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--- Literatur als Entschleuniger

LX.C - 07.02.2008 um 13:20 Uhr

Nach Hunderten von Jahren wird immer noch darüber diskutiert, ob Sophokles Oedipus am Dreiweg, an dem er seinen Vater und drei Gefolgsleute tötete, weil diese ihn vom Weg abdrängen wollten, sich als vorsätzlicher Mörder schuldig gemacht oder aus Notwehr gehandelt hat.

Dabei kann uns die Antwort eigentlich nichts mehr geben, außer im Rückschluss auf die historische Situation des Protagonisten Handlung einzuordnen und die Kritik, die der Autor damit zu verstehen geben wollte, die für die heutige Zeit im Grunde belanglos ist.

Befremdlich, wenn man bedenkt, wie viele weltpolitische Themen in kürzester Zeit verschüttet gehen.

Dieses befremdliche Gefühl kann nur aus der Beschleunigung der Gesellschaft herrühren, an der die Menschen zunehmend leiden und sogar erkranken. Der Literatur könnte im Hinblick darauf eine neue Funktion zugeschrieben werden: Literatur als Entschleuniger.




baerchen - 07.02.2008 um 14:20 Uhr

Als ich den Eintrag las, hier rechts angezeigt, da stand da zu lesen:
´Literatur als Entschl...´
Und ich glaubte tatsächlich, es müsste doch heißen: ´Literatur als Entschlacker´.

Vielleicht wirft sie, zentrifugiert sie, die unbrauchbar beschleunigten Gedanken aus und schafft Raum für ´Reines´.
Was immer das auch sein mag...

b.




Arjuna - 07.02.2008 um 14:39 Uhr

... das Unbehagen in der Kultur schlägt auch hier zu.

Ob Literatur wirklich helfen kann ? Vielleicht, ja.
IAber die Gruppe derjenigen ist klein - abgesehen von ein paar versprengten hier im Netz - wen erreichen wir denn?




Der_Geist - 07.02.2008 um 21:41 Uhr

Zitat:

Literatur als Entschleuniger.

Für mich ganz persönlich: Ja, so ist es. Schlimm genug, wenn man sich als Internet-Suchti wie ich regelrecht dazu "prügeln" muss, mal Stunden am Stück in einem Buch zu lesen (und sich darauf einzulassen). Traurig traurig, aber so ist es. Bin ich dann aber mal "entschleunigt" drin im Papier und den Worten, bin ich froh, mich mal vom Leuchtschirm entfernt zu haben.

Sehr interessantes Thema. Las letztens mal einen Artikel in meiner regionalen Tageszeitung, in dem sich jemand (natürlich ein Herausgeber einer Literaturzeitschrift;)) "pro Papier" dafür ausgesprochen hat, "gegen" das Internet zu schreiben. So weit würde ich zwar nicht gehen, man kann ja beides akzeptieren, und man hat ja die Wahl. Aber mein Gehirn liest lieber auf Papier als am Bildschirm (sagt es mir immer wieder und immer noch). Am Schirm besteht bei mir immer so eine Schnell-Weiter-Klick-Und-Selber-Was-Tipp-Neigung, weil da einfach zuviel links und rechts und oben und unten ist. Was man bei einem Lese-Setting mit Buch normalerweise nicht hat.




Arjuna - 08.02.2008 um 09:11 Uhr

Ja, da haste nicht Unrecht, Geist -
Ich meide lange Forums - Beiträge, wenn´s geht -
das ist oft so ermüdend, dass man danach noch nicht mal einen Kommentar abgeben will.

Diese Last hat man mit dem Papier nicht, es vergeht ja nicht..Ganz im Gegensatz zu den Beiträgen im Netz, die vielleicht am nächsten Tag schon rausgenommen wurden.
Und : man kann Gott sei Dank dabei den Standort wechseln - mal liegt man auf der Couch, mal liest man am Tisch, etc... das Papier hat noch nicht ausgedient.




LX.C - 08.02.2008 um 12:14 Uhr

Von der Gegenwartsliteratur kann kaum die Rede sein, die in den meisten Fällen immer nur ein Abbild der (beschleunigten) Gesellschaft sein kann; oberflächlich, sprunghaft, kurzweilig.

Toms Veranschaulichung finde ich sehr passend. Internetliteratur gehört zudem ja auch fast wieder der Vergangenheit an. Viele etablierte Autoren haben das ausprobiert und verworfen. Die „literarische“ Sachform des Netzes, die sich durchgesetzt hat, ist ebenso schnelllebig wie die Gesellschaft: Blog.

Entschleunigen kann uns ganz persönlich - wie eine Bremse - nur der literarische Rückgriff auf eine vergangene Zeit, man muss sich nur darauf einlassen (können).




almebo - 18.03.2008 um 09:08 Uhr

Ein passendes Thema als Gegenpol gegen den Beschleunigungswahnsinn !

al




LX.C - 18.03.2008 um 17:24 Uhr

[Quote]Der moderne Begriff von Glück ist ein solcher Maßstab, der Menschen systematisch ins Unglück treibt. (Schmid)
[/Quote]




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