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--- Der Schmierfinke - Dana Polz

1943Karl - 03.01.2018 um 13:44 Uhr

Schule der Brutalität

Nicht nur in Deutschland beklagen viele die weltweite nahezu ungebremste Zunahme an Gewalt und Brutalität sowie an übler Hetze und Todesangst auslösenden Bedrohungen.
Kriege, Terrorismen, Hooligans, rechte Gewalttäter, politische Hetzer oder auch die rücksichtslose Fahrweise im Straßenverkehr sowie brutalste Raubüberfälle, nicht zuletzt von Jugendlichen an Jugendlichen ausgeübt, überschwemmen die Medien.
Somit ist es kaum verwunderlich, wenn auch eine Romanschreiberin sich mit gewaltätigen Geschehen und Fantasien auseinandersetzt.
Ungewöhnlich ist allerdings, wenn eine gerade einmal 22 Jahre alte Autorin sich abgrundtief - und somit zugleich alles andere als oberflächlich - dem Wesen und Entstehen lebensbedrohlicher vorwiegend männlicher Gewalttaten nähert.

Dana Polz, 1995 in Wiesbaden geboren und in der Bad Camberger Literaturszene beheimatet, hat mit „Der Schmierfink“ ein beachtenswertes Erstlingswerk als Romanautorin vorgelegt.
Und nicht zuletzt beweist damit auch die Edition Federleicht eine gehörige Portion verlegerischen Mutes und bietet einer weitgehend unbekannten jungen Literatin zu einem nicht gerade unbelasteten Thema eine derartige Chance.

Kaum eingeschult, fällt Linus Lopez ,Hauptfigur dieses ungewöhnlichen Romans, durch extrem asoziales Verhalten auf. Mit durchaus nachfühlbarem Vergnügen pinkelt er einer Klassenkameradin in den offenen Schulranzen.
Weder die Empörung seiner Lehrerin noch die bemüht verständnisvollen pädagogischen Anstrengungen des Grundschulleiters halten den vom Vater misshandelten Sohn einer schwer drogenabhängigen Mutter von weiteren Untaten ab.
Da der Vater die süchtige Mutter und schließlich auch sich selbst umbringt, kommt Linus zu Pflegeeltern, von denen er schließlich auf ein Internat abgeschoben wird.
Zunächst scheint er sich dort innerhalb der Schülergemeinschaft positiv zu entwickeln.
Doch an dieser Heimschule leben, lernen und lehren ausschießlich Jungen und Männer. Somit ist es kaum verwunderlich, dass dort exessiv männliche Rituale der Macht und Ohnmacht gepflegt werden.
In dieser Erziehungseinrichtung herrscht ein streng hierarisches Regiment, das ältere Schüler mit aufrecht zu erhalten helfen und dem ein scheinbar freundlicher, aber brutal konsequent durchgreifender Direktor vorsteht.
Sowohl er als auch andere Lehrer setzen ihre Macht und ihre Regeln unter anderem erbarmungslos mit schmerzhaften Stockschlägen und beißender, ehrverletzender Kritik durch.
Zudem birgt die Schule Geheimnisse, die an Brutalität und Lebensverachtung kaum zu überbieten sind.

Dana Polz bleibt als Erzählerin sehr glaubwürdig, obwohl sie sprachgewaltig und zugleich mit einer gewissen, notwendigen Distanz jene unglaublichen Vorfälle im Leben des Linus Lopez schildert.
Obwohl sie offensichtlich die aktuelle Jugendsprache ihres Protagonisten beherrscht, verwendet sie diese eher sparsam und schrieb damit kein Jugendbuch sondern eines für Erwachsene auf der Suche nach Gründen für die zunehmende Brutalität in unserer derzeitigen deutschen Gesellschaft. Allerdings bietet sie keine intellektuellen Erklärungen an, sondern überlässt die Geschehnisse des Romans deutungsfrei vor allem den Gefühlen ihrer Leserschaft.
Eine äußerst spannende Lektüre für nicht allzu zart besaitete Leserinnen und Leser.

Dana Polz, Der Schmierfink, Roman, Edition Federleicht, Frankfurt am Main 2017, 270 Seiten, 16.- €




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