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-- Aesthetik
--- Theater der Grausamkeit
LX.C - 29.04.2008 um 11:31 Uhr
Was ist von Artaud (1896-1948) zu halten? Französischer Theaterprogrammatiker, der das Manifest über das "Theater der Grausamkeit" (1938) entwickelte. Eine radikale Ablehnung üblicher Theaterformen, welche die traditionelle Auffassung von Raum, Zeit und Psychologie in Frage stellte, das reale Chaos der Gesellschaft demonstrieren und die bürgerliche Ordnung überwinden sollte. War er zu Recht "Vater der Neo-Avantgarde"?
Beckett, Genet, Derrida, selbst Brecht rezipierten ihn und ließen sich von seinen Ideen der Entliterarisierung, der Dezentrierung des Textes, der Kritik an der Mimesis beeinflussen.
Artaud sah in der rituellen Struktur, die er im balinesischen Tanz vorfand, die Antithese zur teleologischen Dynamik. Doch unterlag er nicht selbst einem Irrtum (seiner Zeit), indem er die rituelle Struktur des balinesischen "Schauspiels", das ihn nachhaltig inspirierte, als solches falsch interpretierte?
Denn es ist, nach Clifford Geertz, nicht als Überwindung und Befreiungsschlag zu werten, sondern unterliegt selbst streng kontrollierten Bewegungsabläufen, mit typisierten Rollen und kodifizierten Kostümierungen, welche tradierte Charakter-Rollen und Hierarchien sogar noch befestigen, einem strengen Kasten- und Normensystem. Wer aus ihm ausbricht, verliert den Schutz der Gesellschaft.
Gast873 - 29.04.2008 um 22:50 Uhr
Diese Nachricht wurde von Hyperion um 22:53:54 am 29.04.2008 editiert
Wenn der Tanz das rituell-kultische Sich-wild-und-zugleich-geordnet-Ausdrücken u.a. im Erotischen repräsentiert, dann ist er insofern auch eine Art Sprache, die sich in genauen linguistischen Denkstrukturen äußert. Seit Levi-Strauss´ "Traurigen Tropen" (1955) wird besonders der Semantik der Sprachen und Zeichen(-bedeutung) der Wilden diesbezüglich großer Wert beigemessen, der mit der Machete der Anthoroplogie einen wuchtigen Weg ins Bewusstsein der gar nicht so überlegenen (europäischen)Zivilisation schnitt. Anthropologie und Ethnologie bestimmten fortan nicht nur die Soziologie, sondern auch die Kunst, vor allem das Theater und die Kunst. Die ethnologischen Studien von Levi-Strauss (1935) fallen in etwa in die gleiche Zeit von der Proklamation des "Theaters der Grausamkeit" (auch 1935). Nur Zufall oder doch ein Trend, ein konvulsivischer Impuls, der sich in den Kolonialländern als grausam-schöne Neue Welt abzeichnete? Ich bin mir noch nicht ganz sicher.
Gruß,
Hyperion
LX.C - 02.05.2008 um 22:01 Uhr
[Quote]Nur Zufall oder doch ein Trend, ein konvulsivischer Impuls, der sich in den Kolonialländern als grausam-schöne Neue Welt abzeichnete? Ich bin mir noch nicht ganz sicher.[/Quote]
Auch wenn du dir noch nicht ganz sicher bist, würde ich dir zustimmen. Die Mystifizierung des Exotischen, Orientalischen war ein starkes Phänomen jener Kolonialzeit, teilweise auch forciert für touristische Zwecke. Die Frage ist, müsste man deshalb Artauds Theatertheorie neu überdenken, vielleicht sogar verwerfen? (Und somit auch Teile der Theatergeschichte) Oder soll und kann man anerkennen, was wer, unabhängig dieser Mystifizierung, zum Ausdruck bringen und bewirken wollte?
(Schließlich biegen sich die Balken des Gerüsts, auf dem seine Theatertheorie steht.)
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