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-- Prosa
--- Damals, lange her

kls - 10.03.2008 um 23:04 Uhr

Erste Klimax als Ouvertüre

Eines Tages stand ich dann vor der Gedächtniskirche in Berlin, endlich der Bevormundung durch Eltern und Lehrer entwischt. Das war 1967 oder 68. Ich setzte mich auf die Stufen und drehte mir eine Zigarette. Hier war die Gegenwart. Hier war die Zukunft. Hier gab es viele junge, aufgeregte Menschen, so wie ich ein junger, aufgeregter Mensch war. Wir warteten gemeinsam auf etwas, was genau vermochte keiner zu sagen. Die Sonne brannte auf meine schwarze Bekleidung, aber das störte mich nicht weiter. Schwarz gekleidet musste man schon sein, um seine Zugehörigkeit zur revolutionären Avantgarde zu demonstrieren.

Dem Elternhaus war ich durch eine Orgie in der Sommerresidenz eines befreundeten Professors entkommen, dem Internat durch einen Automatenbruch und der Lehre durch Verweigerung. Ich wollte frei sein. Nun war ich frei. Endlich frei! Ich war 17 oder 18 Jahre alt und die fleischgewordene Anarchie, die Hoffnung der Welt gar. Ich kostete dieses Gefühl aus, bis ich Hunger bekam. Also suchte ich nach einer Polizeistation, wo ich mir den Zwangsumtausch zurückgeben ließ. Damals musste man nämlich 5,00 DM an der Grenze in DDR-Mark wechseln. Davon kaufte ich mir einige Brötchen und etwas geräucherte Blutwurst.

Dann setzte ich mich wieder auf die Stufen. Eine Streife wollte meine Papiere sehen. Die erste Konfrontation mit den Bütteln eines umsturzreifen Systems. Ich zeigte meinen Pass vor, in welchem als Wohnort Istanbul eingetragen war. Natürlich konnte ich mir ein zackiges „Freundschaft“ nicht verkneifen. „Geh’ doch nach drüben.“ war die vorhersehbare Antwort. Die Beamten gaben mir den Pass mit einem Schulterzucken zurück. Mein erster Sieg. Mir konnte niemand etwas. Einige Meter weiter pflückten sie sich einen weniger gewieften aus der Menge junger, aufgeregter Menschen und nahmen ihn mit, begleitet von zaghaften „Scheißbullen, Nazischweine“ Rufen meiner Gesinnungsgenossen. Sofort wollte jemand anderes einen Marsch aufs nächste Polizeirevier organisieren, aber da keiner wusste, wo sich die Wache mit dem inhaftierten Bruder befand, unterließen wir es dann doch. Irgendwer drehte eine Tüte und ließ sie rumgehen. Mein erster Joint! Ich unterdrückte den Hustenanfall, diese Blöße wollte ich mir nicht geben. Schließlich hatte ich schon mal Captagon Tabletten probiert und ein Zahlenschloß geknackt, war mit dem Fahrad davon geradelt und hatte es im Teich versenkt, wegen den Fingerabdrücken. Niemand sollte auch nur ahnen, dass ich bloß ein Neuling war.

Als es dunkel wurde zogen die meisten von uns weiter in eine Teestube. Ich zog mit. Sperrmüllsofas, Musik von Amon Düül aus den Lautsprechern, niedrige Tischchen, Räucherstäbchen, Haschischwolken, Schmalzstullen. Hier also war ich ab nun zu Hause. Hier waren die Leute, die wie ich dachten. Dachten? Dachte ich tatsächlich…

Ich war jung, unschuldig und ein entsetzlicher [Zensiert]. An meiner Ignoranz hatten sich bislang etliche besorgte Menschen die Zähne ausgebissen. Erwachsene waren schon seltsam. Erst bringen sie einem den Wert der eigenen Meinung bei und dann wundern sie sich, wenn sich diese gegen sie wendet. (Was soll aus dir mal werden? Quatsch, ich bin doch schon)

