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-- Prosa
--- Hölderlin - Kurzroman aus dem Proseminar

Kroni - 04.01.2007 um 00:30 Uhr

Reimund ging langsam die Treppe hinunter, die vom Flur des germanistischen Instituts an den Pädagogen vorbei und den Sozialwissenschaftlern bis zum Fusse des Gebäudes ging. Dort war die Basis, das Café der Philosophischen Fakultät – kurz: das Philosophencafé; es wurde von einem Exiliraner betrieben, dessen Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt wurden, aber mit seinem Philosophencafé immerhin zum Gebrauchtmercedesfahrer aufgestiegen war. Reimund bekam von ihm wie immer ein Lächeln, daß die ganze Pracht orientalischer Fröhlichkeit in die Darreichung einer Tasse mit heissem Wasser und eines Beutels Pfefferminztee zu legen verstand, was Reimund wie immer mit einem dünnen Lächeln und 0.80 Euro zu würdigen wusste.
Diesen Obulus mußte er entrichten, um an einem der Tische zu sitzen, inmitten des Lärms der eiligen Studenten, die über die Wochenend-Abendteuer fast ihre Romanistik-Klausur vergessen hätten, dem hin und her hantieren, schieben, schleifen von billigem Kantinengeschirr, Plastikstühlen und Sperrholztischen, Jacken und Taschen, dem Gefiepe der handys und den Bussi-bussi´s einer gewissen Sorte von Studenten, denen Reimunds allertiefste Verachtung galt – so geistlos, so unintellektuell, so solariumsgebräunt, materialistisch und konsumorientiert: Höhlenmenschen nannte sie Reimund für sich, nach Plato´s klassischer Methapher, und nahm den Band Hölderlin aus seiner Segeltuchtasche. Er lechzte nach dem Labsal, die jene unsterblichen Verse dieses großen, immer noch unverstandenen, ja verkannten Sängers tiefster menschlicher Empfindungen und geistiger, ja seelischer Größe. Reimund blätterte zärtlich in dem Insel-Bändchen, dessen Zerlesenheit ihn mit heimlichem Stolz erfüllte, und seufzte. Wieder einmal hatte Dr. Schuhmacher ihn fertiggemacht, ausgerechnet dieser Dr. Schuhmacher, Anhänger computergestützter Textanalyse wollte ihm – ihm, Reimund Schaffler ! - ernstlich etwas erzählen von der Rezeption Hölderlins im Deutschsprachigen Österreich der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ! Dieser Erbsenzähler, dessen einzige wahre Begabung im zusammenlöten elektronischer Bauteile zu bestehen schien, hatte Reimund sein Referat auf das Pult geworfen (ja: regelrecht geworfen) und eine vernichtende „vier minus“ ausschließlich damit begründet, daß Reimund das damals deutschsprachige Böhmen, Prag und seine Universtität, völlig aussen vor gelassen hatte. „Aus Prag kommen auch so ein paar deutsche Dichter, Herr Scheffler, Kafka zum Beispiel – mal was von gehört ?“ Die Höhlenmenschen hatten getuschelt und gekichert über diese primitive Sotisse, diese niedrigste Polemik – und Reimund war das Blut ins Gehirn geschossen vor Wut und Zorn. Und Dr. Schuhmacher hatte es sich nicht verkneifen können, zum Ende des Proseminars Scheffler noch zuzurufen, er möge mal eine Treppe höher gehen, zu den Geographen, da gäbe es auch noch was zu lernen für ihn.

Reimund nippte an seinem langsam erkaltenden Pfefferminztee, der auch dieses schneidende Gefühl bekämpfen sollte, daß er in seiner Magengrube zu vernehmen glaubte, und sah hinaus, durch die große Fensterfront auf den unteren Teil des Campus. Es nieselte, und die Studentinnen huschten behende umher, die Mappen über ihre Köpfe dem Regen entgegen gehalten. Lemuren, die sich vor dem Gefühl ehrlichen Regens auf der Haut zu fürchten – fürchten zu müssen glauben. Denn Reimund war sich gewiss: sie wußten es eben nicht besser, hatten niemals von den Freuden, dem Nektar gekostet, den nur wahre Geistigkeit, idealste Hingabe und völlige Entrückung von den Sümpfen der Welt bescheren kann. Jede Zeile des tragisch zu früh verstorbenen Genies, obschon tausendmal gelesen, ja auswendig im Gedächtnis gegraben, hob Reimunds Gemüt ein Stück aus jener überheizten Campus-Kantine hinaus und empor zu einer lichten und wahrhaften Welt, in der zwischen Gut und Böse noch reinlich geschieden wird, die Liebe, die Hingabe an die Schöpfung nicht nur Phrase, sondern gelebte Existenz war und ist und immer sein wird.

