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-- Prosa
--- Fingerschlecken
sint - 23.09.2011 um 17:05 Uhr
Er leckt seinen Finger und blättert um, wie es ältere Menschen und Menschen mit dicken Fingern öfter machen.
Die Hornbrille rutscht nach unten. Etwas zu weit für ihn, und er schiebt sie nach oben, kurz nachdem er ein ekelhaftes Geräusch macht. Ich weiß nicht ob es tatsächlich Rotz ist den er da hochzieht, aber es hört sich so an. Dieses tiefe gurgelnde Röcheln, dieses geschlabberte Brummen tief im Hals, das mir die Eingeweide zusammenzucken lässt. Ich sehe weg und betrachte die Straße.
Menschen laufen vorbei, gehen vorbei und eine alte Dame fährt auf ihrem Hollandrad die Straße entlang, wobei sie aber in etwa die Geschwindigkeit der gehenden Passanten hält. Man kann nur munkeln ob zwecks mangelnder physischer Fähigkeiten oder zwecks Mitgefühl für die niedrige Geschwindigkeit ihrer Mitrichtungsströmer. Ihre Haut ist eingefallen und ihr Haar weht im starken Wind leicht. Es wirkt strohig und dünn, und irgendwie so alt wie sie selbst. Man hat den Eindruck, es würde ausfallen, würde man daran ziehen, und ich frage mich, ob dieser Eindruck vielleicht nicht sogar der Wirklichkeit entsprechen könnte.
Dann lecke ich meinen Finger und blättere in der Zeitung die vor mir auf dem Tisch liegt.
„Du starrst so leer in die Zeitung. Du liest doch wahrscheinlich nicht mal“ meint Maria, die mir gegenüber sitzt.
Ich hebe meinen Kopf und damit gleichzeitig die Zeitung, so dass sie nun meinen Blick blockiert und ich leer in die Zeitung starren kann ohne dass Maria es bemerkt.
„Was soll das?“ fragt sie, und ich blättere um, um geschäftig zu wirken.
Ich möchte dieses Gespräch nicht führen. Ich möchte eigentlich jetzt wo anders sitzen und vielleicht einen Chai Latte trinken. Auch wenn ich kein notorischer Chai Latte-Trinker bin, und ich Laktoseintollerant bin, wäre diese Begebenheit sicher angenehmer als ein Gespräch mit seiner Exfreundin über die Gefühle die man gegenüber hat und pflegt und wie sich das alles entwickelt hat und wieso man nicht einfach normal miteinander reden kann. Und während sie auf mich einredet blättere ich weiter in meiner Zeitung und frage mich wieso sie überhaupt mit mir reden muss. Ich weiß nicht was wir noch zu bereden hätten, ich weiß nicht wieso sie unbedingt alles ausreden muss und alles aushandeln und verintellektualisieren und dieses ganze Zeug über emotionales Gleichgewicht.
Eigentlich hätte ich jetzt einfach nur ein kühles Bier und ich würde lieber vor dem Fernseher sitzen. Meine Couch hat nach den vielen kühlen Bieren und Stunden vor dem Fernseher schon eine dunkelgefärbte Kuhle gebildet, in die ich mich jeden Tag vertraulich setzen kann. Und diese Kuhle hat einen entscheidenden Vorteil, eine Art USP. Man weiß, dass man gerade zu Hause sitzt und mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Gespräch mit seiner Exfreundin führt.
Marias Tonfall wird lauter und ungeduldiger. Meine Mimik dürfte Gleichgültigkeit und Desinteresse ausdrücken. Vielleicht ein wenig Müdigkeit eingemischt, denn ich habe nur 4 Stunden geschlafen, und hätte ich nicht einem Treffen um 7 Uhr früh eingewilligt wäre ich jetzt vermutlich glücklicher. Oder ich würde noch schlafen.
Ich sehe nach links und luge, mein vorderes Sichtfeld noch immer mit der Zeitung verschleiert, wieder auf die Straße hinaus. Ein riesiger Mann geht vorbei und lächelt vor sich hin. Er fängt scheinbar grundlos an zu lachen, und ich wünschte ich könnte mit diesem Mann reden. Das wäre vermutlich unterhaltsamer. Doch als Maria zum 3. mal meinen Namen sagt, diesmal mit ungeduldiger und schon fast wutentbrannter Stimmung, lege ich die Zeitung auf den Tisch und sehe sie an. „Weißt du,.. es tut mir Leid dass ich nicht über so Dinge reden kann. Ich weiß nicht warum wir nicht einfach alles so lassen können wie es ist. Das passt doch“ Daraufhin murmelt sie etwas über unverarbeitete Beziehungen, dem ich aber nurmehr halb zuhöre, denn meine Aufmerksamkeit ist plötzlich auf den Eisverkäufer mit dem gigantischen Schnurrbart gerichtet, der abseits der Straße in die Menge schreit. „Gelati, Gelati“. Ich wünschte mir ich würde jetzt mit ihm auf der anderen Seite der Straße stehen und in die Menge schreien. Das wäre vielleicht angenehmer als hier zu sitzen und sich mit seiner Exfreundin zu unterhalten.
„Wir haben uns mal geliebt. Weißt du, ich liebe jetzt Schorsch“ .. plötzlich muss ich lachen. Ihr neuer ist Schorsch, ein Name den man als Exfreund einfach nicht ernst nehmen kann. Doch der Name ist so absurd, dass sie die ganze Geschichte von der neuen großen Liebe einfach nicht erfunden haben kann. Wobei ich mich langsam frage ob ich die Absurdität des Universums nicht gehörig unterschätze. Schorsch, was ist das überhaupt für ein Name? Ich starre auf den Eisverkäufer und wundere mich woher er das Eis wohl hat. Hat er es selbst hergestellt? Ist er an Mafia-ähnliche Gesellschaften gebunden die Eis in gigantischen Mengen herstellen und ihre Eisverkäufer in die ganze Welt schicken und die lokalen Eisdielen um einen Großteil ihrer Einnahmen bringen?
„Schorsch ist so liebenswürdig.. Er bringt mir Blumen mit“
Ich glaube mich zu erinnern wie man Eis herstellt, und ich hadere mit der genauen Rezeptur. Milch… Sahne, wie war das nochmal? Vielleicht sollte ich mir einfach auch so einen Wagen zulegen. Aber ob mir so ein Schnurrbart stehen würde ist fraglich.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Ich starre leer vor mich hin, nehme die Zeitung in die Hand, doch bevor ich umblättere lecke ich mir genüsslich die Finger und murmle „mhmmm“ ….
PS:
Alle meine Texte können natürlich auch auf meinem Blog (siehe Signatur) schön formatiert nachgelesen werden (und sind mit persönlicher Fotografie ausgeschmückt)
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