- versalia.de
-- Prosa
--- die kinder. eyn zweyter ausganc
seetyca - 26.07.2003 um 23:50 Uhr
kinder. eyn zweyter ausganc
nach mährchen grimmscher brüder
der wald brach auf unter unsern augen wie eyn wogendes feld aus rauch und kochendem reisig, weil alles von dampff war an dem morgen des abganges. klein stolperten die schritte, an der harten hand des vaters durchmaszen wir die offt bespielte flur und angrenzende weiden bis in jene gegenden, zu denen uns mutter nie hatte gehen heissen.das hansel weinte blass und gretel war stumm und müde von dem ungekannten schrecken.
das nämliche hatte der hungernde mann klagend als wanderung in die tieffen pilzhöhlen ausgegeben, doch wussten gleich alle, doch entsetzte die natur gleich jedes gemüth über die wanderung.
dort, wo das rauschen des stetigen waldes dunckel war und zu beben aufkochte, stellte der mann seyne sprösse unter den höchsten baum. wie im traum und in unendlich langsamer zeit beugte er sich hinab zu ihnen, und seyn verstöres antlitz sprach nichts weiter als dieses: hier bleibt ihr bestehen!
er ging ohne weiteres umwenden und erst nach halben stunden hörten die verbliebenen gellende schreye aus eynem tal weiter wegwärts.
ausser den augen, sonst muss ich sie essen!!
zunächst schwiegen sie beide und sahen erinnert noch den rauffend hageren mann mit gramem haar taumelnd den weg durch ärmliches holz sich kämpffen. dann doch aber wurden sie des dufften waldes gewahr mit all seynen schatten und dem zwielicht und dem teppichduncklen dach, durch welches hie und da balckenweises licht in den weichen boden stach.
der knabe endlich ergriff eynen ast und schrie in seyner wuth, dass er den nächsten besten hasen schlachten wolle. so, wie sie es uns thun wollten! bebend und durch thränen blickend folgte die gretel uns und wir eilten durch den wald hindurch und in eynen nächsten hinein. wo es mehr beeren gab und die bäume gleich dreist und klein waren und rissen.
und dann wieder gab es eyne lichtung, auf die jener hohe wald folgte, der in seynen säulenhoch ebenen stämmen und seynem finsteren dach am ehesten noch eynem peripatheon zu vergleichen war.
und so wandelten sie auch darin und folgten dem lauff des lichtes. und so wandelte das licht und folgte dem lauff der natur. und in diesem ward es abend und nacht.
die ebenen säulen gerieten in der finsternus zu grausen gespensten, die lufft wollte zu glas werden und der athem entfuhr den kleinen gestalten wie eyne blosse metapher, wälzte sich als wolcke über die blanken lippen und tropffte lautlos in die nacht. gigantisch und hochbeinig wie eyn liederliches spinnenthier kroch der wald über uns hinweg, und dem drama der erinnerung näherte sich die katastrophe der ermattung. das bereits gesehene licht wurde uns nicht zur hilffe dabey, denn es schürte unsere letzten instinckte bis zum wahn.
als ich zu mir kam, waren wir alle schon in dieser wancken erdhütte gefangen, jeder abgetheilt in eynen schieren raum, separiert durch käfigthüren, nomadisiert voneinander.
das hansel sass mit stoffem blick in seyner ecke und murmelte etwas. die gretel alleyn lief frey in dem restlichen raum umher, starrte fassungslos auf ihre wunden und schleppte schimpfend zuber und bottiche aus und ein.
immer wieder fielen die legenden meynes hirns in duncklen schatten an die wand der höhle, flackerten und krächzten, und ich vernahm stampffen und scharren und schnauben und zumal auch eyn keiffen. offt genug ward mir unmächtig, noch ehe ich das fasslose sich nahen sehen konnte in jener zeit. doch in meisten kalten winternächten fahre ich in herbergen in meyner kemenate, von den nächtlichen schritten der wirte geweckt, auf und sehe da dieses geschöpff aus jener zeit wieder vor mir, sehe es wandeln und rauschen und schlachten in seyner grausen höhle, dem schrecken aller löcher auf dieser entsetzen welt. und dann fahre ich zumeist aus meyner kammer in der nacht und über die stiegen nach unten und reisse den müden wirt aus seyner kammer und drücke ihm zu viele taler in die hohle hand und hechele nach draussen in die nachtlufft. trete das plaster der schiefen gassen etwas runder und lauffe ungeduldig an der stadtmauer auf und ab, bis dass die wache zum morgen den ausgang aus der trutzen stadt freigibt. und erst auf der weiten fläche eines grün gewachsenen hügels in der morgensonne kann ich jenen moment bewältigen, der all die vergangenen momente beschloss: die zerrissenen kleinen körper, das nacktgegessene fleisch und die nagende dreistikeyt der kreatur, die sich für nur eynen unendlich kurzen moment in der welt so nahe an meyn gatter wagen mochte, dass ich mit eynem scheyt das stincke fell zutrümmern konnte. es war eyns, das schloss zu brechen, mit macht hervor zu drängen aus jenem verlies, das scheyt mit dem ofenhaken zu vertauschen und in taubem hass zu schlagen, bis nurmehr eyn reis aus leblosem fleisch den orth des grauens füllte.
so lange sah und blickte ich in den alten und neuen städten des kaisers umher, bis ich den moment erfuhr, von dem aus wir aufgebrochen wurden. und in wenigen tagen will ich dann einkehren in das haus, aus dem wir einst gezogen, den haken gegen das schwerdt getauscht, auf den lippen die worte des verlorenen sohnes und im arm den hass des vielfach getödt´en. so komme ich in deyn reich, oh vater, und will dich hefftig auf den mund küssen zu unserem wiedersehen und will dich dann zerschmeissen auf dem plaster deyner stadt.
--------------
der geist steht auf und seyne feinde zerstieben
URL: https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=295
© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz //
versalia.de