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--- Max Dauthendeys Erzählungen

ArnoAbendschoen - 20.07.2017 um 18:42 Uhr

Asien war sein Sehnsuchtsort, Asien wurde zu seinem Schicksal. Max Dauthendey starb am 29. August 1918 auf Java infolge einer Malariainfektion. Er war einundfünfzig geworden und die letzten vier Jahre von den Behörden in Niederländisch-Indien als Angehöriger einer kriegführenden Nation festgehalten worden. Schon 1919 gab Walter von Molo bei Albert Langen einen Auswahlband zum Gedächtnis heraus: „Das Schönste von Max Dauthendey“. Er enthält zwölf Erzählungen und jeweils eingeschaltet wie eine Zwischenmusik Gruppen von Gedichten. Über Dauthendeys Lyrik hier nichts weiter, wenden wir uns gleich der Prosa zu.

Zehn der Geschichten spielen in Asien. Bei ihrer Lektüre taucht man rasch in die spezielle Dauthendeysche Welt ein: Pantheismus, Allsympathie, Eros als höchste Kraft, aber auch Eros kontemplativ. Unverkennbar ist das ein Autor zu Zeiten des Jugendstils, der das impressionistische Malen virtuos auf die Literatur anzuwenden verstand. Dabei überrascht die Aktualität des Erzählten. Die meisten Texte spielen nicht in einem idealisierten, legendären oder ironisierten Asien – Gegenbeispiele Hesses „Siddharta“ oder Th. Manns „Die vertauschten Köpfe“ -, sondern unverkennbar in der kolonialen Welt um 1900. Der Erzähler ist ein zeitgenössischer Europäer, der das Bild des fremden Kontinents begierig aufsaugt, tief eindringt und dennoch gelegentlich befremdet an Grenzen des Nachvollziehbaren stößt.

Die Vitalität der östlichen Kulturen erweist sich anhand sehr origineller Plots. In „Himalayafinsternis“ erlebt ein Reisender verblüfft, wie durchsetzungsstark der „Aberglaube“ einer Witwe noch sein kann. „Der Garten ohne Jahreszeiten“ präsentiert ein ceylonesisches Paar, das sich verliert und, indem es sich Trennung und Promiskuität willig überlässt, erst recht wieder zusammenfindet. „Im blauen Licht von Penang“ ist einer der schwächeren Texte des Bandes. Hier gibt Dauthendey einmal dem europäischen Bedürfnis nach einer „typisch“ asiatisch-okkulten Geschichte nach und erreicht nur etwas Schablonenartiges. Historisierend japanisch dann zwar „Der Wildgänse Flug in Katata nachschauen“, es ist dennoch eine lebendig wirkende Studie über Kalligraphie und Naturbeobachtung. „Likse und Panulla“ sind zwei Frauen in Singapur, die es fertigbringen, sich wechselseitig zu ermorden, woraufhin die eine Leiche der anderen noch einen Vortrag über Todestrieb und Mordlust und die Vitalität dahinter hält. Eros als etwas Absolutes ist das Thema in „Das Abendrot zu Seta“. Eine japanische Witwe erlebt auf Pilgerreise in einem Kloster ein perfektes amouröses Abenteuer. Als der Unbekannte seine normalbürgerlichen Züge enthüllt, verfällt sie tiefer Enttäuschung und entschädigt sich, indem sie so lange ins Abendrot schaut, bis sie erblindet: „Dann starb sie lächelnd.“ In „Der unbeerdigte Vater“ kommt in China ein Erdbeben zur rechten Zeit ins Spiel. Was hier erzählerisch noch funktioniert, ein Deus ex machina, der den tiefen inneren Zusammenhang aller Geschehnisse zeigen soll, versagt in „Den Abendschnee am Hirajama sehen“. Die Reise einer Berlinerin, die gerade einen Japaner geheiratet hat, beginnt mit philosophischen Streitgesprächen und endet als Horrortrip, dessen allzu konstruierter Höhepunkt ein Schiffsunglück wird. Hier, bei diesem fatalen West-Ost-Dualismus, kann man schon an Stoffe von E.M. Forster denken. Erst recht ähnelt der Plot in „Eingeschlossene Tiere“ der Beziehung zwischen Dr. Azis und Miss Adela in Forsters „A Passage to India“, das aber erst Jahre nach Dauthendeys Tod veröffentlicht wurde. Noch etwas Asiatisches übersehen? Ja, „Die Abendglocke vom Mijderatempel hören“, buddhistisch legendenartig, will nur den Lehrsatz „Liebe größer als Unsterblichkeit“ beweisen, literarisch schwächer als die meisten anderen Texte im Buch.

In Europa spielen die erste und die letzte Erzählung. „Zwei Reiter am Meer“ beschließt den Band, so schön geschrieben wie Bilder von Böcklin oder Heinrich Vogeler gemalt. Inhaltlich ist es spekulativ, handelt von „Todesfestlichkeit“ und „Wiederkehr“: „ … es war die Festlichkeit der Schmerz und Freude ausgleichenden Todesstunde …“ mündet in: „Seine Todeswelle, raumloser als die räumlichen Wellen, die wir Lebenden fühlen, wollte sich vor uns verkörpern.“ Und dann wird am Klavier die Mutter des jung verstorbenen Komponistensohns, als sie etwas von ihm spielt, wieder jungmädchenhaft, ein Mirakel. Sprachlich ist das sehr gelungen, inhaltlich nachvollziehbar nicht für jeden.

Die Eingangserzählung „Zur Stunde der Maus“ liest sich wie eine belletristische Abrechnung mit Sigmund Freud. Es ist ein Drei-Personen-Drama: der Obsthändler, seine Frau und das schöne Ladenmädchen. Zunächst deckt die Gattin des Kaufmanns dessen ihm selbst unbewussten Wünsche auf, sie analysieren das gemeinsam und sind sehr vernünftig. Dann unterläuft ihr eine Fehlleistung, die den Tod des Mädchens zur Folge hat. Er sieht darin ihre unbewusste Tötungsabsicht und verzeiht ihr nicht – bis sie vor Gram sterbenskrank wird. Nun überzeugt er sich selbst gewaltsam von ihrer Unschuld und rettet sie dadurch fürs Leben. Das ist die Erledigung der Psychoanalyse mit deren eigenen Mitteln.

Bald hundert Jahre ist der schmale Band – und wie viele Denkanstöße gibt er noch immer.




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