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--- Mimesis heute

LX.C - 25.02.2008 um 22:23 Uhr

Aristoteles "Mimesis" (Nachahmung) bedeutet nicht, das tatsächlich Geschehene nachzuahmen, sondern das abzubilden, was nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit eintreten könnte.

Berühren sollten und demnach auch in der Prosa nicht überspitzte Einzelgeschehnisse (auch wenn sie vielleicht tatsächlich einmalig eingetreten sind), sondern jene verallgemeinerbare, mit denen sich der Leser identifizieren kann.

Sind wir längst einer Effekthascherei unterlegen? Einem Sog, der uns zu immer skurrileren Geschichten treibt? Oder sind es noch immer die Geschichten nach alter Kunst der "Mimesis", die uns wirklich berühren?




Matze - 26.02.2008 um 06:30 Uhr

Zitat:

Sind wir längst einer Effekthascherei unterlegen?

Das befürchte ich auch. EIn trivialmytisches Beispiel. Eine neue KNIGHT RIDER-Serie bzw. der Pilotfilm, der die Bestellung einer möglichen Season als Opition hat, ist fertig und wurde am 17.2. gesendet:

Knight Rider - Ausschnitt
http://www.youtube.com/watch?v=01FAJ1cXL_8&feature=related

Warum hat KITT eine neue Stimme?




almebo - 26.02.2008 um 11:02 Uhr

The pilot part knight Rider
is not interesting - leider !
For me of course, I must it say
ist augenblicklich nicht: My way !

al




Gast873 - 27.02.2008 um 22:58 Uhr

Diese Nachricht wurde von Hyperion um 23:09:13 am 27.02.2008 editiert

@Matze,

freut mich, dass du sinnvolle Beiträge schreiben kannst, das meine ich nicht ironisch, sondern ehrlich.

Ich habe Dich in letzter Zeit schon häufig ob des Schwätzens kritisiert (das ist eine perfektionistische Schwäche von mir, sorry dafür), aber dieser Beitrag von Dir ist gar nicht mal soooo schlecht. Mimesis findet immer wieder neu statt, weil wir ohne auch nicht können, sonst hätten wir nur noch platonische Wächter, die auf sich selbst rekurrieren, wie zwei sich gegenüber liegende Spiegel.

Freundlichen Gruß,
Hyperion




almebo - 28.02.2008 um 10:50 Uhr

Arirstoteles, Politik an sich die älteste Überlieferung aus dem 1. Jahrhundert.
Die Schrift gliedert sich in drei Abschnitte: Ein allgemeiner Teil hebt hervor, dass das Wesen der Dichtung, die Nachahmung der Natur des Menschens entspringt und deren oberstes Prinzip ist.

Der folgende Teil behandelt die Tragödientheorie und die letzten Kapiteln beschäftigen sich mit dem Epos.
Der Mensch ist für Aristoteles von Natur aus ein politisches Lebewesen. In seiner politischen Gemeinschaft teilt der Mensch mit seinen Mitbürgern ein Verständnis für die Tugenden durch deren Vollzug sein Leben glückt Dazu zählen Tugenden wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit und
die verbindende Freundschaft

In seiner Ethik und Politik begründet er damit die praktische Philosophie.


al




LX.C - 28.02.2008 um 14:01 Uhr

Du meinst "Poetik" 4. Jh. v. Chr. (damals noch als Lehrmanuskript verfasst.)
Im 1. Jh. v. Chr. in gesammelten Schriften erstmalig an die "Öffentlichkeit" gezerrt.
Ja, darauf beziehe ich mich.
Nachahmung der Natur des Menschen bedeutete für ihn aber wie oben beschrieben:
Das abzubilden, was aller Wahrscheinlichkeit nach eintreten könnte.
Und nicht das nachzuahmen, was tatsächlich stattgefunden hat.
Dafür war aus seiner Sicht die Historie zuständig.

Nun ging es mir aber auch nicht so sehr darum, die Poetik des Aristoteles auseinander zu nehmen. Sondern zu diskutieren, ob Literatur heute das noch beherzigt oder Einzelereignisse oder überspitzte Phantasien in den Vordergrund gerückt werden, um die möglichst skurrilste Geschichte auf den Markt und in die Bestsellerlisten zu bringen.

Will oder soll Literatur heute noch etwas vermitteln? Oder nur noch unterhalten?




