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-- Prosa
--- Menschen von heute

ArnoAbendschoen - 19.12.2011 um 10:59 Uhr

1.IN LOHN UND BROT

In jenem Sommer habe ich vier Wochen in einem Dorf in Franken verbracht. Wenn ich zum Bahnhof ging, kam ich an der Dorfbäckerei vorüber. Oft stand der junge Bäcker vor der Backstube und rauchte. Er sog hastig an seiner Zigarette, blies nervös Qualmwolken in die gute Landluft und sah verdrießlich auf den kleinen Fluss. Dachte er an das Brot, das jetzt drinnen ausgebacken wurde? Er stützte einen Fuß auf die Hofmauer und stemmte einen Ellenbogen auf das gebeugte Knie. Ich sah zwei halb nackte Beine. Darf man in kurzen Hosen in einer Backstube arbeiten? Die zur Schau gestellte Wade zeigte eine auffallende Tätowierung: zwei Arabesken, eine rot, eine blau, wie umeinander züngelnde Schlangen. Er drückte seine Zigarette aus und warf die Kippe in den Fluss. Enten schwammen sofort herbei. Die Luft, die aus der Backstube kam, roch widerlich süß. Sie enthielt diesen ätzenden Staub, der schon jungen Bäckern die Zähne kosten kann: Bäckerkaries.

Einmal erlebte ich ihn im Geschäft. Er trug ein Blech mit frischen Broten in den Verkaufsraum. Eine ältere Kundin rief bewundernd: "Das Brot des Bäckers - mit Liebe gemacht!" Da knurrte er verächtlich: "Mit Liebe gemacht? Die ganze Nacht hab ich Liebe gemacht ..."Und er sah danach aus: unausgeschlafen, unrasiert, mürrisch.

2. EXISTENZ AM RAND

Wenn das Wetter schlecht war, fuhr ich "auf Nürnberg", wie die Einheimischen sagen. Einmal blieb mein Blick dort an einem jungen Mann hängen, es war an einer Haltestelle der Straßenbahn. Er war lang und dürr und der permanente Missmut auf seinem Gesicht schien gerade in endgültige Gleichgültigkeit überzugehen. Bei diesem feucht-kühlen Wetter trug er eine feuerrote kurze Hose und seine dünnen, braunen Beine endeten in leuchtend blauen Badelatschen. Er stieg mit mir ein und saß seltsam unberührt auf dem Platz vor mir. Draußen neben uns spielte sich das Straßenleben ab, doch ihm nahm der Faltbalg den Blick dafür weg. Wir rollten durch eines dieser Viertel, wo die vier A´s zu Hause sind: Arme, Alte, Arbeitslose und Ausländer. Dann wurde weiter vorn ein Sitz frei und er wechselte hinüber, offenbar um alles besser betrachten zu können. Wir alle sind eben zum Sehen geboren.

3. DER WALDBAUER

Ich war lange bergauf gegangen, als er auf einmal im Wald vor mir auftauchte. Er ging zwischen den Bäumen herum und betrachtete sie. Er war um die sechzig, rüstig, schlank. Ich grüßte ihn. Als ich weiterging, kam er schnell nach und schloss sich mir an. Voller Erregung stieß er etwas in seinem Dialekt hervor - ich verstand ihn nicht. Er wiederholte es, der Sinn blieb mir unklar. Nur langsam kam ich dahinter: Dies war sein Waldstück und der Borkenkäfer hatte nun auch seine Fichten befallen. In der Woche fehle ihm für Kontrollgänge die Zeit, heute sei er nach dem Kirchgang einmal dazu gekommen. Einige Bäume müssten gefällt werden, doch zwei Geburtstage und eine Kirchweih stünden bevor. Und ohne seinen Sohn käme er nicht mehr zurecht. Er legte mir seine Familienverhältnisse dar. Vor mir, dem Wildfremden, sprach er aus, was ihn bedrückte: Die Mutter sei auch schuld! Dann war von seiner Tochter die Rede, die nach dem ersten Kind Drillinge bekommen hat und trotzdem von ihrem Mann verlassen worden ist. Doch habe sie schon einen neuen Freund, der sich um die Kinder kümmere, als wären es die eigenen. Ja, es gibt doch noch gute Menschen ... Drei Kilometer weiter bog er ab. Ich werde ihn nie wieder sehen. Von mir hatte er so gut wie nichts erfahren.

4. ZUGABE: DER BERÜHMTE FILMSCHAUSPIELER

Der Wind blies kalt, Regen war vorhergesagt. Ich brach die Wanderung ab und nahm den Minibus, um zu einem Bahnhof zu kommen. Ich war der einzige Fahrgast und saß neben der Fahrerin. Ja, sagte sie, hier oben sei es das ganze Jahr kalt, doch solange der Wind wehe, komme der Regen noch nicht. Wir kamen an dem Schloss vorbei, das Nicholas Cage vor kurzem gekauft hatte. Sie fing an, darüber zu reden. Das Schloss könne nicht mehr besichtigt werden. Cage habe viel vom alten Inventar verkauft, auch den berühmten Wandteppich. Mit dem Erlös finanziere er die Sanierung des Gebäudes. Allein das neue Dach habe 300.000 Euro verschlungen ... Er sei schon zehnmal hier gewesen, meistens sei er mit dem Hubschrauber neben dem Schloss gelandet.

Nun habe ich noch nie einen Film mit Nicholas Cage gesehen, ich weiß nicht einmal, wie der Kerl aussieht. Soll ich ihr von meinen Lieblingsschauspielern erzählen, von Jason Cadieux, Alex Dimitriades, Stéphane Rideau? Besser nicht. Also sage ich nur, was ich aus der Zeitung weiß: "Er hat auch deutsche Vorfahren, dieser Cage. Ja, doch, und Leonardo di Caprios Oma wohnt in Oer-Erkenschwick. Und wenn der sie besucht, gibt es sein Leibgericht: Sauerkraut." Jetzt ist sie baff.




raimund-fellner - 24.01.2013 um 19:39 Uhr

Lieber Arno,

interessante Miniaturen von Menschen, die einem so begegnen. Wieder Empirie, wie ich sie liebe. Du bist wirklich ein interessanter Schriftsteller. (Wenigstens für mich.)

In diesem Sinne

Raimund Fellner
www.raimund-fellner.de




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