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-- Prosa
--- Die suchende Jugend eines Halbverzweifelten

Krawallo89 - 10.02.2010 um 20:15 Uhr

Hallo. Ich bin Krawallo und schreibe gerne mal ne Kurzgeschichte. Hab mich hier noch nicht umgesehen, doch werde es gleich mal tun. Die Geschichte habe ich gestern Nacht geschrieben, heute am Computer überarbeitet. Sollte es jemand schaffen sie zu Ende zu lesen, würde ich mich über einen Kommentar sehr freuen. Brauch mal ne Rückmeldung zu meinen Schreibversuchen, da ich immer mehr schreibe, mich aber bisher nicht traue, meine Texte mir bekannten Menschen zu geben. Viel Spaß, hoffentlich;)

Jan war ein ängstlicher Junge. Oft schien es ihm, als verliere er den Zugang zur Welt. Als geschahen die Dinge um ihn herum zu schnell oder als wäre er zu langsam für sie.
In der Schule konnte er dem Unterricht nicht folgen. Wenn die Lehrer ihn drannahmen, hatte er niemals die richtige Antwort parat. Wenn sie Hausaufgaben aufgaben, versäumte er es schon sie sich aufzuschreiben oder überhaupt mitzubekommen. Zu Hause konnte er mit ihnen dann nicht einmal anfangen. Wenn seine Mitschüler in den Pausen auf dem großen Platz Fußball spielten, und ihm nichts Anderes übrig blieb, als mitzuspielen, kam er erst gar nicht so weit, Spielfertigkeiten zu entwickeln. Wenn sie im Spiel um den Ball rangen, war es schon zu spät und das Gefecht längst ausgetragen, als Jan zu ihnen stoß. Oder die Beinbewegungen der um Ballbesitz kämpfenden waren so schnell und wild, dass er regelrecht den Überblick verlor und völlig überfordert damit war, in das Geschehen einzugreifen. War ein Spieler seiner Mannschaft in Ballbesitz und drängte nach vorne, hatten seine Mannschaftsspieler längst die wichtigen und entscheidenden Positionen eingenommen, als Jan überhaupt merkte, welche Mannschaft sich nun im Angriff befand. Ihm wurde nie ein bedeutender Pass zugespielt. Das unangenehme Gefühl, völlig fehl am Platz zu sein, würden alle Spieler auf dem Feld einstimmig als Tatsache erklären.
Bei den Abendessen zu Hause, wenn die ganze Familie am Tisch versammelt war, gab Jan seinen Eltern immer einen Anlass zu Ärgernis. Manchmal war er nur ungeschickt und kippte mit seinem rechten Arm versehentlich ein Milchglas um. Oder ließ beim Tischdecken sämtliches Besteck auf die weißen Bodenfliesen fallen. Öfter war er nicht dazu in der Lage, seinen Eltern gegenüber die angemessene Höflichkeit und Zuwendung entgegen zu bringen, was auch zu Ungereimtheiten führte. Auf eine einfache, gutgemeinte und gesprächsbeginnende Frage, zum Beispiel der, wie es ihm am heutigen Tage ergangen sei, konnte er nicht anders als mit völliger Ignoranz und Stillschweigen reagieren. Seine Eltern akzeptierten dieses Verhalten nicht. Sie fragten in der Regel weiter nach, was Jans Nerven überstrapazierte. Mit einem recht abfälligen, aggressiven und genervten „Lasst mich in Ruhe“ brach er dann sein Schweigen. Wenn Jan etwas gesprächiger aufgelegt war, bekundete er seine emotionale Verfassung sofort mit einem gereizten „Immer diese blöden Fragen“. So beendete er an vielen Tagen jeden Gesprächsaufnahmeversuch seiner der Eltern.
Sie dachten sich dazu ihren eigenen Teil. Jan war in der Pubertät und hat es nicht leicht gehabt. Höchstwahrscheinlich hatte er gerade einen frustrierenden Tag hinter sich gebracht, an dem Alles und Jeder ihm mitgeteilt hatte, dass er nicht so funktioniere, wie man es von ihm erwartete.
Jan dachte, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er wollte sich ändern, denn er stellte sich vor, wenn er anders wäre, würde ihm Alles leichter fallen. Deswegen bemühte er sich darum, alles so zu machen, wie man es von ihm erwartete und wie es richtig schien. Er sah es zumindest schon als Bemühung an, wenn er jeden Tag in der Schule erschien, anstatt den Unterricht zu schwänzen, oder sich jede Pause aufs Neue einer unglücklichen Mannschaft zuteilen ließ, anstatt sie allein mit Comiclesen oder dem bloßen Zuschauen zu verbringen. Physisch war Jan also immer da, wo er sein sollte. Psychisch hatte er mit aller Disziplin und Willenskraft darum zu ringen, und oft verlor er sich dabei in Gedanken, so dass sich, trotz seiner hartnäckigen Bemühungen, Alles was er tat als nicht richtig anfühlte. Dann war es für ihn so, als stünden die Dinge um ihn herum in einer Distanz, die ihn zu einem Unbeteiligten machte. Als würde das Geschehen um ihn herum ihn selbst Nichts angehen, und als hätten seine Handlungen, mit denen er am Geschehen teilnahm, keine Bedeutung.
