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-- Lyrik
--- Die Narren sind los

avor - 13.02.2015 um 12:31 Uhr

Die fünfte Jahreszeit

Tatüüt-tatüüt –tatäättatäät!,
kräht vom Mist der Gockel.
Das Hühnervolk ruft: „Du bist spät,
es hat geläutet schon das Glockel.“

„Das sind jetzt die närrischen Tage!“,
rumort’s auch unter dem Rindvieh im Stall.
„Jetzt werden die Menschen zur Plage
bis Aschermittwoch, heut’ und überall.“

„Karneval“ rufen in Köln die einen,
„Fasching“ die Bayern, und andere meinen:
Die Fassenacht gäb’ es nur in Meenz.
Andere fragen: Was soll das Gedöns?

Bunt bemalt und närrisch kostümiert
grölen sie herum, ganz ungeniert,
ziehen durch Straßen und Lokale.
Alaaf – Helau – klingt’s auch im Saale.

Ob Narren oder Jecken –
man muss sich nicht verstecken,
ob man arm ist oder reich,
im Karneval sind alle gleich.

Ob man hoch gebildet oder mäßig,
ehrlich oder hinter Gittern säßig,
die Narren üben Fröhlichkeit
in ihrer fünften Jahreszeit.

Jeder, der auf sich hält wird kommen,
die Narren und die mäßig Frommen.
Die Apotheker mit Normalverzehrer,
Gymnasiasten und die Oberlehrer,
die Klofrau kommt mit Fliesenleger,
Aufsichtsrat und Schornsteinfeger,
ein Schwerathlet mit leichtem Anhang,
ein Rockpopsänger sorgt für Andrang.
Der Vorstand einer insolventen Bank,
heute ohne Gattin, sie ist krank,
und weil er nichts hat zu bereuen,
wird seine Sekretärin ihn zerstreuen.

Begrüßt werden die Honoratioren der Stadt
und gefeiert, wer Rang und einen Namen hat.
Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz
mit Narrenhut und Ordenskette um den Hals.
Sein Ex-Kollege aus dem nahen Hessen,
seinen Namen hat man schon vergessen.
Der Erzbischof mit Zugehfrau und Würdenträgern,
der Staatsanwalt in Robe kommt mit Nebenklägern.
Ein Gewerkschaftsboss küsst einen Ex-Minister,
ein Professor knutscht mit einem Jungmagister.
Die Ehre gibt sich auch ein Altganove aus Sizilien
mit Bodyguards und leichten Damen aus Brasilien
Einlass findet er hier ungeniert:
Als Polizeichef ist er nämlich kostümiert.

Krankenschwestern kommen nicht mit leeren Händen.
Auf Rollstühlen schieben sie herein Patienten,
denen Frohsinn verschrieben wurde zur Nacht.
Ein gütiger Chefarzt hatte es möglich gemacht.
Vom Komitee wird er deswegen hoch gelobt.
Ein Tusch für ihn, das Publikum tobt.

Begleitet von drei aufgeregten Politessen,
kommt ein Ehrenmann, der schon gesessen
wegen Steuerflucht, jetzt auf Bewährung,
ihm schmeckt im Knast nicht die Ernährung.
Er wird singen das Lied vom treuen Husar
zu Ehren des Richters, der so gnädig war,
ihn zu bestrafen mit der Höchstbelohnung.
Das strenge Urteil lautet: Haftverschonung.

Man weiß doch, niemand ist vollkommen,
trotzdem aber ist man gern willkommen,
solange die Leichen im Keller bleiben.
Man muss des Lobes auch nicht übertreiben.
Doch Großganoven, die über’s Ziel geschossen,
denen bleibt die Tür verschlossen!
Schweinepriester oder Kinderpornographen
muss man mit Verachtung strafen!
Auch wenn es sind bekannte Namen,
die sich zum Schein stets gut benahmen.
Wie einer, der im Königreich ein Fernsehstar,
zu spät entlarvt, weil er zu früh gestorben war.

Beim Karneval sind alle Narren gleich,
wen stört es, ob sie arm sind oder reich.
Nur die aus Wirtschaft oder Politik
deren Motto Börsenkick und Steuertrick
diese Herrn und Damen sind noch gleichter
für sie macht man Gesetze weicher.
Unbemerkt , dann wird es niemand stören,
wenn jetzt Fastnachtslieder sind zu hören.
Zur Bühne eilen bunt bemalte Herren und Damen,
begleitet von Schlangenbeschwören ohne Namen.
Die Narren begrüßen sich mit Helau und Alaaf!
Den andern wünscht man einen tiefen Schlaf.




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