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--- Überflüssigkeiten
vimana - 03.04.2011 um 13:45 Uhr
Überflüssigkeiten
von Wendel Schäfer
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Jan-Norbert, Janno für die Handvoll Bekannteren, war noch nicht alt. Jedenfalls nicht so alt, dass er sich von den Strapazen einer täglichen Arbeit ausruhen müsste. Janno war bloß müde und über die Hälfte ausgebrannt. Hatte auch mäßig genug Mittel zusammengetragen sich zurückzulehnen, die Beine von sich zu strecken und Überflüssiges zu meiden. Das tat er auch ausgiebig auf seiner Miniterrasse mit einem Blumenkasten, zwei Partytomaten in Töpfen und drei Kakteen im Schubkarrchen eines großen, roten Zwerges.
Jan-Norbetrt hatte viele Betätigungen hinter sich gebracht. Weil er sich nicht für einen speziellen Beruf entscheiden mochte, gründete er eine Einrichtung, die sich sehr lukrativ gestalten sollte. Ein Institut für allgemeine Volksverwöhnung - IAVV. Klang tierisch gut und nahm einen guten Lauf. ‚Institut für angewandte Volksverblödung‘. So ein paar Durchblicker. Neidhämmel, ganz sicher. Das aber nur hinter vorgehaltener Hand. Jan-Norbert schloss nationale und weltweite Verträge mit Film und Fernsehen, Kunst und Mode. Für noch ungehemmteren Zugriff sorgte das Showgeschäft. Am gierigsten grapschten danach Parlament und Parteien. Janno heimste üppig sprudelnde Fördergelder ein. Je weniger man von dem Vorhaben verstand, desto reicher flossen die Gelder, die er geschickt in den eigenen Hafen umzuleiten wusste, bevor alles aufflog.
Etwas weniger erfolgreich verlief seine Bemühung auf dem kulturpolitischen Feld der Interkulturationsforschung. Immerhin konnte er hier eine eigene Einrichtung aufbauen und mit reichlichen Fördermitteln eine Zeit lang betreiben. Auf alle Fälle ein nach dem verheerenden Krieg Frieden stiftendes Projektprojekt mit Nordeuropäern von weit reichender Dimension und Bedeutung. Jan-Norbert gab auf, als sein völlig überteuertes Projekt politische, ja geheimdienstliche Verwicklungen heraufbeschwor. Er hatte nämlich Karelien mit den Kurilen verwechselt.
Ein dritter Karriereversuch geriet völlig daneben. Es handelte sich um nichts Geringeres als Überbevölkerung, Welternährung und Überlebensstrategien. Hochrangige Zielsetzungen, die auf großes Interesse stießen, Gelder einbrachten und Jannos Lebensabend sichern halfen. Sein außergewöhnlicher Vorschlag, er konnte gar erste Testergebnisse vorgaukeln, bestand darin, dass Menschen bei völliger Nahrungsverknappung beginnen sollten, sich selber aufzuessen. Immerhin schleppten die meisten kiloweise Überflüssiges mit sich herum. Der Projektleiter hatte schon Zerlegeplan und Menüfolge ausgearbeitet. Leider hatte er mit seiner mühsam zusammengestellten Versuchsgruppe Pech. Am Ende blieb nur einer übrig. Ein Hänfling - und Vegetarier.
Jan-Norbert erholte sich von diesem Rückschlag nie wieder. So war er schon früh müde geworden. Besorgte sich eine hinreichende Wohnung und lehnte sich im Liegestuhl zurück. Zwischen Blumen, Tomaten und Kakteen. Lesen und Weintrinken waren seine Lieblingsbeschäftigungen. So entnahm er einmal einer Schrift, dass in der Tat der menschliche Körper geneigt ist, Überflüssiges abzustoßen. Was Janno mit Wohlwollen quittierte, sich bestätigt fühlte und alle die anderen Ignoranten schimpfte.
Es war Hochsommer. Jan-Norbetrt räkelte sich mit nassem Gesiecht unter dem breiten Sonnenschirm im klammen Lehnstuhl. Die Schwüle ließ kein Lüftchen aufkommen. Ein Gewitter nur mochte Kühle bringen. Über einer Blattsammlung, alles Versprechungen vor der kommenden großen Wahl, war er eingeschlafen. Donner weit entfernt noch weckte ihn auf. Beim Einsammeln der Blätter bemerkte er, dass ein Finger fehlte. An der rechten Hand war der Ringfinger abgefallen. Lag da auf der Bodenplatte wie ein übrig gebliebenes, verschrumpeltes Grillwürstchen. Janno tat es in die Tonne. Morgen war Leerung. Nicht weiter schlimm. Überflüssiges legt der Körper ab. Janno war das aber schon lange klar.
Am nächsten Morgen fehlte eine Zehe. Direkt neben der großen. War zu verschmerzen. Vielleicht sollte er die Vorkommnisse öffentlich machen. Die Wissenschaft interessieren. Es ließe sich da einiges herausholen. Vielleicht.
Nach der nächsten Siesta war der kleine Finger an der linken Hand verschwunden. Am nächsten Morgen lag ein Ohr im Kissen. Dann fehlte die große Zehe, dann sogar ein Daumen. Es folgten Mittelfinger und zwei Weisheitszähne. Nun kam das zweite Ohr an die Reihe. Am Wochenende war ihm die Nasenspitze weggebrochen.
Jan-Norbert sorgte sich nicht sehr. Auch nicht, als über Nacht sämtliche Haare fehlten. Wie weggeblasen, und er sich mit einem Käppi vor der Sonne schützen musste. Fühlte bloß nach jeder Ruhephase immer häufiger zwischen die Beine. Ansonsten richtete sich Jan-Norbert eben ein. Etwas beschwerlicher zwar, aber mit dem Gewissheit, im Recht zu sein.
Zu seinem 44sten gönnte sich Janno etwas Feines. Einen teuren Bordeaux mit sattem Purpur und violetten Reflexen. Auch ohne Zunge ein besonderer Genuss. In der Nase ein Früchtearoma mit Brombeeren, schwarzen Kirschen und Holunder, dahinter Zimt und karamellisierte Mandeln. Er genoss den fülligen Auftakt am Gaumen mit der komplexen Note aus Waldbeeren und Korinthen, dazu ganz hinten schwarze Schokolade. Danach gönnte er seinem verwöhnten Gaumen noch einen Chateau Neuf und leerte zwischendurch eine halbe Flasche Grappa. Den säureschweren Riesling darauf hätte er lassen sollen. Janno schlief bis zum nächsten Morgen weg.
Da war ihm der Kopf abgefallen. Auf den Steinplatten zu den Töpfen gerollt. Lag da wie ein gerupfter Wirsing bei den Tomaten.
Überflüssiges stößt der Körper ab. - Bei einigen wenigstens.
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