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-- Aesthetik
--- Über ein Modell von Robert Mapplethorpe

ArnoAbendschoen - 08.07.2010 um 22:55 Uhr

Mapplethorpe hat ihn 1979 porträtiert – und im selben Jahr bin ich seinem Modell begegnet. Erst jetzt entdecke ich die Schwarzweißfotografie im Internet. (Sie wird gerade auf einer Ausstellung im Museo de Arte Latinoamericano Buenos Aires gezeigt.) Nur allmählich erkenne ich ihn wieder …

Mapplethorpe hat ihn auf seinem Brustbild, wie bei ihm üblich, stilisiert und sexualisiert, als einen Mann von dreißig Jahren, ein friesischer Johnny Depp als Pirat, mit schwarzer Augenklappe, die Ärmel des Jeanshemdes bis zum Bizeps hochgekrempelt. Der blonde Schnauzbart unterstreicht den Eindruck viriler Wachheit und lässt die Oberlippe frei. Die Lippen sind einen Spalt geöffnet. Was für ein Mund: sinnlich und schwermütig, mitfühlend auch, vielleicht ein wenig bitter. Es ist ein sensibler Pirat, der studiert hat. Das unverdeckte Auge wie das eines Renaissance-Malers, prüfend, unbestechlich. Mapplethorpe lässt ihn wie Leonardo auf dem bekannten Selbstbildnis in die Kamera blicken, wenn auch aus anderer Perspektive – Halbprofil - aufgenommen. Es ist dieser sich dem Ernst der Welt bewusst aussetzende Blick Leonardos … Je länger ich Mapplethorpes Fotostudie betrachte, umso präziser finde ich sie. Wenn die Augenklappe zuerst wie ein bloßer Gag erscheint - sie lenkt den Blick des Betrachters zwingend auf das schauende Auge des Modells, auf sein Künstler- und Malerauge.

Ja, gemalt hat er auch, malt vielleicht noch immer. International bekannt geworden ist er als Bühnen- und Kostümbildner, Sparte Tanztheater. Unglücklicherweise bringe ich so gut wie kein Interesse fürs Ballett auf, daher bin ich den Produktionen, an denen er beteiligt war, nie begegnet. Jetzt sehe ich mir das eine oder andere Video im Internet an und lese nach, was ich mir damals über seine Bilder notiert habe.

Sein Atelier, mit einem Hochbett mitten drin, war etwa vierzig Quadratmeter groß. Während er den Kaffee zubereitete, ging ich herum, besah mir seine Bilder und versuchte in ihnen die Züge wieder zu erkennen, die ich an ihm schon wahrgenommen zu haben glaubte. Eines zeigte den Blick durch ein Holz- und Eisengerüst hinaus auf eine Wasserfläche und jenseits von ihr auf eine düstere geschlossene Häuserzeile – in ihrer teils matten, teils glänzenden Schwärze brannten einzelne sehr intensive Lichtpunkte. War das ein für ihn typischer Blick auf die Welt? Ernsthaft und nachdrücklich war das Auftreten des Malers ja selbst. Und bei allem Ernst vermittelte er zugleich ein Gefühl von Geborgenheit, sogar von Sicherheit.

Eines der größeren Bilder – es maß etwa zwei mal zweieinhalb Meter – empfand ich als besonders suggestiv. Man sah auf ihm eineinhalb rote Geranienblütenköpfe, deren vollständiger einen Durchmesser von einem Meter hatte, dazu maßstäblich passend zwei grüne Blätter der Pflanze, zwei graue Flächen, die ich als obere und untere Begrenzung eines Balkons auffasste, sowie einen breiten hellblauen Streifen dazwischen. Es war ein aufdringliches Bild, und doch fühlte man sich in keiner Weise belästigt. Ich will es so ausdrücken: Es war ein auf wohltuende Weise unverschämtes Bild. Die roten Blüten hatten etwas Gewaltsames – wie eine Explosion - und zugleich war alles sehr sanft aufgefasst. Es war, mitten in der Zivilisation, der stille Triumph der Natur über die Kultur.

Der Kaffee war fertig. Wir gingen hinunter und durch ein langes Ess- oder Herrenzimmer zu einem hübschen Essplatz mit Blick in den Garten. Eine Glastür führte hinaus unter die Bäume. An dieser Seite der Gracht gab es keine Straße. Mitten in der großen Stadt frühstückten wir wie auf dem Land. Worüber redeten wir? Unter anderem über seine geplante Ausstellung im großen Kunstmuseum der Stadt. Ich erfasste, dass er viel beschäftigt war, wenig freie Zeit hatte.

Wenn ich ihn mir heute vergegenwärtige, als Mann wie als Künstler, kommt er mir merkwürdig unzeitgemäß vor in seiner Mischung aus Kraft und Güte. Dabei gehörte er nicht zu jenen, die auf Anhieb sympathisch wirken – aus einem einfachen Grund: Seine Ausstrahlung war dafür zu stark. Ohne von seinem Beruf, seinem bisherigen Werk schon zu wissen, spürte man bereits bei der ersten zufälligen Begegnung seine außerordentliche Begabung. Sie äußerte sich als eine noch unbekannte Last, die er zu tragen schien, als rätselhafte Aufgabe, der er sich mit großem Ernst widmete, als Energie, die von ihm ausging. Er schien um diese Wirkung zu wissen, vielleicht darunter zu leiden. Er nahm sich ständig zurück, wie sehr nahm er sich zurück … All das hat Mapplethorpe in seiner Charakterstudie eingefangen. Ich sehe es mir an, ich staune und bin dankbar: dafür dass es das auch für mich gab.




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