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-- Prosa
--- Der Geist des Weines
klaasen - 21.08.2009 um 23:09 Uhr
Der Geist des Weines
Die Augustinerstraße ist die Ausgehmeile der Mainzer Altstadt. Bis ins 17. Jahrhundert hinein war sie die Hauptgeschäftsstraße der Stadt.
Der Kirschgarten zählt zu den schönsten Plätzen in Mainz. Woher er seinen Namen hat, verrät nur noch ein Kirschbaumstumpf.
Die historische Mainzer Altstadt erstreckt sich vom Mainzer Dom bis hin zum Südbahnhof. In den unübersichtlichen Gassen, die bizarre Namen wie Nasengässchen, Heringsbrunnengasse oder Leichhof tragen, pocht das Leben. In der Altstadt ist immer etwas los. Am Tag herrscht rege Unternehmenslust auf den Straßen. Zu späterer Stunde halten sich die Mainzer und ihre Gäste in den gemütlichen und skurrilen Weinstuben und Kneipen auf. "Der ´Beichtstuhl´, der zu den ältesten Weinstuben von Mainz gehört, erstreckt sich über zwei Etagen. Dort kehrte ich eines schönen Nachmittags ein."
Der Geschichte nach besteht die dunkle Holzvertäfelung im unteren Schankraum aus einem ehemaligen Beichtstuhl, den ein Künslter aus einer nahegelegenen Kirche zur Einlösung seiner Zechschuld mitgebracht hatte.
Die Zeit verging und so langsam füllte sich der Beichstuhl. Ich sass nun zwischen zwei älteren Damen und Herren und man schwätzte Määnzerisch. Gleich fragte mich einer der älteren Herren: ,,Was ist denn ein Forzknoddel?”
Die ältere Dame an seiner Seite fing an zu lachen, stumbte ihn mit ihrem Ellenbogen in die Seite und meinte: „Lass doch den Mann in Ruhe. Woher soll er das denn wissen?” Ich tat so als wüsste ich es nicht. Nun meinem Erscheinen nach kam ich nicht aus Mainz. Was die Damen und Herren aber nicht wussten war, dass ich in Mainz geboren wurde. Zwar musste ich mit 12 Jahren Mainz verlassen, aber einige Mainzer Begriffe waren mir nicht fremd. Er klärte mich auf und sagte mit schelmigen Unterton: „Ein Forz ist ein Furz und bedeutet in dem Zusammenhang klein. Ein Knoddel AA. Aber in einer Form wie sie Hasen zustande bringen. Also demnach heißt Forzknoddel so viel wie kleiner Scheißer.” Nachdem er gesagt hatte, was er sagen wollte, fing er an zu lachen, haute mir mit seiner bäuerlichen Pranke auf die Schulter und lud mich zu einem Glas Wein ein.
Die Zeit verging und es wurde von Stunde zu Stunde lauter und lustiger. Nachdem die alte Standuhr im Schankraum elfmal läutete, ging die Tür auf und ein sehr, sehr alter Mann betrat den Raum .Er trug einen zerlumpten alten Mantel aus einem Stoff, den man für Kartoffelsäcke in früheren Zeiten benutzte und schaute in die Gesichter am Tisch, die wie erstarrt vom Anblick des Alten einzufrieren schienen. Es wurde still.
Die Wirtin kam und führte den alten Mann zum hintersten Tisch. Nach einer Weile brachte sie diesem einen Määnzer Handkäse mit Musik und ein Krug Wein.
Ich schaute wie gebannt auf das markante Gesicht des Alten und konnte meinen Blick nicht mehr von ihm lassen. „Trotz 2000-jähriger Geschichte ist Mainz jung geblieben,” meinte der neben mir sitzende, nun angetrunkene Herr, um von der eingekehrten Stille abzulenken. Langsam kehrte die Stille wieder ins Abseits und man hörte wieder vereinzelt das eine oder andere Wort im Flüsterton. Aber auch das ging vorbei und die Fröhlichkeit kehrte wieder zurück. Mein Blick klebte noch immer an dem markanten, hageren Gesicht des alten Mannes und irgendwie schien er mir nicht fremd.