DataBoo - 28.02.2008 um 15:15 Uhr


hallo lx.c,

*Will oder soll Literatur heute noch etwas vermitteln? Oder nur noch unterhalten?*

meiner meinung sollte die literatur beides erfüllen, bilden und unterhalten. in der literatur gibt es inzwischen eine vielzahl an sparten, der leser kann sich entscheiden. und ein "nur" wird es nicht geben. literatur schwingt mit den menschen die sie lesen und schreiben!

lg, databoo




almebo - 28.02.2008 um 16:28 Uhr

Ja, ich hatte zunächst das Wesen der Dichtung - der sogenannten Nachahmung
(Mimesis) im Auge und habe dann weitergehend auf die Poetik hingewiesen.
Eine grundlegende Schrift zur abendländischen Dichtkunst, und die ihrer
psychlogischen Konzeption bis heute bedeutungsvollen Rhetorik.

Um Deine Frage zu beantworten, ob die Literatur weiter vermitteln oder unterhalten soll. Darauf möchte ich, wie Data auch meine Meinung bestärkte bemerken, dass auch die Literatur - um nicht zu sagen - gerade, beides soll. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, dass das einseitig geschehen sollte.-

al




LX.C - 29.02.2008 um 18:21 Uhr

Sie soll, ja, aber ist sie dazu noch imstande?

Sicher habt Ihr Recht und ich bin ganz eurer Meinung. dass man aus einer Vielfalt schöpfen muss ist unbestritten.
Dennoch wurde der Literaturmarkt der letzten Jahre ja mehr oder weniger als ein inhaltsloser kritisiert, was deutschsprachige Autoren angeht.
Kleine private Scheinproblemchen werden ausgebaut zu Katastrophen bzw. müssen derartig lebensfremd zugespitzt werden, dass ein „reißerischer“ Roman daraus entstehen kann.
Klar gibt es Autoren, die den kritischen Gesellschaftsroman noch angehen, Beispiele wären „Mobbing“ (A. Pehnt) oder „Spieltrieb“ (J. Zeh) und noch einige andere wären zu nennen.
Mein Eindruck ist dennoch, dass der Buchmarkt heute der Realitätsflucht oder der Erinnerungskultur auferlegen ist, anstatt nach Art der Mimesis des Aristoteles die Dinge abzubilden und uns für die Dinge zu sensibilisieren, die uns in dieser Gesellschaft alle angehen und betreffen können.
Darauf wollte ich hinaus und habe das zur Diskussion gestellt, da mein Eindruck natürlich ein ganz falscher sein kann.




JH - 29.02.2008 um 20:22 Uhr

Zitat:

Sind wir längst einer Effekthascherei unterlegen?

Nur dass sich diese Niederlage als Sieg tarnt. Bergsteigerromane, Beichten von Doppelverdienern, Promi-News, Hardcover-Kafka-Special-Editions, Vorlese-"Bücher", Fortsetzungen von Imitationen, Compilations, Best of, mit Holo-Cover, schmilzt im Mund nicht in der Hand.

F451




DataBoo - 29.02.2008 um 22:59 Uhr

@lx.c

*Dennoch wurde der Literaturmarkt der letzten Jahre ja mehr oder weniger als ein inhaltsloser kritisiert, was deutschsprachige Autoren angeht.*

Hat das etwas mit mimisis zu tun? ich sehe da keinen zusammenhang. Inhalt vs. gegen eine methodik der vermittlung? entscheidet die wahl der mimisis nicht über die wirkung, bzw. die position, die autoren für die/das leser/publikum zuteilen, um die botschaft rüberzubringen? siehe aristoteles ansatz vs. brechts ansatz. (identifikation [nah] vs. verneinung der identifikation [fern]. es sind ansätze die beide auf die wirkung zielen.)

ist die frage, ob heutige leser die bücher lesen oder lesen? filme kann man auch bloß sehen oder sehen, verstehst du mich? (kann auch sein ich liege völlig falsch und schreibe daher nun absoluten blödsinn, so korrigiere mich bitte.)

*Kleine private Scheinproblemchen werden ausgebaut zu Katastrophen bzw. müssen derartig lebensfremd zugespitzt werden, dass ein „reißerischer“ Roman daraus entstehen kann.*

die privaten problemchen von autoren sind mir schnuppe. daher habe ich auch keine ahnung ob daraus *reißerische* romane entstanden sind.
den roman *herr lehmann* von sven soundso (name fällt mir gerade nicht ein, ahh), ich meine sven regener fand ich aber klasse. ;) auch clemens meyer ist sicherlich lesenswert, hatte aber noch keine zeit für ihn. über meyer las ich in der letzten tip von seinen lebensumständen, aber ob seine romane *reißerisch* sind?




