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-- Rezensionen
--- Georg Büchner - Leonce und Lena

LX.C - 16.12.2007 um 23:30 Uhr

„Dantons Tod“ und „Woyzeck“ sind allgegenwärtig. Seltener hört man jedoch von „Leonce und Lena“, ein komödiantisches Lustspiel Büchners (1813-1837), welches hiermit kurz vorgestellt wird.
Die Handlung ist gänzlich einfach erzählt: Prinz Leonce soll verheiratet werden mit der Prinzessin Lena und anschließend die Macht übernehmen. Eine unbekannte heiraten will Leonce keinesfalls, die Herrscherposition eines längst totgelaufenen Systems ebenfalls nicht. Auch Lena fragt mit gesundem Menschenverstand, warum sie dieses Wagnis eingehen sollte und so kann die Antwort nur Flucht lauten. Doch wie sollte es anders sein, auf der Flucht begegnen sich beide in einem Wirtshaus und verlieben sich ineinander. Leonces Vater aber, König Peter vom Reiche Popo, sitzt auf der vorbereiteten Hochzeit ohne Brautpaar. Die angeordnete Fröhlichkeit wird zur Farce. Das Volk wartet ungeduldig. Des Königs Rettung naht. Ein Ersatzpaar, unkenntlich maskiert, soll herhalten, um den König nicht bloßzustellen. Am Ende werden die maskierten Gestalten, ganz klar, natürlich Leonce und Lena sein.

Das mag sich nicht sonderlich spektakulär anhören, doch das Besondere an dem Stück ist das geballte Paket an satirischer Zeitkritik den „Vormärz“ betreffend, glänzend durch Büchners spitzfindigen Wortwitz. Stellen wie: „Peter: […] Sind meine Befehle befolgt? Werden die Grenzen beobachtet? / Ceremonienmeister: Ja, Majestät. Die Aussicht von diesem Saal gestattet uns die strengste Aufsicht. (Zum ersten Bedienten.) Was hast du gesehen? / Erster Bedienter: Ein Hund, der seinen Herrn sucht, ist durch das Reich gelaufen. / Ceremonienmeister (zum anderen): Und du? / Zweiter Bedienter: Es geht jemand auf der Nordgrenze spazieren, aber es ist nicht der Prinz, ich könnte ihn erkennen“, sind Normalität in dem Stück und lassen auf witzigste Weise schnell erahnen, worauf Büchner hinaus will. Aber nicht nur politische, auch philosophische Spitzfindigkeiten und tautologische Sätze, die, wenn man den Autor als Avantgardist des Theaters begreift, auf ein Belächeln des all- und doch unwissenden Orakels antiker Dramen hindeuten könnte, finden immer wieder Eingang in Büchners Lustspiel und machen es, trotz des einfachen Plots, so außerordentlich lesenswert.

Anders als oftmals angenommen ist „Leonce und Lena“ kein Fragment wie es die „Woyzeck“-Handschriften sind. Als vollständiges Drama sollte das Werk zu Lebzeiten Büchners an einem Wettbewerb des Cotta Verlages teilnehmen. Kam jedoch zu spät an und ging unbeachtet wieder zurück an den Autor, der daraufhin noch einige Veränderungen vornahm. 1850, also ein Jahr nach der gescheiterten Märzrevolution (1848/49), wurde das Stück erstmals ungekürzt veröffentlicht. Und erst im Jahr 1895, als die Moderne, der Büchner weit vorausgeeilt war, eingesetzt hatte, fand endlich die Uraufführung statt.
Was musste ein Autor, als solche Stücke noch geschrieben wurden, auf sich nehmen? Politische Verfolgung, Flucht, einen frühen Tod. Das war der damalige Preis für Scharfsinn, Menschlichkeit und Genialität. Dass Büchner trotz allem seine humorige Sicht auf die Menschheit, einschließlich sich selbst, nicht verloren hatte, beweist er mit „Leonce und Lena“. Georg Büchner starb mit 23 Jahren im Schweizer Exil.




Hermeneutiker - 13.02.2009 um 15:19 Uhr

Meiner Meinung nach wird Büchners böser Humor immer noch weit unterschätzt. Die groteske Enge der Reiche "Pipi" und "Popo" muss - wie schon die Namen nahe legen - ins Intime verlängert werden. Immerhin ist unter den Hofdamen - den "erschöpften Seidenhasen" - keine, die nicht das horizontale Verhalten dem senkrechten vorzöge. Das glücklich verheiratete Paar findet sich quasi im Kinderzimmer wieder. Wer heiratet da wen? Büchner hörnt - mit Ansage (Valerio in I.3) - den König Peter auf eine ganz infame Art und Weise: der mental Impotente darf sich den Kopfschmuck nämlich selber aufsetzen, indem er Sohn und Tochter (Namensverwandtschaft) untereinander verheiratet ("meine Kinder" III.3). Daher (zugunsten des Tabus) die innere Logik der halbherzigen Vermeidungs- und Maskierungsversuche sowie die Parodie auf den Selbstmord. Beide Familienteile - hier der König ohne Königin, dort die Gouvernante - ergeben genau eine Familie. Büchner parodiert sowohl die dynastische Inzucht des Adels (Thema Enge!), als auch ergeht er sich im Zuge der Aufklärungsliteratur in der Idealisierung des Geschwisterinzests. Er dürfte dabei nicht nur über seine Zeitgenossen (inkl. des Vaters als Repräsentant des Darmstädter Hofes) herzhaft gelacht haben sondern im Grabe weiterlachen über die nachgeborenen Rezipienten (inkusive der gesamten Büchnerforschung und Bühnenleute) die immer noch nicht auf den Dreh gekommen sind.



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