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--- Kurzgeschichte
psalmopoeus - 24.02.2010 um 20:28 Uhr
Vorhölle
Die Stimme flüsterte: „Häng dich auf Konrad. Häng dich auf. Häng dich endlich auf. Besorg dir einen Strick!
Ja, das kann ich mir vorstellen, dass du das willst. Das machst du dir aber zu einfach. So nicht.
Nein.
Ja das glaub ich. Das sieht dir ähnlich. Du schüttelst mich nicht ab.
Häng dich auf Konrad, häng dich auf. Du bist ganz unten. Du kannst wieder von vorne anfangen. Immer wieder von vorn. Immer wieder. Und noch einmal.
Wie jämmerlich!
Häng dich endlich auf. Häng dich a- auf ! Mach endlich Schluss kleines Mäuschen.
Da staunt man ja! Wirklich.
Hat einer so was schon gesehen.
Unglaublich.
Du bist eine Missgeburt.
Bügel das wieder aus!
Und ob.
Aus minderwertigem Fleisch gemacht.
Aber Schuld hast du auch selbst.
Doch.
Du wolltest ja nicht, dass man dir das falsche Kabel aus dem Kopf zieht.
Nein!
Und jetzt taugst du eben zu nichts.
Kein Wunder.
Häng dich auf Konrad."
Auf dem Flur sah man durch das gläserne Fenster des Schwesternzimmers einen jungen Mann mit glattem hellbraunem Haar. Seine Körperbewegungen und sein Gang wirkten ungelenk schlaksig, wie kurz vor ihrem Endpunkt unterbrochen und nicht vollständig ausgeführt.
In mehr minütigem Takt zog er die Schultern kurz an und streckte seinen Kopf höher, wie um zum Atmen an eine imaginäre Oberfläche zu gelangen.
Er war fünfundzwanzig Jahre alt.
In seinem Gesicht entdeckte man aber noch kindlich scheue Züge, die einer leisen Stimme Ausdruck verliehen, wenn er sprach.
Neben dem Schwesternzimmer befand sich ein fünf – Bett – Krankenraum. Durch die Glasscheibe, die in Kopfhöhe der Holztür angebracht war, sah der Pfleger drei bleiche Gestalten, die mit ihrer Tagesgarderobe auf den Betten lagen.
Er klopfte einmal und trat noch im selben Moment ein, wobei er ein weißes Tablett in der linken Hand balancierte.
Auf dem Tablett standen durchsichtige kleine Plastikbecher, die mit einer klaren wässrigen Flüssigkeit unterschiedlich hoch gefüllt waren.
Neben jedem Becher befanden sich in kleinen ovalen Porzellanschälchen verschieden große, bunte Dragees.
„ Zeit für eure Schnäpse Kameraden“, sagte der Pfleger und unterbrach die bedrückende Stille.
Er reichte jedem die ihm zugeteilte Portion Dragees und quittierte die Entgegennahme des Bechers jedes Mal mit einem akkuraten „Wohl bekommts“.
Mittlerweile betrat auch der junge Mann aus dem Flur das Krankenzimmer. Sein Gesicht war fahlgrau und seine Augen weit aufgerissen.
„ Wie geht es dir Konrad“, fragte der Pfleger besorgt.
„ Nicht so gut heute. Der Teufel spricht wieder mit mir“.
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