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-- Literaturgeschichte & -theorie
--- Der Schachtelsatz

LX.C - 17.08.2007 um 11:12 Uhr

[Quote]Er bahnte in ihm jene Art Menschenkenntnis an, die es lehrt, einen anderen nach dem Fall der Stimme, nach der Art, wie er etwas in die Hand nimmt, ja selbst nach dem Timbre seines Schweigens und dem Ausdruck der körperlichen Haltung, mit der er sich in einen Raum fügt, kurz nach dieser beweglichen, kaum greifbaren und doch erst eigentlichen, vollen Art etwas Seelisch-Menschliches zu sein, die um den Kern, das Greif- und Besprechbare, wie um ein bloßes Skelett herumgelagert ist, so zu erkennen und zu genießen, dass man die geistige Persönlichkeit dabei vorwegnimmt. (Musil, Robert: Die Verwirrungen des Zöglings Törless, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 11.)
[/Quote]

Der Schachtelsatz.
Im Journalismus als dilettantisch verpönt.
In der Literatur ein Zeichen höherer Kunst?




Islaender - 17.08.2007 um 12:44 Uhr

Schachtelsätze sind im Journalismus schon deswegen fehl am Platz, weil ein journalistischer Text ja möglichst kurz und präzise informieren will (bzw. sollte). Derart lange Sätze haben da einfach das Manko, dass der Leser relativ viel Zeit und Konzentration aufbringen muss, um den Satz vollends zu erfassen. Das "stört" damit gewissermaßen den Informationsfluss vom Auge zum Gehirn.

In der Literatur hingegen kann man mit Satzverschachtelung quasi "spielen". Lange Sätze erwecken den Eindruck von langsam verstreichender Zeit und könnten so z.B. als Stilmittel für das literarische Pendant einer Zeitlupe verwendet werden.
Wenn sie allerdings wirklich zu lang werden (wie in dem angeführten Beispiel) kann man sie fast nur noch in der künstlerisch anspruchsvollen Literatur verwenden, wenn ein Leser sich wirklich Zeit und Geduld nehmen will, um hinter die Kulissen eines Textes zu blicken.
In einer simplen Geschichte, die nur der Unterhaltung dienen soll - man nehme da Wolfgang Hohlbein als Beispiel, der nun wirklich nicht für tiefgründige Metaphern und Gleichnisse bekannt ist - wären solche Konstrukte allerdings wiederum nicht passend, da ein Leser dort vielfach nur unterhalten werden möchte, ohne minutenlang einen Satz lesen zu müssen.




Mania - 17.08.2007 um 13:06 Uhr

Diese Nachricht wurde von Mania um 13:09:08 am 17.08.2007 editiert

Hm, Schachtelsätze sind wirklich eine Diskussion wert. Im Journalismus empfinde ich sie auch eher fehl am Platz, weil Journalismus einfach, schnell zu lesen und informativ sein soll.

In der Kunst kann man sich darum streiten. Es kommt auf die Länge an. Es gibt Sätze, die sich über zehn und mehr Zeilen erstrecken - meist bei antiken Autoren zu finden. Viele Lateinschüler sind daher mit dem Fluch belegt zu Schachtelsätzen zu neigen. Ich würde sagen, die Mischung machts. Denn haufenweise Schachtelsätze können einen Text auch komplett vernichten.

Deinen Satz aus dem Törleß finde ich schick, aber vielleicht auch nur, weil ich Assoziationsketten mag.




JH - 17.08.2007 um 16:32 Uhr

Bei Samuel Beckett haben sie mich nie gestört.



baerchen - 18.08.2007 um 03:12 Uhr

Zitat:

Die Verwirrungen des Zöglings Törless
Na, wenn es zur Verwirrung eben dieses Zöglings beiträgt...? - Warum nicht! ;)

Schachtelsatz, wem Schachtelsatz gebührt.
Grüße. Bärchen.




LX.C - 20.08.2007 um 11:14 Uhr

[Quote]Hypotaxe […] Aufgliederung des Gedankens in Haupt- und von diesen abhängige Nebensätze zu kunstvoll geschachteltem Gefüge; häufig Kennzeichen gedanklicher Straffung und Überschau von Haupt- und Nebensächlichem ( […] Cicero, Caesar) oder der ungeordneten, aus dem Augenblick entstandenen Diktion (H. v. Kleist) bzw. sich verlierender Nervosität (Proust) – jedoch stets auf einer fortgeschrittenen Stufe der Sprachentwicklung. ( Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1964, S. 289.)
[/Quote]




Gast873 - 20.08.2007 um 22:06 Uhr

Zitat:

jedoch stets auf einer fortgeschrittenen Stufe der Sprachentwicklung.

