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-- Prosa
--- Hamburg: Annäherungen. Entfernungen

ArnoAbendschoen - 04.04.2017 um 22:09 Uhr

Immer wieder diese Konkurrenz Hamburg – Berlin … Mit neunzehn erstmals an die Spree gekommen, wollte ich auch nach Hamburg – und verzichtete dann weise, unweise auf den zweiten Teil der Reise und blieb in Berlin, erst für den Rest des Urlaubs, dann auf Dauer, wie ich damals glaubte. Nur dort schien mir das Leben vielversprechend, lebenswert.

Hamburg sah ich erstmals drei Jahre später flüchtig aus dem Fenster einer S-Bahn vom Hauptbahnhof nach Altona, wo der Zug nach Sylt abfuhr. Die Alster kaum wahrgenommen, die Häuserblocks vom Schienenstrang meist weggerückt – blasses, fernes Bild der Stadt, auf die ich nicht neugierig war. Bald wollte ich fort aus West-Berlin – wehe, einer schrieb: Westberlin! und ich hatte seine Begrenztheit schon gründlich satt -, entweder nach München oder nach Köln. Hamburg war nicht mal dritte Wahl. Aber dann …

… verliebte ich mich unglücklich und fuhr an die Elbe, Spitz auf Knopf im Liebeskrieg, ach! nur ein Scharmützel. Strom und Hafen nahm ich kaum wahr. Wohl aber die zyklopische Mönckebergstraße mit Kaufhausburgen, zwischen denen rotweiße Spielzeugtrams in rascher Folge dahinsurrten, und eine Villa in Othmarschen - er war Student und Untermieter bei einem älteren Drachen. Zwei Abende auf dem Balkon, wir starrten in blauschwarzer Dämmerung auf die verschwimmende Blütenpracht der Gärten - dann war’s vorbei. Halt: vorher noch Teetrinken im Blankeneser Witthüs, recht öde. Hätte ich Hans Henny Jahnn schon gelesen, hätte ich mir da im Hirschpark was imaginieren können.

Dann jahrelang ab und zu ein Wochenende in Hamburg verbracht, ohne dem Genius loci näherzukommen. Nur Nächte in St. Georg, von erregend bis langweilig und folgenlos zum Glück.

Das Entscheidende damals geschah in Berlin, nicht in Hamburg, aber darüber nichts weiter - die Figur des Ich-Erzählers erweist sich als Fiktion, indem alles authentisch ist, doch Zentrales meist verschwiegen wird. Jedenfalls zog ich eines Tages an die Elbe und lebte da fast zwei Jahrzehnte, mal mehr, mal weniger zufrieden; meistens weniger. Berlin – seine Geselligkeit - fehlte mir anfangs sehr, dann vergaß ich es fast vollständig. Am glücklichsten war ich in Hamburg, als ich einmal zermürbt und verstört aus New York zurückkam: was für eine gut funktionierende normale norddeutsche Großstadt – deren breit hingelagerte, Urbanität nur vortäuschende Bräsigkeit ich auf Dauer dann doch nicht ertrug. Also zog ich aufs Land, wurde Fernpendler, zwölf Jahre lang, und bemühte mich erfolglos, noch ein guter Kleinstädter zu werden. Hamburg, das war jetzt nicht mehr als zweimal täglich die Hetze des Umsteigens im viel zu engen Hauptbahnhof und immer derselbe Mittagsspaziergang in der Neustadt mit ihrem ewigen, lästigen Bauboom …

Erst im Ruhestand näherte ich mich dieser Freien und Hansestadt, wie es im Notardeutsch heißt, als gäbe es noch eine andere, wieder an. Ich war viel unterwegs in der Stadt, vor allem zu Fuß, auf den Spuren von Jahnn und auch von Hubert Fichte, wieder im Hirschpark, auch in Stellingen und in Lokstedt. Ich fand die Gräber der beiden Autoren auf dem Friedhof Nienstedten. Überhaupt waren mir lieber als das Zentrum die Vorstädte, zumal die ärmlichen: Harburg oder Billstedt.

Noch einmal musste umgezogen werden, so viel war klar. Nur wohin? Ich machte mir nichts mehr vor und sah die Dinge jetzt so an: Nur von Zufällen war mein Vagabundieren bestimmt gewesen. Meinen Lebensstil konnte ich fast überall praktizieren, es gab keine idealen Orte. So pragmatisch gestimmt, fuhr ich einmal auch wieder nach Berlin. Ich verglich eine Reihe von Städten untereinander und siehe da, unterm Strich sprach in der Quersumme aus Lebenshaltungskosten, Wohnungsmarkt, Infrastruktur und Klima das meiste doch wieder für die Hauptstadt. Zwar waren die Unterschiede nur graduell, doch Hamburg war allenfalls dritte Wahl - immerhin (verglichen mit damals).

Ich nahm mir also eine Wohnung in Berlin und – aber das ist schon eine andere Geschichte.




Kenon - 12.04.2017 um 00:18 Uhr

Mein bescheidener Eindruck ist, dass sich in Berlin niemand um Hamburg schert und dass es in Hamburg genau anders herum ist. Die eine Stadt hat, die andere will. Wer hat, muss nicht wollen, wer will, will haben, werden, sein. Noch schöner war Berlin früher. Überhaupt: Berlin, London, Madrid, Barcelona. Alles austauschbar. Überall die gleichen hippen Hostels, Bars, Clubs, Restaurants, Straßenmärkte bla bla bla Touristen bla bla bla Touristen und Drogendealer, Schnapsverkäufer, Autovermietungen, Second Hand Läden, Bartträger, Sonnenbrillenträger, Hosenträgerträger. Aber die Elbphilharmonie finde ich ganz cool. Super Glassegel, die auf Backstein gelandet sind. Und ausverkauft ist auch schon alles. Alles ausverkauft!