Der Betreiber fragte mich aus. Er musste wohl mein aufgesetztes Revolutzertum durchschaut haben. Ich wich aus, so gut ich konnte, niemand sollte mich als Anfänger in den Reihen der Stadtguerilla erkennen. Um 4.00 Uhr morgens schloss er ab und nahm mich mit auf das Matratzenlager der K1. Neben mir vögelte ein Pärchen, ich schlief dennoch gut ein. Als ich erwachte fehlte mein kleiner Kulturbeutel mit dem Pass und der Zahnbürste. Ich begab mich in die große Küche. Der Beutel lag auf dem Tisch, mein Pass daneben und 6 – 8 Leute saßen drum herum. Später erfuhr ich auch deren Namen: Dieter Kunzelmann, Uschi Obermeier, Fritz Teufel, Rainer Langhans und einige Nebenfiguren...

„Wir wollten nur herausfinden, ob du ein Bullenspitzel bist.“

Ich fing an zu schwitzen vor Scham. Wie konnten meine Brüder und Schwestern nur solch einen ungeheuerlichen Verdacht äußern.

„Hier steht Wohnort Istanbul. Das macht Deinen Pass sehr wertvoll. Möchtest Du ihn nicht verkaufen? Wir könnten ihn gut gebrauchen.“

„Klar.“ Kein Gedanke an den Rückweg. Den Genossen würde ich doch jeden Gefallen tun, wenn es dem Umsturz des Schweinesystems diente.

„Wir bieten Dir 1.200,00 DM. Aber Du darfst den Pass nicht als gestohlen melden.“

1.200,00 DM! So viel Geld hatte ich nie zuvor in den Händen gehalten. Ich besaß noch einen Personalausweis mit eingetragenem Wohnort Bad Godesberg, Otto Kühne Platz 1, der Adresse des Internats für missratene Kapitalistensöhnchen, wo man mich rausgeschmissen hatte, nur weil ich einen Zigarettenautomaten mit Hilfe eines Stilkammes entleerte. Der Stubenälteste hatte mich verpfiffen, dieses Kameradenschwein…

Es dauerte noch einige Stunden und dann hielt ich einen, mir ungeheuerlich vorkommenden Betrag in den Händen. Ich war reich! Inzwischen hatte mich ein gewisser Goofy unter seine Fittiche genommen. In der Breslauer Straße sei eine Wohnung frei, der Mieter auf unbestimmte Zeit nach Bonnies Ranch verzogen. Richterliche Einweisung wegen Geistesschwäche, sprich Drogensucht. Bonnies Ranch war der Szenejargon für die Karl-Bonhoefer-Nervenklinik in Berlin-Wittenau.

Wir gingen 20 Minuten. Das Tor zum Durchgang in den Hinterhof öffnete Goofy mit einem abgeknickten Schraubenzieher als Dietrich. Die Wohnung selber schloss er dann genau so auf. Ich war völlig begeistert. Das war exakt das, wonach ich gesucht hatte. Ich war endlich ein Subversiver. Ein Gesetzesloser mit Nachschlüsseln. Jenseits der Ordnung und mit eigenen Regeln. Goofy schenkte mir den improvisierten Dietrich. Ich war gerührt ob dieser bewiesenen Solidarität unter uns Langhaarigen.

Die Wohnung sah aus, wie Hiroshima nach Little Boy. Ich blätterte in den umherliegenden Schreiben: Anklage wegen Autodiebstahl, Waffenbesitz, Apothekeneinbruch. Ein Gutachten welches dem Mieter Drogenabhängigkeit bescheinigte, eine ärztliche Diagnose, die auf Gelbsucht lautete, eine Anzeige wegen Unterschlagung und ein Schreiben vom Jugendamt in Sachen Unterhaltszahlung. Aha, ein Freigeist.

Goofy machte mir einen geschäftlichen Vorschlag. Ich solle das Geld in Haschisch investieren. Für 1.200,00 DM könne ich 2 Kilo Libanesen erweben. Er hätte die entsprechenden Connections. Im Straßenverkauf würde das dann problemlos ein 10-faches einbringen. Haschisch sei revolutionär. Wer kifft war automatisch einer von den Guten. Aber ich war ja so was von gewitzt. Ich wollte erst mal nur ein Kilo für 600,00 DM.

