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-- Prosa
--- Eine Ratte im Rosengarten

ArnoAbendschoen - 22.10.2010 um 22:13 Uhr

Ich bin in einer üblen Lage - ich muss meinen schlechten Ruf verteidigen. Das ist mühsamer, als man denkt.

Früher schrieb ich fast nur Besinnliches. Ich war der Quotendingsbums, na, Sie wissen schon. Machte pro Artikel zwei, drei kleine Scherze. Daher hielt man mich für harmlos, friedfertig. Aber dann … In den Weiten des Internets begegnete ich immer öfter Gestalten, die sich noch im Jahr 1960 wähnen – sie reagieren ausgesprochen bissig, wenn man sie nicht in diesem Glauben belässt. Und ich war so töricht, mir dieses oder jenes Widerwort entschlüpfen zu lassen. Dafür hassen sie mich nun ein bisschen.

Viel Feind, viel Ehr? Darauf könnte ich verzichten. Aber ich will die Braven nicht noch mehr erschrecken. Sie haben nun mal dieses Bild von mir, wenn es auch wieder falsch ist. Besser dieses als gar keins. Totale Verunsicherung soll nicht um sich greifen. Also mache ich weiter wie zuletzt.

Aber was schreibe ich heute Skandalöses, wie errege ich wieder Ärgernis? Ich war zuerst auf der Bank und wurde leider enttäuscht. Keiner wollte mir Derivate aufschwatzen. Schade, Bankenschelte läuft so gut, und wenn ich es antikapitalistisch verpacke, regen sich noch mehr Leute auf.

Mein Weiterweg führte mich in einen Park. An seinem Rand steht ein altes Untersuchungsgefängnis. Da ging ich eine Weile auf und ab - es tat sich nichts. Weder wurden Kassiber herausgeworfen noch Briefchen hinein. Ich hörte auch keine Schmerzensschreie, überhaupt nichts Inspirierendes. Und wie gern würde ich über Abschiebehaft schreiben, aber so wird das nichts.

Da, eine hohe Platane, der älteste Baum im Park, gepflanzt 1821. Ich wollte schon ehrfürchtig zu ihr aufblicken, besann mich aber noch rechtzeitig. Abendschön, du wirst doch nicht von Natur säuseln wollen! In diesem Moment drang von fern großer Lärm an mein erfreutes Ohr. Ich liebe Kakophonien, überhaupt alles Disharmonische … Nichts wie hin. Ach, es war nur das kreischende Duett von Rasenmäher und Laubsauger. Wieder über was Ökologisches schreiben: gegen Verlärmung, Spritvergeudung und Kleinstlebewesenzerhäckselung? Alle würden gähnen. Das hatten wir schon viel zu oft.

Ich ging in den Rosengarten hinein. Die Rosen blühten trotz des miesen Wetters unverdrossen vor sich hin, rot und rosa, gelb und weiß. Zwischen ihnen blaue Herbstastern und letzte Sonnenblumen. Die reinste Idylle, für meine Zwecke wieder ungeeignet. Plötzlich bewegt sich etwas zwischen den Beeten, ganz in meiner Nähe. Graues Fell, spitze Schnauze, Knopfaugen, sehr langer, dünner Schwanz – das kann doch nur eine Ratte sein. Dich schickt der Himmel! Hat man je von einer Ratte in einem Rosengarten gelesen?

Ich hatte mein Thema. Da lässt sich was draus machen. Das Schöne und das Biest. Bölls „rattenhafte Wut“ und Proust, der Ratten mit Hutnadeln stechen lässt. Die Ratte als Symbol – Kloakenbewohner immigriert ins Reich der Düfte - die Ratte als Identifikationsmuster … Ich strebte schon aus dem Park. Schnell an den Schreibtisch!

Die Ratte sah im Weiterlaufen noch einmal zu mir herüber, bevor sie in einer niedrigen Buchsbaumeinfassung verschwand. Ich glaube, wir nickten uns sogar zu.




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