Dessen bin ich mir in vollem Umfange bewusst, dass, wer die geschmückte Rede des geflügelten Götterboten geschwätzig nachahmen will, furchtbar bestraft und auf den Mund fallen wird, indes der, dem diese Gabe mit der Muttermilch und der Leier des Apollo in die Wiege gelegt worden sei, sei es durch linkische List des Diebes oder nicht, wird keinesfalls sich des "Arbeiter-Nicht-Obschon-Auch-Nicht-Scheißdeutsch-Reden s" bedienen, sondern er wird sondergleichen die hohe Kunst der Sprache zelebrieren und in schön vorgetragenen Sätzen sich jederzeit auszudrücken vermögen, mithin dem Eros, dem Wesen zwischen Göttern und Menschen, angemessen huldigen und gleichen, sowie dem höchsten Gut in der Geschichte des Geistes aus freien Stücken wählend bewusst näher treten und erhaben an sich erhoben werden.

Gruß,
Tibor




baerchen - 20.08.2007 um 22:40 Uhr

An die Schachtelungstiefe des Eröffnungsbeitrages reicht das aber nicht heran?



Islaender - 20.08.2007 um 22:52 Uhr

Mit ein wenig Anstrengung, sofern es einer Bedarf, die über das Maß dessen herausgeht, was ein gesunder Mensch, dessen Verstand auf einer annehmbaren, dem durchschnittlichen Bürger ebenbürtigen oder vielleicht sogar, genau betrachtet, überlegenen Stufe funktioniert, zustande bringen könnte, wenn er eine Weile, wobei Weile hier relativ gesehen ist, und zwar relativ zur subjektiv empfundenen oder objektiv gemessenen Zeit, die ja bekanntermaßen von jedem, der das Verstreichen der Zeit bemerkt, was an und für sich bei jedem von uns, sofern nicht abgelenkt, üblich ist, anders empfunden wird, nachdenkt, ist es durchaus möglich, aber nicht nötig, einen Satz zu formulieren, dessen Verschachtelung eine solche Tiefe erreicht, dass ein jeder, der sich nicht stundenlang mit einem Satz auseinandersetzen will, der länger ist als das, was er tagtäglich in der Zeitung zu sehen bekommt, wobei dieses oftmals aufgrund der journalistischen Natur, die bekanntermaßen knapp und präzise gehalten ist, einfacher zu lesen ist, zweifelsohne daran scheitern dürfte, eben jenen erwähnten Satz in seinem vollen Umfang, und zwar von der ersten bis zur letzten Silbe, auf Anhieb zu verstehen, wobei es allerdings auch eher unüblich und für Gespräche alles andere als förderlich ist, einen Satz zu formulieren, dessen Verschachtelung und Aneinanderreihung sich auf vier oder mehr Ebenen erstreckt, so dass man als Schreiber selbst während des Schreibens mehrfach nachprüfen muss, auf welcher der verwendeten Ebenen sich man gerade befindet, was einen zwangsläufig an das Formulieren von Excel-Formeln denken lässt, da das Lesen und Verstehen eben jenes Satzes den Lese- und damit den Diskussionsfluss stört.



baerchen - 21.08.2007 um 02:15 Uhr

Das haste schön gesagt.
...könntest Du vielleicht den Mittelteil nochmal wiederholen? - da war ich kurz abgelenkt.

;)




Gast873 - 21.08.2007 um 15:59 Uhr

Zitat:

An die Schachtelungstiefe des Eröffnungsbeitrages reicht das aber nicht heran?

Na ja, ich habe ja noch gar nicht Wieland, Moritz, Hegel oder gar Thomas Mann zitiert, denn in dieser Liga spielt nicht einmal Musil. Es war nur ganz bescheiden mein Versuch in einfacher meinugsäußerung mich zu üben, keinesfalls war es Dichtung. Aber selbst über jeden Sprachkünstler steht noch ein höherer Geist, wobei nur Eines ziemlich sicher ist, dass Wieland in dieser Diszplin es zur Meisterschaft und Perfektion getrieben hat, nicht zuletzt aufgrund dessen, kennen ihn nur Germanisten, und ich warte jeden Tag gespannt darauf, dass jemand in die "Lektüreliste" reinschreibt: ich lese Wieland, dann würde ich sogar nen Kniefall vor diesem Leser machen. Aber wie gesagt, man gibt sich hier mit weniger zufrieden, vielleicht ist das auch gut so, denn ...

Gruß
Hyperion




Ari - 01.09.2007 um 18:43 Uhr

Nicht an sich "Zeichen höherer Literatur". Der Kenner nimmt an der schlechten Periode, also an ihrem verächtlichen Mißbrauch, den "Spaghetti-Stil" war, wie ihn ein Sprachkenner, der Karl Kraus im Sprachverständnis nicht nachsteht, ihn einmal nannte.



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