Ich sah Goofy nie wieder…

Zwei Jahre später wurde Goofy tot in einem Straßengraben aufgefunden. Bei Gütersloh in Nordrhein Westfalen. Hatte wohl die falschen Leute abgezogen. Jemand hatte ihm die Hoden abgeschnitten und anschließend eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Aber inzwischen hatte ich die Spielregeln kapiert: Auch unter den Guten gibt es Böse…

Ich lebte 8 Monate in der Wohnung, ohne dass irgend jemand wegen der Miete nachfragte. Ich hatte mein Vermögen auf über 20.000,00 DM gesteigert. Ich dealte mit Haschisch und Opium. Meine Türkischkenntnisse gewährten mir Zugang in die Schattenwirtschaft. Ich war eine feste Figur auf der Szene. Die Untergrundzeitung 888 veröffentlichte ein Statement von mir: „Schießen ist Scheiße, Schießer sind [Zensiert]“. Ich selber war allerdings inzwischen hochgradig morphiumabhängig. Ich konnte keine kurzärmlige Hemden mehr tragen, wegen den Einstichen.

Eines Morgens wurde mir die Wohnung gestürmt. Ich lag mit einer netten Tante im Bett, Frank Zappas „Der Präsident hat gekotzt“ lief, als die Tür eingetreten wurde. Das waren keine verschlafenen Wachtmeister, das waren echt harte Jungs, die da mit ihren Knarren vor meinem Gesicht rumfuchtelten.

Sie fanden nichts. Sie vergaßen den Schwimmer in der Toilette zu kontrollieren, vermutlich, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass jemand so blöde ist, ausgerechnet dort seinen Stoff zu bunkern. Sie bemerkten noch nicht einmal die Einstiche in der Armbeuge. Bis heute rätsele ich über die Hintergründe. Es ging wohl weniger um Drogen, denn um meine Kontakte zur politischen Szene. Das legendäre Puddingattentat auf Humphrey war schon länger her und die Baaderbefreiung lag noch weit in der Zukunft. Es gab Stadtindianer, den „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ und Spaßanarchos. Was also sollte dieses beknackte Tamtam? Ich wurde noch nicht einmal mitgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Sie zogen nach 2 Stunden Stress wieder davon, nicht ohne mir gehörig Angst vor irgendwelchen Folgen irgendwelchen weiteren Benehmens meinerseits einzujagen. Vage Drohungen in der Tonart: „Und Dich kriegen wir auch noch." sollten wohl eher ihrem Ego schmeicheln, denn dass es mich beeindruckte.

„Ja, und die kaputte Tür?“

Höhnisches Gelächter: „Verklag’ uns doch.“ Und weg waren sie…

Am nächsten Tag hatte wer ein Sicherheitsschloss in das Tor zum Hinterhof eingebaut Ich kraxelte über die Mauer vom Nachbargrundstück. Das brachte mich aber auch nicht viel weiter. Die Wohnungstür war nämlich zugeschraubt. Sogar einige Hunde bellten wie verrückt, als ich mich an der Mauer entlang drückte. Zusätzlich vermutete ich Massen von Dunkelmännern im Treppenhaus. Ich sah es gewaltig flitzen. Mein ganzes Geld, mein ganzer Stash war doch da drinnen. Ich brauchte dringend einen Schuss.

Ich kletterte die Hauswand hoch, zog meine Jacke aus, legte sie über das Glas und schlug ein Fenster ein. Dann tastete ich mich zur Toilette vor, riss den Schwimmer aus dem Spülwasserbehälter und machte mich auf den Rückweg.

Ich rannte Richtung K1. Kunzelmann öffnete mir die Tür. Als er mich erkannte, wurde sein Gesicht abweisend, ja, sogar richtiggehend feindlich.

„Hau bloß ab, du [Zensiert]. Solche wie dich wollen wir hier nicht haben.“

„Aber warum denn nicht?“, doch die Tür hatte sich schon wieder geschlossen.

