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-- Lektüregespräche
--- Juni 2017
Kenon - 27.06.2017 um 22:27 Uhr
Felix Novikov - Behind the Iron Curtain. Confession of a Soviet Architect.
Für Architekturliebhaber sind die Bücher von DOM publishers ein Segen, nicht nur wegen der hervorragenden Städteführer, auch auf aufgrund der in größere Tiefen gehenden Werke der “Basics”-Reihe. Der Titel von Novikovs Buch verspricht viel. Packt hier ein preisgekrönter Architekt des Sowjetstaates aus? Beichtet er, gesteht er Schulden ein, bekennt er, wie er das öffentliche Gesicht eines Unrechtregimes mitgeprägt hat? Leider nein. Novikov breitet seine Architekturtheorie im Stile eines Lehrbuchs vor dem Leser aus, hin und wieder fügt er eine zarte Note der Kritik ein, Bedauern zu sagen wäre zu viel. Das hebt er sich auf für das Verschwinden oder Umgestaltetwerden der Gebäude, die im sogenannten Kommunismus entstanden sind. Natürlich hat das Sowjetsystem teilweise faszinierende Gebäude hervorgebracht, ich denke an eine dunkle Faszination, wie sie vielleicht auch von den Plastiken Arno Brekers oder Josef Thoraks ausgehen kann. Aber man soll den Menschen nicht verübeln, wenn sie die Zeugen dieser dunklen Zeiten loswerden wollen - und sei es mit Hilfe selektiv gelesener Baugutachten. So ist es auch in Ordnung, wenn Berlin den Asbest der “Republik” beseitigt hat und sich wie Braunschweig ein Betonschlösschen “rekonstruiert”. An der Warschauer Altstadt ist auch weniges echt und trotzdem wird sie geliebt, wie sie ist.
ArnoAbendschoen - 29.06.2017 um 22:26 Uhr
Verlief die Entwicklung der Architektur in der SU denn vergleichbar der in der DDR? Gab es nach dem Neoklassizismus einen "internationalen Stil"?
Ich bin nur wenig vertraut mit der Materie und meine unmaßgeblichen Eindrücke von den Berliner Architekturzeugen sehen etwa so aus: a) Karl-Marx-Allee: imposant, zugleich Abstand gebietend und im Hinblick auf den Aufwand an Material und Arbeitskraft wohl seinerzeit ein seltsamer Luxus - b) Alex: geht so, insgesamt eher groß als schön, Kongresshalle nicht übel - c) Nikolaiviertel: an Uneleganz kaum zu überbieten. Mir ein Rätsel, wieso das ein Touristenmagnet ist. - d) Plattenbauviertel: die älteren (z.B. Friedrichsfelde-Süd) scheinen mir städtebaulich noch am gelungensten.
Kenon - 04.07.2017 um 08:26 Uhr
Ich versuche es mal kurz, sicherlich kann Wikipedia viel mehr beitragen als ich. Ganz grob betrachtet gibt es zwei Perioden der sowjetischen Architektur, die mit der Existenz der DDR zusammenfallen: Die stalinistische Periode, zu der die von Dir erwähnten Gebäude der Stalin-/Karl-Marx-Allee in Berlin gehören, in der näheren Umgebung Berlins sind das Dichterviertel in Ludwigsfelde und selbstverständlich Stalin-/Eisenhüttenstadt selbst erwähnens- sowie besuchenswert. Chrustschow hat dann nach dem Tode Stalins ein ökonomischeres Bauen gefordert; die verzierten Fassaden und die überbordende Monumentalität waren passé, es ging vor allem um das massenweise Schaffen billigen Wohnraumes, das seinen prägendsten Ausdruck in den mittlerweile Chrutschowki (Sg. Chrustschowka) genannten Wohnhäusern gefunden hat: Fünfstöckige, sehr einfache Typenbauten. Fünfstöckig, weil sie nach sowjetischen Vorschriften keinen Fahrstuhl benötigten und damit billiger waren als Häuser mit Fahrstühlen, sie ermöglichten ihren Bewohnern ein halbwegs individualisiertes Leben mit privaten Rückzugsbereichen - zuvor war die Komunalka (Gemeinschaftwohnung) die Norm; Typenbauten, weil man sie industriemäßig “herstellen” konnte. Häuser solcher Art sollen übrigens gerade in Moskau großflächig gegen den Willen ihrer Besitzer abgerissen werden; freilich bieten sie wenig Komfort und verschwenden aufgrund ihrer geringen Höhe viel Bauland, andererseits sollte auch in Russland inzwischen ein Eigentumsrecht gelten.
Mit Chrustschow hat sich die sowjetische Architektur auch wieder der Welt geöffnet und einen verspäteten Anschluss an die Moderne gefunden. Heute redet man von Sowjetmoderne (eine Wiener Ausstellung datierte sie auf die Jahre 1955 bis 1991) oder in Deutschland von Ostmoderne - aktuell sehr heiss in Potsdam, wo man einiges an DDR-Architektur abreißen und altes wiederentstehen lassen möchte.
ArnoAbendschoen - 04.07.2017 um 23:23 Uhr
Danke, Kenon, für die leicht fassliche Darstellung.
Was den Umgang mit Erhaltenem aus jenen Zeiten bei uns angeht, plädiere ich für Entscheidung von Fall zu Fall. Die großen Bauten rund um den Alex würde ich gern erhalten sehen und auch die Freiräume dazwischen. Es passt, auch wenn im Einzelnen keineswegs immer sympathisch, doch zur Funktion des Zentrums einer Millionenstadt und seiner leicht gigantomanischen Ausstrahlung.
In Potsdam liegen die Dinge aber anders. Den Landtag in das äußerlich rekonstruierte Schloss zu verlegen, scheint mir eine ausgesprochen gute Lösung, im Unterschied zu dem Berliner Projekt, bei dem nichts zueinander passt. Mir gefallen auch die Rekonstruktion des Alten Markts und die Pläne für einen kleinteiligen Ersatz der Fachhochschule. Potsdam ist eben so viel kleiner als Berlin und in seiner Funktion viel begrenzter.
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