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--- West-Berlin-Ausstellung im Ephraim-Palais

ArnoAbendschoen - 06.03.2015 um 16:22 Uhr

Die Ausstellung „West:Berlin – Eine Insel auf der Suche nach Festland“ ist vor allem eine Fleißarbeit mit extrem vielen Objekten – zu vielen für die beengten Räume im Ephraim-Palais. Räumlich hätte sie eher in die Berlinische Galerie gepasst, aber die ist noch sanierungsbedingt geschlossen. Doch auch die Struktur der Ausstellung befriedigt nicht. Dem aufgehäuften Material entspricht keine tiefgehende Analyse. Erfährt der Besucher, was das Leben in West-Berlin damals im Kern ausmachte? Eher nicht. Es gibt allenfalls kleine Aha-Erlebnisse und vor allem wieder einmal viel Mauerseligkeit. Der Fall der Mauer als Gründungsmythos fürs heutige Berlin – wie oft haben wir das schon gehabt … Dabei hatte die Abriegelung der Grenze bis 1989 für den Alltag durchaus nicht die heute gern suggerierte Bedeutung. Man stieß sich eben nicht permanent die Nase an der Mauer, damals in West-Berlin. Die Masse der Einwohner lebte bescheiden kleinbürgerlich dahin. Büro- oder Fabrikarbeit, Warendistribution und –konsum, Kneipenszene, Schrebergärten, Urlaub weiter weg – so sah das reale Leben damals für die meisten aus. Politik und auch Kultur waren nachrangig – drittklassig waren sie in der Stadt ohnehin.

Der geringe Anspruch der Ausstellung an sich selbst verrät sich z.B. in dieser Formulierung: „Die West-Berliner Presselandschaft war breit aufgestellt …“ Das ist nicht nur sprachlich banales Neusprech vom Allergewöhnlichsten, es trifft überdies in der Sache nicht zu. Jahrzehntelang hatten die Springer-Kampfblätter ein Beinahe-Monopol. Es gab noch den halbwegs liberalen „Tagesspiegel“, er war in mehr als einer Hinsicht schmalbrüstig. Wer seinerzeit durch tägliche Zeitungslektüre auf dem Laufenden bleiben wollte, griff zwangsläufig nach den großen überregionalen westdeutschen Blättern: „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, je nach Gusto.

Ein weiteres Beispiel: Nachdem die meisten Alternativ- und Protestgruppen gestreift wurden, kommt endlich im allerletzten Winkel der zweiten Ausstellungsebene und sorgsam abgeschottet durch eine zusätzliche Seitenwand was dran – die Schwulenbewegung. Sind wir in einen Beate-Uhse-Laden der frühen Siebziger geraten? Dabei war es auch der ständige Zustrom von jungen Lesben und Schwulen aus der westdeutschen Provinz, der die Halbstadt mit am Leben erhielt. Diese nachträgliche Marginalisierung ist bezeichnend für eine Gegenwart, die auf der anderen Seite einen alt und längst unpolitisch gewordenen Rosa von Praunheim nicht genug feiern kann, staatstragend, wie er inzwischen geworden ist.

Affirmativer als hier geschehen kann man das Thema West-Berlin nicht abhandeln. Auf eine kritisch erhellende Aufarbeitung jener Periode müssen wir wohl noch länger warten.

(Noch zu sehen bis 28.6.15, Poststraße 16, 10178 Berlin)




Kenon - 06.03.2015 um 21:52 Uhr

Zitat:

Jahrzehntelang hatten die Springer-Kampfblätter ein Beinahe-Monopol.

Ich tue mich immer etwas schwer, diesen Hass auf die Springer-Presse zu verstehen. In erster Linie hat sie um die Auflage gekämpft. Politik hat natürlich auch eine Rolle gespielt, sonst hätte sie kaum das Motto geziert, was vor ca. einem Vierteljahrhundert endlich in Erfüllung gegangen ist:

"Die Einheit des Vaterlandes in Freiheit - das ist unser Auftrag."

Dieses Motto war herausragend visionär, als viele die Einheit längst abgeschrieben hatten.

1976 sagte Axel Springer:

"Die Mauer ist eine Beleidigung jedes Menschen, der die Freiheit liebt oder nach ihr dürstet."

Das ist weit klüger gewesen als alles, was ich z.B. von Rudi Dutschke, der gern den Sozialismus in Westdeutschland eingeführt hätte, an Zitaten gesehen habe.

Ich kenne das Vorwende-Westberlin nicht aus eigener Anschauung. Vermutlich war es ähnlich provinziell wie heute, vielleicht auch ein bißchen verrückter. Politisch betrachtet kann man seine Existenz gar nicht genug würdigen. Von der DDR aus gesehen war Westberlin eine Insel der Glückseligkeit, Bewahrer einer großen Hoffnung:

Another life is possible




ArnoAbendschoen - 06.03.2015 um 22:27 Uhr

Kenon, es ging mir nicht um eine politische oder historische Bewertung der Richtlinien, die für Springers Redakteure verbindlich in ihrer alltäglichen Arbeit waren. Der von mir wörtlich zitierte Satz aus dem heutigen Text der Ausstellung ist schlicht unzutreffend. Wenn in der schon seinerzeit größten deutschsprachigen Stadt gut drei Viertel der Zeitungsauflage auf nur einen Verlagskonzern entfielen und dessen Blätter sich nur einer politischen Linie verpflichtet fühlten, dann kann keine Rede von "breit aufgestellt" sein. Genau das wurde ja auch jahrzehntelang immer wieder diskutiert und öffentlich beklagt.

Die Presse West-Berlins war extrem monopolisiert und die auswärtigen Zeitungen fanden damals einen im heutigen Berlin kaum mehr vorstellbaren Absatzmarkt vor. Zum Glück ist das alles Vergangenheit.

Arno Abendschön




ArnoAbendschoen - 06.03.2015 um 23:17 Uhr

Kleiner Nachtrag, der zum Thema West-Berlin und seine Zeitungen passt. Ich hatte seit dem Besuch der Ausstellung ein Zitat im Kopf und habe es jetzt wieder gefunden. Peter Härtling schrieb für das MERIAN-Heft über Berlin vom Januar 1970 den Aufsatz "Aufstieg zur Provinz". Darin heißt es zu der Behauptung, "der Kurfürstendamm sei der einzige deutsche Boulevard. Ein Boulevard, auf dem solche Zeitungen angeboten werden? Voller Engstirnigkeit und Verteufelung Andersgesinnter, voller Vereinsdenken und grauenhaftem Selbstbeweihräuchern?"

Zumindest was das Selbstbeweihräuchern angeht, steht die jetzige Ausstellung durchaus in dieser unguten Tradition.

Noch sarkastischere Stellen über West-Berlin, seine Zeitungen und seinen wahnhaften Geltungsdrang findet man bei dem von mir sehr geschätzten Barry Graves, z.B. in einigen seiner Texte für den SPIEGEL.

Arno Abendschön




Kenon - 06.03.2015 um 23:19 Uhr

Ja, gut, dass vieles Vergangenheit ist.

Gegen FAZ und SZ kommen die beiden ernstzunehmenderen journalistischen Tagesprodukte Berlins heute noch immer nicht an. Berlin benimmt sich zu gern groß, ohne es wirklich zu sein. Nur meine Meinung, natürlich.




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