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-- Prosa
--- Der Pferdeschläfer von Wendel Schäfer

vimana - 01.01.2013 um 15:36 Uhr

Ein alter Bauer, Pferdenarr und Spökenkieker aus dem Friesischen liebte es, bei klarem Schnaps stundenlang hinter seinem Haus zu sitzen und seinen trüben Blick in das weite, flache Land zu bohren. Bis ihn meist Pferdelaute von der nahen Weide zurückholten. Die kamen von seinen eigenen Pferden. Wuchtige Tiere mit breiten Hintern und massigen Köpfen. Was da wohl alles drin steckte. Was in einem so dicken Pferdeschädel wohl vor sich gehen mochte. Nicht auf der Weide, nicht bei der Arbeit oder während dem Fressen und beim nur so Rumstehen. Das konnte sich der Bauer unschwer selber ausmalen. Nein, Jan Clasen wollte in den Pferdekopf hinein hören, wenn er frei von allen Einflüssen war. Am besten im Schlaf. Einmal wollte er sich ein Bild machen. Dann war das sicher etwas Einmaliges, die Befindlichkeit eines Tieres aus erster Hand, hier aus erstem Huf zu erfahren. Und das während ruhig gestelltem Hirn. Bei seinem Nachbar, dem Fuselhein, kannte er so etwas Ähnliches. Der gab auch nur etwas Brauchbares von sich, wenn er oben im Kopf weggetreten war. Ein Pferd in sich aufnehmen, wenn es allein und ungestört ist. Wenn es vielleicht seine Beschwernisse, Sorgen und Nöte preis gibt. Aber auch etwas über die wenigen Glücksmomente. Und was sich mit glücklichen Tieren alles anstellen lässt, wusste der Alte aus dem Fernsehen. Bauer Clasen malte sich aus, wie er ganz neue Umgangsformen kreierte. Er spintisierte von Massen verstandener, glücklicher Pferde. Von willigen, anstelligen, arbeitsfrohen Pferden. Und witterte beträchtlichen Gewinn daraus zu ziehen. So ähnlich verfuhr er damals mit seinen Schweinen. War das ewige Geschiebe, Gequieke, Balgen und kannibalische Anknabbern im viel zu engem Pferch leid und befreite das Borstenvieh von seinen Nöten. Mit einem Anruf beim nahen Schlachthof.
Eines Abends bemerkte der Bauer wie sein in die Jahre gekommenes Kaltblut sich zum Schlafen nicht niederlegen wollte. Es schlief im Stehen. Ganz sicher aus Sorge, am nächsten Morgen nicht mehr hoch zu kommen. Diese Angst kannte der Bauer mit zwei maroden Hüften nur zu gut. Erkannte auch die Gelegenheit, sich mit seinen Braunen aus nächster Nähe einzulassen.
So begab er sich des Nachts leise in den Stall und stellte sich neben seinen Gaul, Kopf an Kopf. Zur Vorsicht, der Stallboden war hart gepflastert und sparsam bestroht, band er sich an Stricken und Seilen fest, die von der Decke runter hingen. So standen die beiden Schädel an Schädel, Puls an Puls, Atem an Atem. Der Bauer schärfte alle Sinne, dem schlafenden Pferd etwas abzulauschen. Darüber ist er nach kurzer Zeit eingeschlafen.
Am nächsten Morgen fand man den Bauer leblos. Erdrosselt in Seilen und Stricken hängend. Neben dem Braunen, der ausgeruht am Hafer vom Vortag kaute.




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