LX.C - 29.02.2008 um 23:46 Uhr

Was hat das mit Aristoteles Mimesis zu tun?
Mimesis sollte Schauder beim angesprochenen Publikum auslösen. Schauder in dem Sinne, dass die Menschen sich und die Problematik ihres eigenen „festgefahrenen“ Handelns wieder erkennen und reflektieren können.
Das war natürlich nur der Aufhänger meiner Frage. Die nach wie vor darauf zielt, ob Literatur heute das zu leisten noch imstande ist?
Vielleicht ist ein Buchmarkt, welcher derartiges nur noch im geringen Maße leistet ein Spiegel für ein Publikum, das nur noch Zerstreuung sucht und keiner Reflexion mehr Willens ist. - Jetzt müssten Statistiken her :)




DataBoo - 01.03.2008 um 01:01 Uhr

natürlich meinte ich auch die ganze zeit die mimesis.
*lach laut* ich muss ins bett.




Karoline - 01.03.2008 um 10:44 Uhr

Ich würde nicht so sehr auf die Gegenwartsliteratur schimpfen, als vielmehr auf das, was sich im Verlagswesen tut. Der literaturliebende Mäzen, wie er noch anfangs des 20. Jahrhunderts teilweise existierte, ist verschwunden. Ein Verlag wird wirtschaftspolitisch als ein Unternehmen behandelt, das genausogut Klobürsten oder Bockwürste herstellen könnte. Das ist natürlich eine Folge gesellschaftlicher Zustände, in denen es nur noch um den Profit geht. Ganz einfach: Bergsteigerromane und Promi-Ergüsse verkaufen sich besser als zum Beispiel Literatur, die sich mit Gegenwartsthemen beschäftigt, und das ernsthaft, sinnsuchend. Zu unserem gegenwärtigen Leben gehört nicht mehr die Veredlung des Menschen durch den Umgang mit den Musen, wie er zum Beispiel im archaischen Griechenland Usus war und dessen Abklatsch, wenn auch bereits verzerrt, noch das 19. Jahrhundert beherrschte. Literatur spiegelt immer die Gegenwart gesellschaftlicher Zustände, folglich darf man annehmen, dass unsere Zeit uns Menschen nicht förderlich, sondern geradezu schädlich ist. Der Autor als Clown einer gelangweilten Ober- bzw. Mittelschicht. Denn, soweit sind wir schon, Literatur
ist käuflich, im doppelten Sinne, aber eben auch unkäuflich, nämlich für den, der mit seinem Einkommen gerade so über die Runden kommt, und von diesen Menschen gibt es eben immer mehr in unserer Gesellschaft. Man könnte geradezu sagen,
dass die Literatur ein Maßstab für die Gesundheit einer Gesellschaft sein kann.

lg Karoline




Gast873 - 01.03.2008 um 12:56 Uhr

Zitat:

Zu unserem gegenwärtigen Leben gehört nicht mehr die Veredlung des Menschen durch den Umgang mit den Musen, wie er zum Beispiel im archaischen Griechenland Usus war und (...) noch das 19. Jahrhundert beherrschte.

Es war das 18. Jahrhundert.

Lieben Gruß,
Hyperion




LX.C - 01.03.2008 um 13:38 Uhr

[Quote]Ganz einfach: Bergsteigerromane und Promi-Ergüsse verkaufen sich besser als zum Beispiel Literatur, die sich mit Gegenwartsthemen beschäftigt, und das ernsthaft, sinnsuchend.[/Quote]

Eben. Aber die Schuld allein auf die Verlage schieben? Gäbe es weniger Abnehmer dafür, gäbe es sicher auch von Verlagsseite nicht so eine Flut derartiger Literatur. Also schließt sich der Kreislauf vielleicht doch wieder beim Rezipienten; was evtl. tief blicken lässt. - Wie du letztlich auch mehrfach angesprochen hast:

[Quote]Literatur spiegelt immer die Gegenwart gesellschaftlicher Zustände, folglich darf man annehmen, dass unsere Zeit uns Menschen nicht förderlich, sondern geradezu schädlich ist. […] Man könnte geradezu sagen, dass die Literatur ein Maßstab für die Gesundheit einer Gesellschaft sein kann.[/Quote]

Gefallen mir sehr gut, deine Gedanken. Schön, dass du dich beteiligt hast.




