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-- Rezensionen II
--- Wolfgang Gottschalk - Bauchschmerzen
doktorfaustus - 01.09.2009 um 22:30 Uhr
Worum geht es in diesem Skandalroman? Ein rechtsradikaler Mörder sitzt in der Gefängniszelle und erzählt dem Gefängnispfarrer seine Lebensgeschichte. Eine schlichte Idee, spannend geschrieben, wenn man angefangen hat zu lesen, möchte man nicht mehr aufhören.
Warum dann der ganze Wirbel um dieses Buch (Ankündigung des Verbots usw.)? Der Autor, ein Lehrer, der Projekte durchführt, um rechtsradikale Jugendliche aus der Szene herauszuholen, ist Experte für das Thema. Der Leser wird an rechtsradikales Denken herangeführt, sowohl im Dialog als auch in kurzen Sachtexten, die der Protagonist verfasst und dem Pfarrer gibt.
Die Form des Gesprächs ermöglicht für den Leser die Identifizierung und zugleich die Distanzierung. Durch diesen Kunstgriff schafft es der Autor, dass man Sympathien für den Mörder entwickelt, weil er von Erfahrungen spricht, die man aus dem Alltag kennt (peinliche Eltern, nervige Sozialkundelehrer in der Schule, Freundschaft mit einem türkischen Gigolo und Schläger, erste erotische Erfahrungen usw.). Als Leser lässt man sich zunächst automatisch immer mehr auf die Argumente des Gefangenen ein und freut sich über die erfrischende „politische Inkorrektheit“. Der Dialog entwickelt sich, man erfährt auch immer mehr über die ambivalente Gestalt des Pfarrers, aber vor allem über die Psyche des Täters und die logische Entwicklung zur Katastrophe.
Das Buch verzichtet auf die klassischen Klischees (der Rechte ist kein besoffener Hauptschüler, sondern Philosophiestudent), der Autor spielt lediglich mit revisionistischen Geschichtstheorien (für den Geschichts-Interessierten eine Fundgrube).
Am Schluss des Buches – nach einer überraschenden Wendung, die aber nicht verraten werden kann, ohne den Lesespaß zu verderben – wird das grausame Verbrechen (Mord an einer türkischen Familie) detailliert beschrieben. Allerspätestens jetzt macht es bei jedem Leser „Klick“ und er erschrickt vor sich selbst. Er beginnt nachzudenken, wo der Knackpunkt war, an dem er in der Geschichte bei seiner Identifikation hätte aussteigen müssen.
Das Buch ist nicht nur ein absolutes Muss für jeden, der rechtes Gedankengut wirklich verstehen will und der sich für gesellschaftliche Entwicklungen interessiert, sondern es ist insbesondere Jugendlichen zu empfehlen, die auf der Suche nach ihrer (politischen) Identität sind. Aber Vorsicht: Nichts für sensible Nerven!
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