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ArnoAbendschoen - 24.07.2013 um 12:28 Uhr
Die renommierte Fotogalerie C/O Berlin zieht in Kürze um, und zwar ins frühere Amerika-Haus in der Hardenbergstraße am Bahnhof Zoo. Während drinnen noch gebaut wird, kann man bis zum 15.09.2013 draußen gratis eine lohnende Open-Air-Ausstellung über das Haus und seine Geschichte ansehen (historische Fotos und viel Text).
Zunächst wird die Straße als Ganzes und ihre Entwicklung präsentiert. Ein erster spektakulärer Anblick: Das Sportzentrum auf dem Gelände einer Italienausstellung um 1900, mit Eisbahn und Angeboten für diverse andere Sportarten: bombastische Kulissen aus abstoßenden Eisengerippen. Wie hässliche die Belle Epoque sein konnte … Es folgen die Provisorien des Amerika-Hauses nach 1945, eine Übersicht über solche Institute weltweit, ihre Zielsetzung.
Die Ansiedlung an der Hardenbergstraße wird ausführlich dargestellt. Erst sollte Gropius den Entwurf liefern, es scheiterte an seiner geldlichen Forderung. Der Entwurf eines anderen US-Büros wurde als zu modernistisch von der gerade ins Amt gekommenen Eisenhower-Administration abgelehnt – und diente dann doch als Basis für den schließlich umgesetzten Plan des Berliner Senatsarchitekten Grimmek. Die großen Qualitäten des 1957 eröffneten Hauses werden bildlich wie textlich gut ausgeleuchtet. Ebenso breit ist die Darstellung der einzelnen kulturellen Aktivitäten des Instituts über die Jahrzehnte hinweg ausgefallen. Die Schau klingt beinahe aus mit dem Bedeutungsverlust nach 1989 und erst recht ab 2001, der endlich 2006 zur Schließung führte – beinahe, denn da war noch etwas …
Die letzte Schauwand belegt mit Fotos und Texten die andere wichtige Seite des Berliner Amerika-Hauses: Es war über viele Jahre ein Kristallisationspunkt für linken Protest, für Demonstrationen, Anschläge, Straßenschlachten. Vielleicht hätte mehr Material hierzu ausgebreitet werden, eine andere Gewichtung innerhalb der Ausstellung erfolgen können. Immerhin: Der Rezensent glaubt sich auf einem Polizeifoto vom 9. Mai 1970 wiedererkannt zu haben – nicht als Demonstrant, nur als Beobachter Hardenberg-/Ecke Jebensstraße. Gleich wird er mit anderen Unbeteiligten – aber waren wir denn unbeteiligt? – vor Tränengas und Wasserwerfern in den quasi exterritorialen Bahnhof Zoo flüchten. Es müsste einen Zeittunnel geben, in dem man zurückkriechen könnte … Doch täte man es wirklich?
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