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-- Rezensionen II
--- Jürgen Todenhöfer - Du sollst nicht töten

ArnoAbendschoen - 25.12.2014 um 20:56 Uhr

Todenhöfers jüngstes Buch, erschienen 2013, verbindet erneut praktikablen Pazifismus mit entschiedenem Antiimperialismus. Er verwertet darin vor allem Eindrücke von Reisen nach Syrien, Libyen und in den Iran. Davor macht er uns in Teil I mit dem vertraut, was ihn im Lauf der Zeit politisch geprägt hat, welche Schlüsselerlebnisse zu seiner heutigen relativ radikalen Haltung geführt haben. Immerhin hat er einen beträchtlichen Weg zurückgelegt, als aktiver CDU-Politiker war er lange militanter Antikommunist und ein maßgebliches Mitglied der „Stahlhelmfraktion“, also der äußersten Rechten seiner Partei im Bundestag. Todenhöfer scheint anfangs auf etwa hundert Seiten den Versuch zu unternehmen, die lebenslange Kontinuität seines Denkens und Fühlens darzustellen. Oder erst herzustellen? Doch wöge sein heutiges Urteilen denn tatsächlich im zweiten Fall weniger schwer – wohl kaum. Es mag sich um eine ganze Kette von Damaskuserlebnissen gehandelt haben, deren Endresultat wir jetzt vor uns haben.

Der Autor beginnt mit der Zerstörung seiner Heimatstadt Hanau, deren Bombardierung er als Vierjähriger miterlebte. Weitere Denkanstöße sollen Begegnungen im Algerienkrieg sowie das Gemetzel im tunesischen Bizerta 1961 gewesen sein, dann Eindrücke vom afghanischen Widerstand gegen die damalige sowjetische Besetzung des Landes. In Todenhöfers politischer Autobiografie folgen, für ihn nur konsequent, die Ablehnung der westlichen Interventionen in Afghanistan und im Irak. Wie schon in seinen früheren Werken sehen wir ihn dort nicht nur journalistisch, sondern auch karitativ tätig werden.

Teil II des Buches behandelt grundsätzliche Probleme der Konfliktlösung Krieg, und zwar nicht nur allgemein und theoretisch, sondern vor allem auch anschaulich anhand vieler Einzelbeispiele und –überlegungen. Todenhöfers starke Argumentation hier wäre einen Sonderdruck dieses Teiles wert, etwa um ihn in Schulen verteilen und diskutieren zu lassen. Aber keine Sorge, das wird nicht geschehen …

Ein kurzes Streiflicht auf den arabischen Frühling in Teil III leitet über zum Schwerpunkt des ganzen Buches, dem fürchterlichen Krieg in Syrien (Teil IV). Todenhöfer hat das Land seit 2011 wiederholt besucht, war unter anderem in Damaskus, Homs und Hama. Er hat dort neben Assad eine größere Zahl von dessen Gegnern wie Parteigängern oder auch Neutralen gesprochen, er zeichnet Kriegsschicksale nach und entlarvt Kriegslügen. Und er verteidigt sich geschickt gegen die zahlreichen Anwürfe in unseren heimischen Medien - lesenswert.

Die instabilen Verhältnisse in Ägypten als Intermezzo – natürlich war Todenhöfer auch dort wiederholt – und dann wird in Teil V „Die syrischen Tragödie“ vertieft und der Autor spricht noch einmal ausführlich mit Präsident Assad – und wechselt in Teil VI das Land. Nun werden der Iran und unser Problem mit ihm bzw. seines mit uns gebührend ausführlich, doch nicht ganz so detailliert wie im Fall Syrien, auf die schon gewohnte Weise abgehandelt: Reisen ins Land, Gespräche mit Funktionären wie einfachen Menschen, Eindrücke,
Analysen …

Das Buch hat auch eine Rahmenhandlung: Todenhöfer in Libyen oder Der Tod Abdul Latifs. Der Text beginnt mit einer Fahrt durchs revolutionäre Land, bei der ein von Todenhöfer sehr geschätzter, ja verehrter libyscher Begleiter durch Beschuss von Seiten der Gaddafi-Truppen getötet wird. Todenhöfer selbst gerät mit seinen weiteren Begleitern in Lebensgefahr. Wie sie ihr entkommen und was der Autor später in diesem Land noch sieht, hört, erlebt, das erfahren wir ausführlich erst gegen Ende des Buches. Diese belletristische Spreizung muss einem nicht gefallen, wie überhaupt die Abdul-Latif-Episode zu breit angelegt ist und die persönlich glaubwürdigen, ehrenwerten Gefühle des Verfassers unnötig viel Raum einnehmen. Knapper dargestellt würde diese schlimme Geschichte noch bewegender sein.

Zu den stilistischen Schwächen des Buches gehört für den Rezensenten auch Todenhöfers allzu laxer Umgang mit der Satzlehre. Nur eines von vielen Hunderten Beispielen: „Sie haben Parkas, Jeans oder Tarnhosen an. Sowie alte Stiefel oder Turnschuhe. Und dicke Wollmützen.“ Ein unvollständiger Satz kann sparsam verwendet wie ein Ausrufezeichen wirken, dermaßen inflationär vorkommend ermüdet er, erzeugt zumal beim Vorlesen den Eindruck von Gestammel.

Insgesamt sind das nur Geringfügigkeiten angesichts der Bedeutung des Buches. Todenhöfer ist einer der profundesten deutschen Kenner der arabischen wie islamischen Welt überhaupt. Er hat sich immer wieder in jene Länder begeben, gerade wenn es dort besonders brenzlig war. Was er berichtet, ist notwendige Ergänzung unseres sonst so dürftigen Wissens. Die Position, die er sich erarbeitet hat, hat besonderes Gewicht. Umso fataler sind die rein persönlichen Attacken, die vielfach gegen ihn geritten werden – unter konsequenter Vermeidung sachlicher Auseinandersetzung. Niemand tut sich oder uns damit einen Gefallen.




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