Jan fühlte sich dadurch unter Druck gesetzt. Er war Schüler, Mitschüler, Bruder, Sohn, Enkel, Nachbar und Bürger. In all diesen Daseinsarten musste er Erwartungen erfüllen und Ansprüchen genügen. Er war sich dessen bewusst. Nur wusste er nicht, wie er die Aufgaben des Lebens zufrieden und mit wirklicher Anteilnahme bewältigen sollte. Zeit, und seine beständigen Versuche, diese Zeit recht sinn- und würdevoll zu füllen, verliefen so, wie Sand zwischen Fingern verrinnt. Er hatte das Gefühl zu verlieren und nichts Greifbares zu haben.
Seine Sorgen darüber, dass etwas mit ihm nicht stimmte, wurden mit den Jahren immer ernster und verursachten schon früh so manch schlaflose Nacht. Glücklicherweise hatte Jan eine Methode, seine jugendliche Verzweiflung zumindest für kurze Momente aufzuheben und sie dadurch nicht ins Unerträgliche steigern zu lassen. Er sperrte sich in sein Zimmer, legte eine der wunderbaren CDs aus der Sammlung seines Vaters in den Spieler ein, drehte die Anlage laut auf, legte sich ins Bett, schloss seine Augen und hörte die Aufnahmen, als würde es nur noch Musik auf Erden geben. Es waren die Alben von Led Zeppelin, Pink Floyd und Leonard Cohen. Sie bescherten ihm Momente, in denen sich sein Bewusstsein und die Zeit aus Sekunden, Minuten und Stunden zu etwas sehr mächtigem und kostbarem verdichteten. Dann spürte er die Musik in all seinen Poren, sein Körper schwang in den voluminösen Klängen, sein Bewusstsein war im Einklang mit den klaren Harmonien und Akkorden, den Klangfarben der verschiedenen Instrumente, dem Rhythmus, der Form. Sie weckte Gefühle in ihm, die so stark waren, dass er nur noch aus diesen Gefühlen zu bestehen schien. Er verlor sich völlig in ihnen. Die jeweiligen Stimmungen der Songs ermächtigten sich seiner und banden ihn in ihren Geist ein. Es waren Momente, in denen er sich völlig verlor, ganz in sich und die Musik versank, aber die musikalischen Impulse so intensiv aufnahm, dass er glaubte, sich und Alles unter Kontrolle zu haben, da ihm nichts entging. Es waren Momente, in denen er sich nicht so unbeholfen und kümmerlich wie sonst fühlte, sondern groß, ja großartig, denn die Wucht des Sounds und der mächtigen Empfindungen, die er in ihm auslöste, ließen ihn über sich hinaus wachsen. Für Jan waren das nahezu heilige Momente und Erfahrungen. Er ahnte in ihnen, dass es in der Welt so etwas wie Wahrheit, Ehrlichkeit, Wesentlichkeit und Schönheit geben muss, für deren Werte und unmittelbare Erfahrung es sich lohnt, die Strapazen des beschwerlichen Alltags auf sich zu nehmen und zu leben.
Mit der Zeit wurde ihm die Musik immer wichtiger und ein unverzichtbarer Bestandteil seines Lebens. Sein Gehör wurde geübter, seine Aufnahmefähigkeit sensibler, seine emotionale Spannweite größer und bespielbarer, seine spirituellen und glücklichen Erfahrungen intensiver. Im Alltag war er nicht mehr ganz so frustriert. Zwar überstand er ihn nicht geschickter und erfolgreicher als sonst, er hatte aber etwas entdeckt, worauf er sich heimlich freute und das ihm etwas bedeutete.
Der Kontrast zwischen dem belanglos gewordenen Alltag und den musikalischen Offenbarungen wurde immer größer. Jan verspürte den immer stärker werdenden Drang, völlig und ununterbrochen in Musik aufzugehen, selbst Musik zu werden, zu einem Geist der Musik, zusammengesetzt aus der Wahrheit und Schönheit, die die Klänge verkündeten, und den Gefühlen und Stimmungen, die sie auslösten, zu werden, und als solcher Geist durch die Welt zu irren und die Menschen mit der Macht der Musik zu beschallen.
Diese Vorstellung war ihm peinlich. Er war bodenständig genug um zu wissen, dass ihre Umsetzung im irdischen Leben nicht möglich ist. Doch er schöpfte aus dieser Vorstellung eine Erkenntnis: Das Problem zwischen ihm und der Welt bestand darin, dass von den Menschen zu wenig Musik ausging, dachte er sich. Unter ihnen klang und schwang es kaum, kein Rhythmus hielt sie zusammen, keine ehrliche Trauer, keine ehrliche Freude brachten sie rüber, keine vollendete Form war in ihren Handlungen zu erkennen.
Glücklicherweise ist Jan stark genug geworden, um an dieser Erkenntnis nicht zu verzweifeln. Er würde die Welt herausfordern, den Kampf mit ihr aufnehmen, seine Vision in der Steppe der Ödnis durchsetzen, sagte er sich. Am nächsten Tag ging er in einen Musikladen, kaufte sich eine Trompete und begann zu üben.




Kakerlakerich - 13.02.2010 um 09:39 Uhr

Hallo Krawallo,

ich habe Deinen Text (bin selbst Vater eines Sohnes, der in der Pubertät ist, auf den die Geschichte nahezu gänzlich passt) gelesen. Ohne auf kleinere Fehlerchens einzugehen, sage ich: Weitermachen! Schreiben!

Alles Gute
K.




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