Ich bemerkte nicht, dass alle Gäste schon gegangen waren. Ich saß wie hypnotisiert am Tisch.
Ich hatte die ganze Zeit über das Gesicht des alten Mannes beobachtet und mein Blick zu ihm war wie auf einem Foto festgehalten. Nichts bewegte sich in seinem Gesicht, als wäre er aus Stein gemeißelt, sass er auf seinem Stuhl und rührte sich nicht.
Die Wirtin berührte meine Schulter und gab mir zu verstehen, dass ich der letzte Gast sei und sie nun schließen möchte. Ich wies sie darauf hin, dass sie noch einen weiteren Gast habe. Den alten Mann dort.
Dann sagte sie: „Welchen alten Mann meinen sie?” Ich lachte und sagte. „Der alte Mann dort hinten ”
Sie schaute in die Richtung in die ich mit meinem Zeigefinger zeigte und klopfte mir auf die Schulter, lachte und sagte trocken.
„Das ist doch nur der heilige Geist. Eine Holzfigur aus dem 16.Jahrhundert. Die heilige Kraft, die unseren Beichtstuhl beschützt. Der sitzt auf diesem Stuhl schon seit es den Beichtstuhl gibt.”
„Aber,” sagte ich, „Sie haben ihn doch bedient. Das habe ich doch gesehen. Sie hatten ihm Määnzer Handkäse und einen Krug Wein gebracht.”
Da schaute sie mich an und meinte: „Haben sie dem alten Mann mit dem Klingelbeutel etwas gegeben?“
„Welchem alten Mann?” fragte ich sie.
Dem alten Mann, der immer zur selben Stunde in den Beichtstuhl kommt und mit seinem Klingelbeutel nach einer kleinen Spende fragt. Den müssen sie doch gesehen haben!”
Ich lies es dabei sein, zahlte und sagte nur. „Ja, ja. Der Wein. Ich denke, ich habe etwas zu tief ins Glas geschaut.” Sie hob nur die Schulter.
Draußen auf der Strasse war es gespenstig. Die Strassen waren leer und eine Erinnerung an meine Kindheit kam mir in den Sinn. Ich bildete mir ein, dass sich nichts verändert hätte. Alles sah genau so aus wie in meiner Kindheit. Die Pflastersteine, die Häuserfassaden, der Geruch. Ein Heimat Gefühl überfiel mich.
So ein Gefühl hatte ich zuletzt mit 12 Jahren. Danach nie wieder. Und jetzt ist es wieder da, dieses Gefühl, das ich nicht mochte. Es war eine Art Hassliebe, die ich für meinen Geburtsort empfand.
Am nächsten Tag beschloss ich, eine Kirche aufzusuchen und zu beichten. Ich wusste nicht warum, ich das Bedürfnis hatte zu beichten. Vielleicht war es der gestrige Abend, der in mir etwas ausgelöst hatte. Hatte ich wirklich einen heiligen Geist gesehen, den ich für einen alten Mann gehalten hatte?
Ich betrat den Beichtstuhl und als ich ihn wieder verliess und meine Sünden gebeichtet hatte, brach ich zusammen und starb. Den alten Mann, den ich gesehen hatte, war ich selbst gewesen. Ich hatte die ganze Zeit in einen Spiegel geschaut und mich selbst nicht erkannt.
klaas klaasen
birnenpalme - 23.08.2009 um 23:21 Uhr
Hallo Klaas,
eine etwas befremdliche, rätsellastige Geschichte. Obwohl ich das Kryptische eigentlich nicht so mag und auch sonst kein Neugierer bin, habe ich mich doch in deinen Text hineinziehen lassen und dort auf die Suche gemacht. Meine Abneigung gegenüber Beichtstühle (ausgenommen der Tresen) finde ich mehr als bestätigt, sie können also doch zur todbringenden Waffe werden.
Liebe Grüße, Wolfgang
klaasen - 24.08.2009 um 12:18 Uhr
Nett formuliert. Hoffe, du hast die Geschichte gut überstanden und warst nicht in der Nacht von Alpträumen geplagt.
klaas
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