Ich setzte mich in den Hausflur, köpfte zwei Ampullen Morphin a 27,5 mg, zog sie in die Fixe hoch und schoss sie mir in die Blutbahn. Sofort wurde ich wieder klar im Kopf und meiner Situation gewiss. Mein Perso lag noch in der Wohnung, keine Change ihn zurück zu bekommen. Ich weinte. Ich konnte nicht mehr, ich war fertig, alle und im Eimer. Ich wollte wieder nach Deutschland. Ich wollte aus dieser Sackgasse raus. Ich wollte nicht an diesem Dreck krepieren. Ich wollte zurück zu Mutti, mich gesund pflegen lassen und ein neues Leben beginnen.

Ich rief meinen Bruder an. „Hol mich bloß hier raus.“ Er aktivierte einen Bekannten im Kanzleramt und nach einigem Hin und Her wurde ich ohne Vorlage eines Ausweises als VIP zurückgeflogen. Das Donnerwetter welches mich in Bonn erwartete hatte ich verdient und steckte es voll Demut, ausnahmsweise ohne Widerworte weg.

Zweite Klimax als 1. Akt

10 Tage zitterte ich mir einen ab, schämte mich enorm und hatte übelste Depressionen. Ich verbrauchte Unmengen an Schlaftabletten, welche mir von einem verständnisvollen Arzt verschrieben wurden. Nach zwei Wochen zog ich auf wackeligen Beinen durch die Stadt. Mein Bruder hatte mich gewarnt. Hier in Bonn wären keine gewöhnlichen Dorfbullen am Werkeln, hier sei der Verfassungsschutz präsent. Ich solle bloß nicht versuchen irgendwelche Kontakte zu Drogenkreisen aufzunehmen. Er meldete mich in einer Abendschule an, damit ich wenigstens mein Abitur nachholen konnte. Mindestens zwei mal ging ich auch hin…

Denn der Film hieß ja nicht: Der verloren geglaubte Sohn kehrt zurück. Der Film hieß: Der verlorene Sohn findet den Heimweg nicht mehr. Ich hatte mich inzwischen in einen richtigen Freak verwandelt, langhaarig, verschlissene Kleider, ungewaschen, unrasiert, meistens barfuss und all die rührend anmutenden Versuche, mich endlich auf den rechten Pfad zu bringen, fruchteten wenig, eher gar nichts. Ich zog wieder nach Bielefeld.

Schon am ersten Abend wurde ich in die Szene aufgenommen, immerhin war ich jetzt ein Veteran mit Fronterfahrung. Wir besetzten das hinterste Zimmer in der Jazz Klause, kifften wie blöde und fummelten an den Mädchen rum. Ich schwang große Reden, erzählte von meinen Siegen, sicherte mir Beischlafrecht bei den Töchtern der Stadt und warf alles an Pillen ein, was nicht schnell genug davonlief. LSD war groß in Mode und davon bekam man auch keinen echten Durchblick. Es dauerte auch nicht lange und ich fing wieder an zu fixen.

Michael „Stalin“ Ivanowitsch und ich fanden eine leerstehende Altbauwohnung und mieteten diese an. Die „K1 Bielefeld“ war geboren. Schnell hatten wir unsere Mannschaft zusammen. In den Morgenstunden plünderten wir die Milchlieferungen vor den Supermärkten, mittags setzten wir uns bunt bemalt an den Leineweberbrunnen und ließen uns als Außerirdische bestaunen, abends dealten wir mit allerlei Verbotenem vor der Klause, und des Nachts zogen wir völlig aufgeputscht durch die Stadt. Normalen Schlaf kannten wir gar nicht mehr, wir sanken statt dessen ab und an ins Koma.

Die Sparrenbergapotheke hatte eine massive Stahltüre als Hintereingang. Allerdings mit außenliegenden Scharnieren. Es war wirklich nicht weiter schwer, die Zapfen aus den Angeln zu drücken und dann den Tabula C zu plündern. Damals hatten die Apotheken noch größere Vorräte im Giftschrank gelagert, erst Mitte der 70’er Jahren wurden Narkotika von den besser gesicherten Depotapotheken bei Bedarf an die Filialen ausgeliefert. Zwei Mal bedienten wir uns. Wenn wir diese lächerliche Stahltür wieder eingehängt und uns in Sicherheit gebracht hatten, schmiss jemand die alarmgesicherte Vordertür mit einem großen Stein ein und rannte davon. Das muss bei der Polizei für reichlich Verwirrung gesorgt haben, denn die Zeit zwischen Auslösen des Alarms und dem Eintreffen der Streifenwagen war definitiv zu kurz, um etwas zu klauen und davon zu schleppen.

