchaus amüsant finden. Weniger amüsant ist, dass das mal der herrschende Zeitgeist war.
Ehrlich: Ich würde mir das Buch zulegen, wenn der Platz hier nicht so knapp wäre. Deswegen Danke für diesen Artikel und die darin enthaltenen Zitate.
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