- versalia.de
-- Sonstiges
--- Der Vorlauf

ArnoAbendschoen - 11.06.2010 um 21:13 Uhr

Manche laufen dabei groß auf …

Wenn Frau Merkel im Fernsehen zu uns spricht, ist sie immer schon an ihrem Platz, auf der Rednertribüne, in einem Studiosessel oder an einem Messestand. Die Minister und Ministerpräsidenten halten es genauso. Doch achten Sie mal auf die mittleren und unteren Würdenträger oder Amtspersonen. Wie setzt man dieses weniger bekannte Personal in Szene, z.B. den Landrat von Steuerhinterziehhausen oder den Vizemuseumsdirektor der Alten Schinkengalerie in Troglodytenheim oder den Polizeisprecheranwärter in Schlagetotbach? Das machen die im Fernsehen so: Sie lassen den wichtigen Mann oder die wichtige Frau ein Stück durchs Bild laufen. Besser warm laufen als warm reden …

Das Fernsehteam holt den Interviewpartner am liebsten vor dessen Bürogebäude ab. Die Filmsequenz beginnt mit bedeutsamem Schweigen. Keine Begrüßungsfloskel lenkt von der Betrachtung der edlen Piazza ab. Von einem Glas-und-Marmor-Hintergrund löst sich langsam eine uns noch unbekannte Gestalt, kommt mit vielsagend verschwiegenem Blick näher. Allmählich dämmert es: Da muss einer was zu sagen haben.

Kamera und Persönlichkeit passieren einen Eingang, der immer offen steht. In dem anschließenden breiten Gang ist nie ein anderer Mensch zu sehen. (Wahrscheinlich für den Dreh abgesperrt.) Unser Auge gleitet die edlen Wandmaterialien entlang. Die wichtige Person hält beim Gehen genau die Mitte zwischen Eilen und Bedachtsamkeit. Vermutlich hat er (sie) diesen Auftritt zu Hause vor einer Spiegelglasschrankwand so lange geprobt, bis er saß. Dann huschen wir mit ihm (ihr) in einen auffallend individuell eingerichteten Büroraum mittlerer Größe. Wir sehen jetzt gewöhnlich: frische Blumen, Bücherreihen auf Regalen, ein, zwei geschmackvolle Bilder an der Wand, besonders oft Expressionisten. Dass die wichtige Person hier nicht wohnt, sondern auf Arbeit ist, wird durch einen mittelhohen Aktenstoß neben einem Monitor angedeutet.

Bis jetzt sind schon ein bis zwei kostbare Sendeminuten unwiderruflich im Orkus verschwunden. Schnitt: Nun ist auf einmal nur noch der Kopf zu sehen. Eine Leiste mit Namen und Funktion wird eingeblendet. Und dann macht sie (er) den Mund auf und sagt: „Die stark verweste Leiche wurde heute Morgen in der Kanalisation gefunden …“ Oder: „Vor Eingang weiterer Gutachten ist definitiv keine Aussage darüber möglich, ob der Kostenrahmen um mehr als fünfhundert Prozent überschritten wird …“

Bei Böll sammelt Dr. Murke Schweigen. Ich würde gern Laufsequenzen sammeln - wie sie schreiten, gleiten, tänzeln. Fünf Dutzend ergeben ein Schock, das genügt für einen anderthalbstündigen Dokumentarfilm: Deutschlands Entscheidungsträger gehen zur Sache. Unwichtig, was sie danach zu sagen haben. Ihre Markenkleidung, ihre Frisuren, ihre Choreographie, das ist es doch, was uns in Wahrheit anspricht und überzeugt.




Matze - 12.06.2010 um 19:00 Uhr

Mit Verlaub, das hat Herr Niggemeier bereits präziser formuliert.

Quelle: http://www.faz.net/s/Rub510A2EDA82CA4A8482E6C38BC79C4911/Doc~EA219F97A3C624 08B98C974192883B5EE~ATpl~Ecommon~Scontent.html




ArnoAbendschoen - 12.06.2010 um 20:29 Uhr

Aber inwiefern denn, Matze? Herr Niggemeier beschäftigt sich dort mit der "Sprache der Kanzlerin", in meinem Text geht es um die Bewegungsgymnastik, die nachrangigen Größen von den TV-Aufnahmeteams auferlegt wird. Dein Einwand bleibt mir unverständlich.

Arno Abendschön




URL: https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=4534
© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz // versalia.de