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-- Prosa
--- von der begegnung mit der roten waldameise

Der_Geist - 07.03.2008 um 20:30 Uhr

wahrscheinlich war es meine blattlausigkeit gewesen, die mich in den wald getrieben hatte. nicht, dass ich mich unbedingt haette melken lassen wollen, nein, ganz im gegenteil. ich wollte einfach nur in ruhe auf einem blatt herumkrabbeln und ein wenig konsumieren, ohne stoerungen, klein, weitgehend unsichtbar, wie ich nun mal bin. allerdings hatte ich den natuerlichen lauf der dinge wohl unterschaetzt.

kaum haenge ich unterseitig an dem vorzueglich mundenden, hellgruenen blatt der pflanze, deren name nichts zur sache tut, als mich schweres schrittgedonnere aufschrecken laesst. meinen ruessel zurueckziehend und das schmatzen unterdrueckend verharre ich, hoffend, dass der drohende kelch an mir voruebergeht. ich zittere. ich will nicht... von mir kriegst du nichts! ich brauch noch eine weile, bis... immer diese natuerlichen mechanismen.

sie ist es. die rote waldameise. ich habe sie am schritt erkannt, instinktiv, natuerlich, das sitzt mir doch in meinen paar genen. jaja, mensch, da vor dem schirm! lach nur! auch ich habe gene! mehr, als dir vielleicht lieb ist. frag die vernichtete ernte in deinem garten. das waren meine geschwister! ich war aber nicht dabei. brauchst mich gar nicht zu verklagen, das nuetzt nichts, weil dein amtsgericht nur natuerliche personen als zu verklagende anerkennt, und zu denen gehoere ich nicht: aetsch! ich trage nun mal keine maske: ich bin ich, so wahr ich hier – noch! – haenge.

die rote waldameise sitzt ueber mir auf dem blatt: ich kann ihre umrisse erkennen und das neurotische zappeln ihrer riesenfuehler (wer die nur erfunden hat). es wird nicht mehr lange dauern, und sie wird versuchen, mich zu betrillern, wie sie das nun mal muss, nenn es natuerlich, genetisch, instinktiv, von gott gewollt, universal, wie auch immer. sie wird es versuchen, weil sie es versuchen muss, da kann sie nichts fuer, und ich, blattlaus, auch nicht.

noch harre ich ruhig. an flucht ist nicht zu denken (kann ich ja eigentlich auch gar nicht). dann erscheint der riesenkopf fuehlertastend ueber dem blattrand, der riesenkopf weiß genau, wo er hin muss, und ich weiß, wo er nicht hin soll. ok, sie hat mich gefunden, wie sollte sie auch nicht. ich beschließe, einen anderen als den ueblichen weg einzuschlagen, und ausnahmsweise mal nicht fuer dieses riesenrote vieh meinen honigtau abzusondern. thema: erwartungen.

inzwischen der visage meiner potenziellen melkerin angesichtig, werde ich mutig und sage, diplomatisch, wie ich nun mal bin:
#hoer mal zu, rote riesin, wir kennen doch diese alte nummer zur genuege, da habe ich aber heute keinen bock drauf. koennen wir das nicht irgendwie anders regeln?#
fuer einen moment unterbricht die ameise ihr fuehlerhaftes prae-getrillere und scheint verdutzt.
#aeh, wie? was?#
der punkt geht an mich, ich kann sie fuers erste stoppen.
#na ich meine, ich moechte hier in ruhe ein bisschen an dem blatt saugen und nicht staendig fuer euch sozialstaatsarbeiterinnen meinen obolus ablassen, verstehst du? das strengt mich zu sehr an, und ich habe doch nur dieses eine leben. gestehst du mir das zu?#
die rote waldameise rappelt sich nach der ersten irritierung, sagt: #ok, ich versteh dich schon, aber...#, sie zoegert, und ein unwille steigt in ihr auf, #ich habe meine produktionszahlen fuer heute noch nicht erfuellt, und deswegen kann ich deinem bitten nicht entsprechen. es muss gemolken werden. her mit dem honigtau!#

ich hatte es befuerchtet. so einfach ist das eben nicht in der natur. inzwischen macht meine antipodin anstalten, meine blattunterseite zu erobern und sich mir auf unangenehme weise zu naehern. es muss mir etwas einfallen.
#halt!#, rufe ich ihr entgegen, nicht wissend, wie ich weiter argumentieren soll. die rote waldameise haelt inne.
#betrillern war doch gestern. seit heute herrscht gleichberechtigung. hast du das noch nicht gehoert?#
die rote waldameise stutzt erneut, sagt: #noe, das muss an mir vorbeigegangen sein. war das in den nachrichten?#
ich wittere morgenluft: #ja, klar, gestern abend im ersten um zwanzig uhr. da haben sie gesagt, dass alle parteien jeglicher couleur beschlossen haben – uebrigens zum ersten mal in der politischen geschichte einmuetig – dass ab heute, siebter maerz anno null-acht, ameisen genauso von blattlaeusen gemolken werden duerften, wie viceversa, im zuge der gleichberechtigung, die wir uns doch alle so wuenschen. du doch auch, oder?#
fassungslos starrt mich der angst einfloeßende kopf der ameise an.
sie sagt: #das ist jetzt nicht dein ernst, oder? willst du mir hier einen vormachen oder was?#
#nichts liegt mir ferner. pass auf, ich werde dir beweisen, dass es geht. komm her! aber hoer auf mit diesem staendigen fuchteln, diese bloeden riesenfuehler machen mir angst.#

die rote waldameise scheint neuem gegenueber aufgeschlossen, vielleicht denkt sie: wollen wir mal nicht so sein, man kann nur lernen, und krabbelt ueber den blattrand auf die unterseite zu mir.
#ja und jetzt?#, fragt sie interessiert.
#du musst nichts weiter tun, als stillzuhalten. ja, gut, prima! du kannst das!#
die rote waldameise haelt tatsaechlich entgegen jahrmillionen alter uebung still, derweil ich meinen ruessel – ein novum! – in sie bohre und sie aussauge, bis ihr
panzer vom blatt abfaellt, leblos.

puenktlich zu den nachrichten bin ich abends wieder zu hause.




Gast873 - 09.03.2008 um 19:19 Uhr

Diese Nachricht wurde von Hyperion um 19:28:04 am 09.03.2008 editiert

Vom Genre her "fabelhaft" (in doppeltem Sinne) für ältere krabbelnde Semester, ohne jedoch zu platt zu wirken und geschrieben worden zu sein, z. B. kein einziges Mal kommt die schlechte Sprach-Konstruktion: das ist halt so, vor, der man sich leider zu oft in der Alltagssprache beident. Gut gemacht!

Gruß,
der Spieler




Der_Geist - 09.03.2008 um 19:51 Uhr

Bedanke mich für Deinen Kommentar.
Hab inzwischen noch n bisschen dran gebastelt, "dass"-Sätze in Konjunktivisches umgemodelt etc. Aber manchmal will ein Text einfach SOFORT raus ins Licht. Der hier wollte. Ich konnte ihn nicht zurückhalten. Also ließ ich ihn.

Gruß:
ein altes Fabuliersemester. ;)




Hermes - 10.03.2008 um 11:10 Uhr

Hervorragend. Hat mir gut gefallen, auch die Idee. Gut geschrieben und gute Dialoge. Kompliment.



Der_Geist - 10.03.2008 um 18:44 Uhr

Freut mich, Hermes, danke Dir für Deinen Kommentar. Gruß in den "Bonner Dunstkreis". ;)



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