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--- Götz Zippert über den Roman Abirrung

raimund-fellner - 29.11.2011 um 22:07 Uhr

Wahre und freie Liebe
Raimund Fellners autobiographischer Roman „Abirrung“

Wahnwitziger Irrsinn ist der tägliche Wahnsinn. Hinzu kommt jetzt die "Abirrung", also das Abgleiten vom rechten Weg. Neben diesem Weg gibt es noch weitere Werte, die uns vom Autor, Raimund Fellner, präsentiert werden. Zentral sind die Freiheit und die Liebe, beide begleiten uns über das ganze Buch hinweg. Freiheit und Liebe schließen sich gemeinhin gegenseitig aus, außer man lebt die "freie Liebe" der 68iger. Dass sich dieses Konzept nicht gehalten hat, ist bekannt. Raimund, der Protagonist, versucht, beides unter einen Hut zu bekommen, was ihm letztendlich nicht gelingt. Das Buch lebt von Widersprüchen, so will Raimund sowohl Kapitalist werden, (um Macht und Reichtum, und damit auch Freiheit zu beschaffen,) als auch den Geist der 68iger leben.
Nach den Theorien der Psychologie führen gelebte Widersprüche zu psychischem Stress. Dieser Stress kann nun zu Psychosen führen.
Für den unkundigen Leser ist es schwierig, Psychosen zu erkennen. Ausdruck der Psychose ist Verfolgungs- und Größenwahn. Beim Verfolgungswahn, (gemeinhin Paranoia genannt,) glaubt der Kranke, dass ihm geschadet werden soll. Beim Größenwahn glaubt der Betroffene, dass er Fähigkeiten besitzt, die sonst niemand hat, so z. B. Telepathie. Der Autor beschreibt die Psychose sehr treffend, denn er hat sie selbst erlebt.
Von der Psychose unterscheidet sich die "Abirrung". Der Begriff soll heißen: Verlassen des Weges, der zu Bea, seiner einzigen Liebe, führt. Bea ist mehr eine Idee, denn Realität. Sie ist aber der rote Faden in diesem Werk.
Für die Abirrung gibt es mehrere Definitionen. So ist es gelebte Verneinung eines Wertes, der einzig wahren Liebe. Wahre Liebe ist hier verpflichtend. Auch führt Abirrung zu Orientierungslosigkeit, gelebt als Wahn. Wer abirrt, hat auf das falsche Pferd gesetzt. Es ist dann ein Leben ohne Norm und Sinn.
Bea wird vom Protagonisten heimlich und verschämt beobachtet. Dabei entdeckt er jedes Mal neue Indizien, die ihn in seiner Liebe bestärken. Aber diese Liebe hat kein Fundament. Sie findet, so gut wie immer, im Kopf von Raimund statt. Ist er dann doch aktiv, wird er infantil. Raimund kann nicht reifen. Eine gepflegte Gemeinsamkeit zwischen Raimund und Bea gibt es doch. Beide lassen sich durch den Geist der 68iger leiten, abgesehen von Raimunds Kapitalisten-Phantasien. Dominierend aber bleibt Bea, die das Vorbild für Raimund darstellt.
Viermal irrt Raimund von Bea ab. Er gerät jeweils in einen Liebeswahn, ausgelöst durch eine jeweils neue Beziehung zu anderen Frauen. Dieser Liebeswahn wird abgelöst durch eine Nüchternheit, mit der er wieder zu Bea findet. Doch bleibt Bea nicht greifbar. Sie ist ein Geist, der nur durch Raimund belebt wird.
Ein ständig auftauchendes Moment ist die Schuld. Diese erscheint dann, wenn er von Bea zu anderen Frauen abirrt. Er versündigt sich gegenüber der "reinen" Liebe. Selbstgeißelung des Autors, mit dem Protagonisten identisch, kann hier nur geahnt werden.
Der Protagonist will frei sein. Das ist sein zentraler Wert. Alle ihre Variationen werden von ihm abgehakt. So spricht gegen die Freiheit: Konventionen, die Armut, Erwachsene, Rangordnungen, Ideologien, Kinder, Beziehungen, Gesetze, Schicklichkeiten und schließlich das Heiraten.
Was sich aus dem Werk ergibt: Der Mensch ist größtenteils nicht logisch. Es ist die "Chemie", aus der Evolution entstanden, die stimmig (oder auch nicht) ist. So lässt sich auch die "Liebe auf den ersten Blick" beobachten, die ohne Argumente auskommt. Auch Raimund wird von dem Vorurteil, das sich Liebe nennt, gefangen.
Raimund Fellners autobiographischer Roman „Abirrung“ (456 Seiten) ist im Eigenverlag erschienen. ISBN 978-3-00-028916-3 www.raimund-fellner.de
Götz Zippert




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