Es war wirklich ein Dauerwunder, dass niemand von uns an überdosierten Drogen abkratzte. Standgefäße in der Küche voll mit Pantopom, das sind Opiumalkaloide zusätzlich mit Morphin aufgepeppt, Morphiumampullen, Dolantin, Eukodal, Dilaudit, Dicodit, wir schwelgten fett und völlig enthemmt.

Meine Mutter kam aus der Türkei angereist und besuchte mich. Ich laberte Schwachsinn, schmiss Mao, Dutschke, Einstein, Freud, Ginsberg und Leary in einen Topf unausgegorener, wüster Lebensphilosophie und warf ihr alle möglichen Vorwürfe an den Kopf. Als sie ging, weinte sie. Sie versuchte mich zu entmündigen, es klappte nicht. Sie wand sich an das Jugendamt, dieses erklärte sich für nicht zuständig, schickte aber einen Sozialarbeiter vorbei. Mit diesem Mann verband mich später eine langjährige Freundschaft. Sie zeigte mich sogar bei der Polizei an. Da kam zwar eine Hausdurchsuchung bei rum, aber da wir uns etwas Ähnliches schon gedacht hatten, wurde nichts Belastendes gefunden.

Dann bekam ich den ersten Gilb meines Lebens. Schluss mit lustig. Alle 8 Mitglieder unserer Idiotenwohngemeinschaft und einige kleine Mädchen, welche mit uns verkehrten, mussten ins Krankenhaus. Der Stationsarzt von der Inneren war ein alter Schulfreund meiner Mutter, er versuchte wie so viele vor ihm, mich zur Vernunft zu bringen, doch ich war schon viel zu weit abgetriggert. Ich war nicht mehr zu erreichen. Statt dessen peppte ich die Infusionen mit Morphin auf.

Es folgte ein 2-monatiges Zwischenspiel in Amsterdam, alles wie gehabt. Nur dass hier Speed geschossen wurde anstelle von Opiaten. Ich verkehrte im legendären Paradiso, lebte auf einem Hausboot mit Cannabisplantage und geriet vorhersehbarer Weise in eine Razzia. Man schob mich ab, nicht ohne mir einen entsprechenden Vermerk in den Perso zu stempeln.

Dritte Klimax als 2. Akt

Nun aber wollte ich mein Leben endlich ändern. Das kekste doch alles nur noch. Ständig auf Droge oder Entzug. Mein Freund auf dem Jugendamt besorgte mir eine Stelle als Praktikant im Altersheim Johannesstift und einen Platz an der sozialpädagogischen Fachoberschule Carl Severing. Ich wollte auch Sozialarbeiter werden, er hatte mich mit seiner Art nicht zu bewerten oder gar zu verurteilen schwer beeindruckt. Fast ein ganzes Jahr drückte ich mit angehenden Kindergärtnerinnen die Schulbank und profitierte bei ihnen durchaus erfreulich von meinem Exotenbonus. Kurz vor dem Fachabitur schmiss ich wieder mal hin.

Kurzer Sprung von 1968 – 69 ins Jahr 2008: Letztens fragte mich mein bester Freund, was mich meiner Meinung denn wohl gerettet hätte. Ehrlich, ich weiß es nicht. War es die Konstitution? Die Masse und Substanz? Die Musik? Das Schreiben? Meine Intelligenz? Schach? Die Leute, welche trotz allem an mich glaubten und die ich nicht enttäuschen wollte? Mein sozialer Background? Angst? Ich weiß es wirklich nicht. Und so richtig gerettet fühle ich mich sowieso kaum bis wenig. Ich kiffe immer noch so ab und an. Ich schmeiße auch keine Codeintabletten weg. Ich saufe manchmal bis zum Stillstand der Pupillen. War es die Verantwortung meinen Kindern gegenüber? War es Stolz? Biss? Aufgeblähtes Ego?

