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--- Sonntags - Picknick

Lily Roth - 27.03.2017 um 18:39 Uhr

Sonntags – Picknick

Als ich sie sah, stiegen mir sofort Tränen in die Augen und die Faust in meiner Magengrube ballte sich wie stets. „Du hast zu wenig Selbstbeherrschung“, sagte die innere Stimme. Es stimmt. Und wie immer schämte ich mich dafür. Wenn das jemand sah! Ein Mann weint nicht.

Wie verliebt sie doch alle sind! Und so hübsch, so nett und sauber. Sie riechen nach Parfum und Lebensfreude. Sie lachen und scherzen, ihre Stimmen perlen wie der Champagner den sie oft in ihren Picknick – Körben haben. Was würde besser passen als Champagner? - d a s Getränk für alle, die das Leben feiern.

Obwohl es mir ein wenig peinlich ist beobachte ich sie gerne. Eine kurze zeitlang mitschwelgen in ihrem Glück wird ja wohl nicht verboten sein. Natürlich achte ich darauf nicht gesehen zu werden. Das wäre nicht gut. Es könnte sie stören. Schließlich kommen sie extra aus der Stadt hierher ins Grüne um ungestört ihre Zweisamkeit zu zelebrieren. Man darf sich nicht dazwischendrängen, man darf sie nicht ablenken oder gar aufschrecken, das würde ihren Fluss unterbrechen, ihren „flow“.

Letzten Sonntag schien die Sonne den ganzen Tag über, und selbst der Abend war mild. Ein herrliches Wetter für Verliebte. Ich brach bereits im Morgengrauen auf. Das ganze Dorf schlief tief und fest, ein paar Hähne krähten. Ich ließ die wenigen Häuser bald hinter mir, überquerte das Nassfeld und als die Sonne aufging tauchte ich in das kühle Blätterdach des Harzwaldes ein. Als würde ich eine Kathedrale betreten. Ich fühlte mich wie auf heiligem Boden. Automatisch bereuzigte ich mich.

Erst viel später, die Sonne stand schon hoch am Himmel, erschienen sie. Und die beiden waren ganz besonders reizend. Ein Paar wie aus einem Film. Er rief sie „Eva“ - eine Frau wie aus dem Paradies: blutjung, groß, schlank, blonde Locken und ein Lächeln bei dem das Herz aufgeht. Auf ihrem leichten Sommerkleid blühten mehr Blumen als auf der Wiese; ich bildete mir sogar ein sie riechen zu können. Aber da ging natürlich meine Phantasie mit mir durch. Sie nannte ihn „mein Hase“. Er hätte glatt Schauspieler sein können. Ein Typ, wie Frauen ihn lieben und Männer ihn fürchten. Ein Mittdreißiger, an die Einsneunzig, mit breiten Schultern und achtenswerten Muskeln. Seine Gesichtszüge waren markant, sein Lächeln luftig – leicht – sympathisch. Er hatte nichts Primitiv-Aggressives an sich, er wirkte einfach stark und männlich.

Sie kamen über die Wiese wie zwei bunte Schmetterlinge, die sich tänzelnd umkreisen, von Blüte zu Blüte schweben, sich necken und reizen. Am Waldrand breiteten sie schließlich ihre Decke aus, stellten ihren Korb ab und hatten tatsächlich eine Flasche Champagner dabei. Dass sie aus Papierbechern tranken zerbrach die romantische Stimmung keineswegs – die beiden pulsierten vor Romantik. Sie packten Schinken, Käse, Oliven, Tomaten und Brötchen aus und lachten und aßen und tranken und lachten. Ihre Fröhlichkeit war ansteckend – fast hätte ich mich dazu hinreißen lassen mitzulachen. Dieses Pärchen tauchte unsere Wiese in einen prickelnden Neben aus Zärtlichkeit und Lust. Sie zwitscherten und turtelten und vögelten, dass es die reine Freude war.

Meine Tränen versiegten irgendwann, ab und zu schluchzte ich noch auf, aber dann beruhigte ich mich. „Es wird alles gut“, sagte die innere Stimme, „es wird alles gut.“ Die Faust im Magen lockerte sich nach und nach. Erleichterung. Wärme. Friede. Alles wird gut.

Ich betrachtete mein Liebespaar und stellte mir vor wie ihr Leben verlaufen würde – heiraten, Familie gründen, Karriere machen, glücklich sein, dann, einige Zeit später kleine Streitereien, Eifersüchteleien, so, wie es auch bei meinen Eltern war, so, wie es bei allen ist, und schließlich fängt er an zu trinken, und dann erwischt er sie mit einem anderen im Bett, er wird seinen Job verlieren und nicht mehr aussehen wie Sunnyboy, und sie wird nicht mehr die Eva aus dem Paradiese sein, sie werden verstoßen auf die Erde, sie werden in die Realität geworfen, er wird sie verprügeln und die eigenen Kinder ficken, und es wird ein Geheule sein und ein Zähneklappern, und. . .

. . . und davor werde ich sie bewahren.

Das haben sie nicht verdient. Keiner verdient das. Keiner.


„Picknick-Mörder wieder zugeschlagen“. Letzten Sonntag machten Eva S. (24) und Arnold K. (35) auf der Angerwiese im Harzwald ein Picknick. Sie hatten ihre Autos auf einem Forstweg am Waldrand geparkt. Als sie sich auf den Nachhauseweg machen wollten wurden sie überfallen. Der Hund eines Joggers stöberte am Montag Morgen ihre Leichen in einem Gebüsch auf, nur wenige Meter von den Fahrzeugen entfernt. Der Angreifer musste ihnen im Dunkeln aufgelauert, sie von hinten niedergeschlagen und mit mehreren Stichen getötet haben. Eva S. Und Arnold K. sind bereits das fünfte Liebespaar, das dem „Picknick-Mörder“ zum Opfer gefallen ist. Vom Täter fehlt nach wie vor jede Spur, sein Motiv ist unbekannt. Die Polizei ruft alle Anrainer, Feriengäste, Wanderer und speziell Paare im gesamten Großraum Harzwald zu größter Vorsicht auf.




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