Und wie sich Reimunds Geist löste von dem geistlosen Dr. Schuhmacher, sein magerer Leib schwerelos zu werden schien, der Lärm, der Brodem jener Kantine weit, weit weg von ihm zu weichen begann, da bewegte sich der Tisch mit einem harten Ruck.
„Oh – entschuldige!“ sagte sie leise, und ihr blaues Auge streifte Reimund mit einem Blick.
Einem Blick.
Einem Blick aus jenen Augen, den einzigen Augen auf diesem trostlosen Campus aus bröckeligem Beton, überquellenden Mülleimern und blatternnarbigen schwarzen Brettern, die in Reimund´s Herz die Hoffnung erweckten, nicht völlig alleine zu sein auf dieser Welt. Ein Feenhaftes, Elfenhaftes Gesicht umrahmt von rotgoldem Haarkranz, strahlend – und doch umflort von jener Traurigkeit, zu deren Gründen nur die wenigsten von uns zu tauchen vermögen ! Christine v. Zittkau hiess jener der Engel, den Reimund in Dr. Schumachers Seminar immer nur von hinten sehen konnte, wenn sie an ihrem Pulte saß, die sanft gerundeten Kniee ihrer schlanken Beine im langen linnenem Kleide bis ans Kinn gezogen saß sie still in der zweiten Reihe, und auch sie mußte Dr. Schuhmachers Tiraden mit anhören. Sie hatte das erste Referat gehalten, Hölderlins Biographie. Als ob sie es geahnt hätte – nein: sie mußte es gespürt haben, daß es zwecklos gewesen wäre, ein wirklich anspruchsvolles Thema zu bearbeiten, zwecklos, Perlen der Weisheit und Schönheit hingeworfen vor Dr. Schumachers Höhlenmenschentum ! Sie hatte sich dem versagt, bescheiden hatte sie Jahreszahlen und Wohnorte referiert, Verwandschaften und Kriege, Krankheiten und Geldsorgen . Voller Verachtung hatte sie Dr. Schuhmacher angeblickt, als sie ihre „zweiplus“ entgegennahm, als ob sie wissend währe um das Unwissen, die Wüste in Dr. Schuhmachers Hirn. Und dann hatte sie konsequent geschwiegen. Kein Wort mehr geweiht jenem Unhold, und aus dem Fenster gesehen. Mehr als einmal hatte Reimund ihr zartes Profil gesehen, wie sie den Kopf leicht zur Seite geneigt wie traumwandlerisch in den Novemberregen sah.
Und da !
Reimund erstarrte. Sie berührte seine Hand, die auf Reimunds abgegriffenen Inselbändchen mit Hölderlins Gedichten lag ganz zart, ganz leicht nur – wie ein Hauch – und doch: ein Beben ging durch Reimunds Körper, und seine Seele jauchzte ! Das Fegefeuer von Dr. Schuhmachers Proseminar mußte durchschritten werden, um diesem goldenen Engel, Geist von seinem Geiste, Verbündete gegen eine entartete Welt zu begegnen; er brachte kein Wort hervor; wollte die Weihe des Augenblicks nicht stören, auskosten vielmehr bis zur Neige; in gemeinsamer Andacht verharren.
Und da griff sie zu dem Buch, ihre schlanken schmalen Finger verschränkten sich mit den Seiten, und mit Augen, aus denen tiefste Müdigkeit sprach, und, wie Reimund vermeinte, die Sehnsucht nach einem Herzen, daß dieselben Klänge lauschen würde, wie er selbst, blickte sie tief in die seinen. Und sie sprach:
„Naja, nun hasse´s auch hinter Dir – ich kann Dir sagen, dieser Scheiss-Hölderlin ödet mich sowas von an ... ich bin ja so froh, daß mein Freund ´n Hiwi kennt, der hat mir ´n Referat vom vorletzten Wintersemester kopiert, und der Schuhmacher hats nicht mal gemerkt. Den Schein kann uns keiner mehr nehmen ... Ups – da biste ja !“
Sie hatte ihren Kopf nach links geworfen, und strahlte einen tiefbraunen, sportlichen und smarten Jungen an, Typ BWL nach dem Vordiplom, stand wieder auf, küsste den braungebrannten Athleten, rief noch ein „Tschüss“ zu Reimund hinüber – und ging Arm in Arm mit ihm hinaus.
Reimund trank noch einen winzigen Schluck von dem lauwarmen Pfefferminztee, und ging. Er ging hinaus in eine graue Welt, über den verregneten Campus zur Bushaltestelle. Selbst seine Schwester, die Reimund über alles liebte, würde kaum erkannt haben, wie schwer er an dem Erlebten trug und noch lange tragen würde.




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