Warum sind die anderen tot oder haben sich das Hirn weggeschossen, sitzen im Knast oder als Penner auf der Parkbank.

Mein bester Freund meint, ich hätte bloß Glück gehabt und spricht mir jegliche Eigenleistung ab.

Ich habe Liebe erfahren und Liebe gegeben. Ich habe gelebt. Ich lebe und liebe immer noch sehr intensiv…

Zurück zu meinen Memoiren.

Es folgte eine Zeit ständig wechselnder Adressen, Freundinnen, Idole, Philosophien und Neuanfänge. Kein Adrianefaden führte mich zum Ausgang dieses privaten Labyrinths.

Irgendwann kam es, wie es meistens kommt, wenn jemand annimmt, er sei stärker als das System. Die überlegene Stärke des Systems offenbarte sich mir in Gestalt eines Richters, der mir die Wahl ließ zwischen „freiwilligem“ Entzug in einer Klinik oder Gefängnis. Ich entschied mich verständlicher Weise für den Entzug und landete in Bremen bei Dr. Heines, damals DIE Adresse für Suchtkranke.

Dort bastelte ich in der Gestaltungstherapie an ferngesteuerten Modellflugzeugen, die ich nach Beladung mit Unkraut-Ex-Zucker-Gemisch (zuzüglich einer kleinen Prise Phosphor) auf der Wiese vor der Verwaltung abstürzen und in Flammen aufgehen ließ, was nicht gerade einer positiven Prognose dienlich war. Die Orff’sche Musiktherapie unterlief ich mit dramatisch-drastischen Klaviertönen über alle Oktaven, laut und schräg, vorzugsweise in Moll. Vielleicht litt ich ja wirklich unter latentem Autismus und als man mich dabei erwischte, wie ich des Nachts im klinikeigenen Park an den Eichen rumsägte, wurde ich als untherapierbar rausgeschmissen.

Inzwischen war der große Trip zum Big Zeppelin (Zitat: F.J. Degenhardt) ausgebrochen und hatte alle meine Bekannten gebissen. Die Kumpel waren vom mystischen Hirnfick infiziert, legten sich einen Guru mit so unaussprechlichem Namen wie Swami Paramahansa Yogananda oder ähnlich zu und meditierten 5 x täglich. Statt Rock’n Roll gab es komische Sitartöne mit Tablagetrommel aus der Anlage, es wurden geröstete Sesamkörner mit Meersalz und Sojapaste (Miso) auf ungeschältem Reis verkostet und mit Mu-Tee runtergespült. Der angehende Heilige trug keine Schuhe aus Leder und schmierte sich als drittes Auge einen roten Fleck auf die Stirn. Das war alles noch viel schrecklicher als hier geschildert. In jedem Zimmer hatte es einen Altar mit blumenumkränzten Fotos von hässlichen Indern, alle vormals völlig normalen Leute hüllten sich in weiße, wallende Gewänder und schoben ein unerträglich seliges Grinsen vor sich her.

Mangels Alternativen machte ich auch hierbei mit, lebte 3 Monate in Frankfurt in einem Ashram der Guru Maharadschi Jünger und arbeitete auf dem Flughafen in der Gepäckausgabe, lieferte aber den Verdienst nicht ab sondern wedelte mir am letzten Tag auf dem „heiligen“ Klo der Mahatma einen von der Palme und trampte zurück nach Bielefeld. So einen Schwachsinn konnte ich mir einfach nicht noch länger antun.

Vierte Klimax als Finale

Muss ich noch schreiben




Glygg - 11.03.2008 um 11:33 Uhr

Au weiah! Noch ein Päda-Geschädigter. Das konnte ja nicht anderes enden. *Grins* - Die Methode mit dem Stiel-Kamm funktionierte einige Jahre später immer noch. Allerdings war der nächste Automat ein paar Meter weiter entfernt, neben dem Zwiwi ;-)

Gruß

Thomas




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