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-- Rezensionen
--- Gore Vidal und der Gore-Clan
ArnoAbendschoen - 26.06.2011 um 11:37 Uhr
Um gleich reinen Tisch zu machen: Gore Vidal galt jahrzehntelang als entfernter Verwandter des jüngeren Al Gore, als Vetter x-ten Grades. Inzwischen sollen neue genealogische Untersuchungen ergeben haben, dass beide nicht miteinander verwandt sind. Ob dies zutrifft oder nicht, kann hier nicht erörtert werden. Al Gore jedenfalls hatte ein starkes Interesse an diesem Forschungsergebnis. Sein „Cousin“ hatte ihn in seinen Schriften allzu ungünstig beurteilt. Man kann dies und außerdem viel Wissenswertes über den gesamten Gore-Clan nachlesen in Gore Vidals Buch „Das ist nicht Amerika!“, erschienen 2000 im Knaus Verlag. Besonders der Aufsatz „Die Gores“ dürfte für den späteren Friedensnobelpreisträger unerfreulich zu lesen gewesen sein. Dabei ist beider politischer Standort nicht weit auseinander. Beide sind linksliberal, Gore Vidal dabei radikaldemokratisch.
Al Gore erscheint in dieser Darstellung als blasser, wenig begabter, dabei sehr fleißiger Opportunist. Belegt wird dieses harte Urteil durch eine Fülle von biographischen Details, die zumindest hierzulande bisher nicht bekannt waren. Spitzzüngig ist die Rede von Al Gores „hart erarbeitetem Mangel an Spontaneität“ oder der „uncoolen Unverblümtheit seines Ehrgeizes“. Gore Vidal beleuchtet Ehe und Vermögensaufbau des lieben Vetters und mokiert sich über dessen Rolle im Vietnamkrieg – er war beim Militär Journalist und ließ sich für die Medien vor den Toren Saigons mit einer Waffe in der Hand fotografieren. Auch als Vizepräsident unter Clinton fällt Al Gore durch. Wen’s interessiert, bitte selbst nachlesen.
Wer aber ist Gore Vidal? Geboren 1925, wuchs er in einem der wenigen Familienclans auf, die das politischen Leben der USA seit Generationen dominieren, genealogische Forschungen hin oder her. Sein Vater war Leiter der Luftfahrtbehörde unter F. D. Roosevelt. Seine Mutter heiratete nach der Scheidung den Bankier Auchincloss, der selbst nach weiterer Scheidung die Mutter von Jacqueline Kennedy ehelichte. Daher rührt die Vertrautheit Gore Vidals mit den Verhältnissen des Kennedy-Clans. Sein großes Vorbild war indessen sein Großvater Thomas Prior Gore, als Kind erblindet, dennoch jahrzehntelang Senator für Oklahoma. Dessen weitere politische Karriere scheint durch Präsident Roosevelt beendet worden zu sein.
Gore Vidal nahm am Zweiten Weltkrieg teil und veröffentlichte einen viel beachteten Kriegsroman. Später sollte er auf Betreiben seines Großvaters selbst für den Senat kandidieren. Doch er publizierte zuvor einen Roman über das damalige Tabu-Thema Homosexualität und zerstörte sich damit jede Chance in der Politik. Er war dann in Hollywood als Drehbuchautor tätig, war Co-Autor bei „Ben Hur“, schrieb Romane und Essays, lebte jahrzehntelang die Hälfte des Jahres in Italien - und kandidierte tatsächlich zweimal erfolglos für den Kongress (Repräsentantenhaus und Senat). Ein Leben selbst wie ein Roman.
Was kann man einem deutschen Leser als Erstes empfehlen? Vielleicht den Roman „Das goldene Zeitalter“, ebenfalls 2000 im Knaus Verlag erschienen. Es ist ein ebenso kritisches wie detailreiches Werk über die Mächtigen in Amerika von Roosevelt bis Eisenhower und verarbeitet eine Fülle von sehr wertvollem Hintergrundwissen. Wir erleben 570 Seiten lang die realen Präsidenten, Minister und ihre Umgebung im Kontakt mit fiktiven Personen, vor allem aus der Welt der Medien, ein überzeugend gelungener Kunstgriff. Roosevelt erscheint, für mich überraschend, als gewissenloser, machtgieriger Opportunist. Seine Zeit bedeutet für Gore Vidal den Beginn moralischen Verfalls in der Politik. Dabei befindet er sich wie einige seiner Romanfiguren in dem Dilemma, dass er einen anderen Ausgang des Weltkrieges nicht wünschen kann, Strategie und Taktik Roosevelts vor und im Krieg aber vehement verurteilt. Truman kommt nicht besser weg, nur Eisenhower findet relative Gnade. Was er über die Vorgeschichte der Atombombenabwürfe auf Japan berichtet, ist ebenso fesselnd zu lesen wie die Beschreibung der seltsamen Praktiken, mit denen der Öffentlichkeit der Anblick von Roosevelts gelähmten Beinen erspart wurde.
Gore Vidals Stärke ist nicht die Darstellung des Individuums und seiner inneren Verfassung. Er interessiert sich primär für das Funktionieren von Gesellschaft, für die Organisation und den Missbrauch von Macht. Dieses Motiv steht auch hinter vielen seiner Essays, in denen er die amerikanische Innen- und Außenpolitik der letzten Jahrzehnte einer zumeist gnadenlosen Überprüfung unterzieht.
Gore Vidal - ein großer satirischer Romancier und Essayist und Moralist, in Deutschland noch zu wenig bekannt.
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