almebo - 01.03.2008 um 14:05 Uhr

Zitat:

Ich würde nicht so sehr auf die Gegenwartsliteratur schimpfen, als vielmehr auf das, was sich im Verlagswesen tut. Der literaturliebende Mäzen, wie er noch anfangs des 20. Jahrhunderts teilweise existierte, ist verschwunden. Ein Verlag wird wirtschaftspolitisch als ein Unternehmen behandelt, das genausogut Klobürsten oder Bockwürste herstellen könnte. Das ist natürlich eine Folge gesellschaftlicher Zustände, in denen es nur noch um den Profit geht. Ganz einfach: Bergsteigerromane und Promi-Ergüsse verkaufen sich besser als zum Beispiel Literatur, die sich mit Gegenwartsthemen beschäftigt, und das ernsthaft, sinnsuchend. Zu unserem gegenwärtigen Leben gehört nicht mehr die Veredlung des Menschen durch den Umgang mit den Musen, wie er zum Beispiel im archaischen Griechenland Usus war und dessen Abklatsch, wenn auch bereits verzerrt, noch das 19. Jahrhundert beherrschte. Literatur spiegelt immer die Gegenwart gesellschaftlicher Zustände, folglich darf man annehmen, dass unsere Zeit uns Menschen nicht förderlich, sondern geradezu schädlich ist. Der Autor als Clown einer gelangweilten Ober- bzw. Mittelschicht. Denn, soweit sind wir schon, Literatur
ist käuflich, im doppelten Sinne, aber eben auch unkäuflich, nämlich für den, der mit seinem Einkommen gerade so über die Runden kommt, und von diesen Menschen gibt es eben immer mehr in unserer Gesellschaft. Man könnte geradezu sagen,
dass die Literatur ein Maßstab für die Gesundheit einer Gesellschaft sein kann.

lg Karoline



Dein letzter Satz in Deinem Beitrag ist der beste!
Dem ist absolut nichts mehr hinzuzufügen !

al




LX.C - 01.03.2008 um 16:31 Uhr

Diese Nachricht wurde von LX.C um 16:31:59 am 01.03.2008 editiert

Eine Studie des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels spricht allerdings eine andere Sprache. Konsumenten, die Trivialromane, Krimis, Promi-Literatur, Science Fiction und Fantasy bevorzugen haben eine geringe Lese- und Kaufaffinität und gehören nicht zu den relevanten Zielgruppen.

Auf jeden Fall ist hier eine sehr interessante und vielfältige Studie zu finden.
Wer Lust hat schaut mal rein:
Buchkäufer und Leser 2005 - Profile, Motive, Wünsche




almebo - 01.03.2008 um 19:30 Uhr

Diese Nachricht wurde von almebo um 19:32:04 am 01.03.2008 editiert

So, nun habe ich mir mal die Statistik des Börsensverein des deutschen Buchhandels zu Gemüte geführt. Das ist zwar hoch interessant, aber ich bin da sehr skeptisch
über die Erhebungen die dort gemacht wurden.. Mit meinen Erfahrungen, die ich gemacht habe, habe ich zwar auch einige Übereinstimmungen feststellen können, aber nicht alle.
So brauche ich mich nicht wundern, dass 45 % überhaupt kein Buch kaufen. Dass überwiegend Frauen Bücher kaufen und wir Männer Lesemuffeln sind ist auch festzustellen. Aber vielleicht sind die Bücher,
die meistenteils von Männern gelesen werden technischer Art.
Dieses kolossale große Angebot an Büchern
jedweder Art die in den Büchereien fast verstauben und später zu Dumpingangeboten an den Mann gebracht werden, lassen mich nicht mehr erstaunen.
Jeder unbekannte "[Zensiert]" muss sich unbedingt äußern. Aber auch mancher [Zensiert]
kauft so`n Mist, blättert drin rum und stellt`s
in den "Küchenschrank"
Mein Kaufverhalten ist auf das gerichtet, was mich interessiert und nicht was die Buchwerbung mir vorgaukelt. Übrigens ist mein Bedarf an guten Büchern gedeckt,
selbst wenn ich jährlich einiges dazu kaufe
zum selber lesen oder um sie zu verschenken.

Eines macht mich allerdings auch stutzig.
In meiner Stadt in der ich wohne, haben letztens 2 Büchereien ihren Laden dicht gemacht. Dafür hat sich ein Antiquariat etabliert, das sich grösster Beliebtheit erfreut.

Gruss

al




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