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-- Prosa
--- Jülärämskjalobyxwalusitov
Glygg - 04.02.2008 um 21:51 Uhr
Jülärämskjalobyxwalusitov
oder wie eine Sprache ausstarb
Seit gestern, meine Damen und Herren, gehört Proxsch endgültig zu den ausgestorbenen Sprachen. Denn gestern verstarb im Alter von 97 Jahren der letzte Vertreter des, auch in früheren Zeiten nicht gerade vielköpfigen, Volkstammes der Proxen, einer kleinen, aber emsigen Landbevölkerung, die sich im Rheinland am Fuß des Siebengebirges angesiedelt hatte. Er starb für uns namenlos, denn er weigerte sich bis zuletzt standhaft, eine für ihn fremde Sprache wie rheinisch oder gar deutsch zu lernen.
Bis in die 1940er Jahre, also kurz vor der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, lebten die Proxen unter sich in den Tälern des Siebengebirges, nahe Königswinter. Ihre Sprache war einfach, aber unbestreitbar effektiv, sie bestand nur aus zwei Worten: Das erste war feminin und bestand aus einem Konsonanten, dem „R“. Es bedeutete in unsere Sprache übersetzt soviel wie „Was ist los, ist was passiert?“ Das zweite Wort war maskulin und lautete: „Jülärämskjalobyxwalusitov“ – was sich in etwas mit „Alles in Ordnung“ erklären lässt. Für weitere Feinheiten hatten die Proxen keine Zeit, denn sie waren, wie bereits kurz erwähnt, ein eifriges Volk, dass den ganzen Tag über mit Arbeit beschäftigt war: Morgens mussten die Kühe gemolken werden, die Milch gebuttert, die Schweine gefüttert, die Weinreben gestutzt der Wein gekeltert und und und. Für lange Gespräche oder gar große Erzählungen ließ der Tag keinen Raum.
Als nun der große Krieg kam, mit ihm die Bomben und Granaten, zogen sich die Proxen in die Höhlengewirre unterhalb des Klosters Heisterbacherrott zurück. 1945 donnerten die Flieger Nacht für Nacht über die Höhlen, es grummelte und krachte und die Frauen wachten immer wieder auf und fragten erschreckt “R?“ worauf sie von ihren Gatten die beruhigende Antwort „Jülärämskjalobyxwalusitov“ bekamen und vertrauensvoll wieder einschliefen. Die Nächte waren kurz, die Tage lang, der Arbeit viel und die Müdigkeit grenzenlos.
Bis zum 23.Februar 1945. An jenem Tag flogen die amerikanischen und englischen Flugzeuge besonders tief, die Bomben hagelten nur so auf das Siebengebirge und in den Höhlen unter Heisterbacherrott wurde es den Proxen angst und bange. Sie wachten auf und selbst die Männer fragten angsterfüllt „R?“. Heute gab es niemanden, der ein beruhigendes „Jülärämskjalobyxwalusitov“ antwortete, also standen alle auf und gingen zum Bürgermeister, dessen Schlafhöhle sich dicht beim Brunnen des Klosters befand.
Obwohl er sich selbst nicht wohl fühlte, meinte er doch, seine Gemeinde beruhigen zu müssen, blies sich zu imposanter, gerader, steifer Größe auf und verkündete nach mehreren Räusperern auf den immer ängstlicher werdenden Fragechor „R?“ ein eindrucksvolles „Jülärämskjalobyxwalusitov“.
Nun war die Gemeinschaft beruhigt und eilte zufrieden zu den Schlafhöhlen zurück. In dem Moment krachte eine Bombe in das Tal und alle Proxen verstarben. Bis auf jenen Bürgermeister. Damals war er gerade 34 Jahre alt. Zeit seines restlichen Lebens weigerte er sich eine andere Sprache zu lernen als Proxsch. Seit gestern lebt auch er nicht mehr und mit ihm ging die Sprache.
Meine Damen und Herrn: Das Leben auf dieser Welt wird ärmer werden, nun, da auch der letzte Proxe verstorben ist.
© Thomas Mentzel
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