ArnoAbendschoen - 12.04.2017 um 00:56 Uhr

Kenon, darin pflichte ich dir bei: Austauschbarkeit ist Hauptcharakteristikum wie -übel dieser großen Städte heute.

Die Elbphilharmonie kenne ich nur von außen und finde sie insoweit fürchterlich. Sie dominiert das Bild von Stadt und Hafen wie ein Riesenklunker am Hals einer neureichen Frau. Alles Hanseatische wird somit durch sie konterkariert. Von nahem, etwa direkt aus der Hafencity, wirkt sie ausgesprochen bedrohlich.

Richtig ist, dass das Verhältnis Berlin - Hamburg einseitig ist, wie von dir ausgeführt. Allerdings wird in Berlin die andere Stadt immer dann gern als positives Beispiel angeführt, wenn man in einer Sachdebatte die eigene Meinung durchsetzen möchte. Berlin möchte Berlin bleiben, aber manchmal so funktionieren wie - angeblich - Hamburg.




Itzikuo_Peng - 12.04.2017 um 13:44 Uhr

Interessant, was so in der kleinen vermeintlich weiten Welt außerhalb meines Universums los ist. Keine Kritik. Jedem seine Pläsirchen. Eigentlich habe ich ja zum Thema Großstadt gar nix zu sagen. Früher war ich mal Paris-Fan und verstand den Hype um Berlin nie, obschon Mutter Berlinerin und ich da studiert und Zeitlang gewohnt. Hat mir nie gefallen, hab mich nicht wohl gefühlt. Ich hab´s eher so mit Fuchs und Hase Gute Nacht und Rehe morgens um 6 beim Wandern im Pfälzerwald, oder mit Eisvögeln, Silberreihern und Schwänen an der Saar und am Dillinger Ökosee. Viele Menschen auf einem Fleck? Wie kann man nur da hinwollen? Also ich jedenfalls nicht. Naja, jeder ist anders gestrickt. Ein Segen. Sonst wären die ja alle hier bei mir im Wald.



ArnoAbendschoen - 12.04.2017 um 16:51 Uhr

Ittzikuo_Peng, den Hype zu befeuern, das lag mir mit meinem Text durchaus fern. Er (der Hype) ist wohl eher eine Gewohnheit von Touristen. Der hiesige Glamour ist zum Teil Kulisse, zum Teil Marketingstrategie. Tourismus ist hier jetzt der Wirtschaftsfaktor Nr. 1.

Wer hier lebt oder hierher umzieht, hat dafür zumeist triftigere reale Gründe: z.B. persönliche Beziehungen, Beruf, Ausbildung. In meinem Fall kam noch hinzu, dass Berlin die zentrale Stadt in Brandenburg ist, das ich vom Frühjahr bis zum Herbst sehr oft besuche. So wie ich in früheren Zeiten auch im Pfälzerwald oder an der Saar war (da komme ich ja her), treibe ich mich jetzt eben viel zwischen Havel und Oder herum und habe dabei ähnliche Eindrücke wie die von dir erwähnten.




Itzikuo_Peng - 13.04.2017 um 20:36 Uhr

Zitat:

Ittzikuo_Peng, den Hype zu befeuern, das lag mir mit meinem Text durchaus fern.
Klar. Ist ja auch ein schöner Text. Gut, dass es Menschen und Schreiber gibt, die sich überhaupt noch in stilistisch ansprechender Form einem Thema widmen.

Zitat:

Wer hier lebt oder hierher umzieht, hat dafür zumeist triftigere reale Gründe: z.B. persönliche Beziehungen, Beruf, Ausbildung.
Ja, sicherlich. Trotz der thematisch viel strapazierten Globalisierung gibt es ja Wurzeln, Tentakel, die einen nicht loslassen usw. Und einfach so aus Jux und Dollerei ziehen vermutlich die wenigsten mal hier hin, mal da hin. Sonst würde ich schon lange an der Nord- oder Ostsee sitzen, klimatisch, gesundheitlich usw.

Zitat:

... oder an der Saar war (da komme ich ja her) ...
. Interessant. :)

Zitat:

...treibe ich mich jetzt eben viel zwischen Havel und Oder herum und habe dabei ähnliche Eindrücke wie die von dir erwähnten.
Sicherlich. Der schönen Naturplätze sind gar viele.




Kenon - 20.04.2017 um 00:48 Uhr

Zitat:

Früher war ich mal Paris-Fan und verstand den Hype um Berlin nie

Berlin ist für mich als Wohnort in Deutschland alternativlos. Es ist arm und nicht sexy, hat den schlechtesten Flughafen der Welt (SXF), es ist unfreundlich, schmutzig und furchtbar ineffektiv, die Döner sind billig und schwer zu genießen, aber man kommt von hier schnell zum Beispiel nach Polen, Rumänien, Moldawien, kann sich unter all den Menschen wunderbar einsam fühlen, keiner guckt Dich an, es sei denn, Du guckst ihn falsch an. Es ist egal, welche Kleidungsmarke Du trägst. Früher einmal, also zu Märchenzeiten, waren sogar Bier und Mieten günstig. Heute isst man bei Burgermeister und trägt das geile Obst/Gemüse tütenweise aus den Bioläden in seine schön sanierte Altbauwohnung mit Holzdecken, Klebestuck und Anklebbalkon. Mir gefällt es. Wirklich. Sehr.




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