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-- Prosa
--- Verordnungsgemäße Weihnachtsgeschichte
FraRa - 21.12.2006 um 16:13 Uhr
Es klingelte, aber es war nicht der Weihnachtsmann, sondern, wie immer, ein Überraschungsbesuch des Amtes.
Nun also sogar am Heiligabend, seufzte Werner O. und schlurfte mit seinem typischen, lässigen Arbeitslosenschlurfschritt zur Tür.
"Ich bin auch gleich wieder weg." sagte der Beamte, wohl weil Weihnachten war. Sonst hieß es immer nur: "Na, Herr O.?"
"Ich muss nur schnell das Gas abdrehen." sagte Werner O., und, weil ja Weihnachten war: "Nicht, was Sie denken."
Der Beamte lachte leise und schlüpfte mit den Worten "Die sind ja wohl für mich." in die Hausschuhe mit den Bommeln, ein Erbstück von Werners Großvater, der noch selbst Beamter war, verbeamteter Laternenanzünder. Heiligabend drehte sein Großvater immer erst seine Runde, bevor er es sich schmecken ließ. Ja, und nun standen die Pantoffel schon in der zweiten Generation herum.
Der Beamte rutschte auf den Pantoffeln behende in die Küche.
Werner O. drehte die Gasflamme ab, die einen Topf mit zwei Wiener Würstchen erhitzt hatte.
"Das ist korrekt." lobte der Beamte, der sich auch namentlich vorgestellt hatte, aber Werner O. hatte den Namen schon wieder vergessen. Die Beamten hatten sowieso immer Recht.
"Ihnen steht als Empfänger von Unterstützung nach fünfter Durchführungsbestimmung zum Allgemeinen Wohlstandsgesetz am Heiligabend ein Paar Wiener Würstchen zu, zuzüglich übrigens einem Kubikzentimeter Senf sowie einer handelsüblichen Packung Kartoffelsalat."
"Ich mag keinen Senf." sagte Werner O.
"Na, das riecht ja jedenfalls lecker nach Wiener Würstchenwasser." sagte der Beamte fröhlich. Werner O. roch nichts, sagte aber, dass er es auch rieche.
"Die Würstchen," befand der Beamte, "sind hiermit also abgegolten."
"Dass Sie jetzt auch schon Heiligabend kommen." erlaubte Werner O., sich zu wundern. Vielleicht bekam er heute, da der soviel redete, etwas Wissenswertes aus ihm heraus.
"Heiligabend, lieber Herr O.", sprudelte es aus dem jungen Mann, keine dreißig Jahre alt, hervor, "schnellen die Missbrauchsfälle in die Höhe! Unterstützungsgelder werden für überdimensionierte Baumbeleuchtung verschwendet, oder es werden uns Geschenke verborgen. Haben Sie etwas geschenkt bekommen oder schenken Sie sogar selbst etwas? Sie machen uns doch keine Schwierigkeiten, nicht wahr?"
Ganz gemütlich saß der Herr Beamte nun auf dem alten Plastikstuhl.
"Wie?" sagte Werner O. "Nein. Mir wird nichts geschenkt. Und wer hat was zu verschenken?"
Es war heute so leicht, den Beamten zum Schmunzeln zu bringen.
"Sie befeiern diese Wohnung allein?" erkundigte sich dieser weiter. Werner O. nickte. "Und die Stimmen vorhin?"
"Fernsehen." antwortete Werner O. "Da zeigen sie, wie andere Leute Weihnachten feiern. Das seh´ ich ganz gern zwischendurch."
"Zwischendurch?"
"Na, zwischen Sitzen und Liegen, so zwischendurch."
"Fernsehen." wiederholte der Beamte und fuhr nachdenklich mit dem Bleistift durch eine Liste, die er aus der Aktentasche zog.
"Hier." sagte Werner O. und zeigt auf eine Zeile seiner Liste. "Ach ja. Ist gemeldet. Gut. Hmm. Aber seltsam ist...." Der Beamte sah Werner O. mit einem schiefen Grinsen an.
"Was ist?"
"Sie haben auf einen Weihnachtsbaum verzichtet. Warum?"
"Eine gute Frage, Herr..."
"Nicht wahr?"
"Muss ich eigentlich nicht antworten, glaube ich."
"Soso, glauben Sie also. Zweckdienliche Angaben indes, Herr O.,...."
"Welchem Zweck denn dienlich?"
Die gute Laune des Beamten wich aus seinem Gesicht.
"Wollen Sie ausgerechnet am Weihnachtsabend Schwierigkeiten machen? Ich habe auch Familie, Herr O."
Werner O. hatte keine Familie und wollte niemals Schwierigkeiten machen. Deswegen hatte er auch seinen letzten Job als Mitarbeiter eines Inkasso-Unternehmens verloren.
"Ich will mit Weihnachten gar nicht so viel zu tun haben." sagte er mit dünner Stimme.
"Haben Sie aber! Wir alle haben mit Weihnachten zu tun, ob es uns nun passt oder nicht! Ich könnte jetzt auch schon bei meiner Schwiegermutter sein, bei der wir jedes Jahr ...sind, aber ich habe eine, eine Aufgabe habe ich, die Missbrauchsfälle..." Der leicht erregte Beamte versuchte, näher an Werner O.´s Gesicht heran zu kommen. Dieser wusste, dass dadurch nur wieder sein Atem auf Alkohol getestet wurde und hielt die Luft an.
"Wirklich kein Schnaps, ja? Und auch nicht zum Verkäufer gesagt, dass er Weihnachtsbaum auf die Rechnung schreiben soll?"
Werner O. konnte die kleinen Pupillen im Auge des Beamten gut erkennen, kleine, trübe, gemeine Pupillen .
"Knoblauchbrot." sagte er im Ausatmen. "Von der Kirche."
Der Beamte wich nicht aus der Atemluft. "Raus mit der Sprache, lieber O.! Heiligabend sollte man nicht lügen! Wirklich kein Schnaps?"
"Wie denn?" fragte Werner O.
Er zeigte dem Beamten das eingesparte Geld. Zehn Euro für eine mittelwüchsige Tanne oder einem industriegefertigten Schwippbogen oder einer CD mit passendem Liedgut oder, der Beamte las vor, "vergleichbare, stimmungshebende Ausgaben".
"Wenn Sie es bis morgen nicht ausgegeben haben, müssen wir die auf den Heiligen Abend bewilligte Zuwendung wieder einziehen, Herr O."
"Aber jetzt hat doch alles zu."
"Das hätten Sie sich eher überlegen müssen, Herr O.. Weihnachten muss man planen, Herr O, pla-nen! Sie lassen das einfach so laufen alles, denken Sie mal darüber nach. Das läuft Ihnen doch alles aus dem Ruder, seit Jahren, nicht wahr? Sie könnten Weihnachten sehr wohl damit anfangen, Ihr Leben zu ändern. Das Geld einzuteilen. Das ist für Lebkuchen. Das ist für Lametta. Sich eine Liste machen. Abhaken, was erledigt ist. Wieder ins Leben finden."
Werner O. nickte stumm.
Der Beamte setzte eine Abrechnungsfrist mit gültigem Tagesstempel "24.12." auf den ersten Werktag nach dem Fest und verabschiedete sich höflich mit dem Hinweis : "Die Würstchen nicht noch einmal aufwärmen, Herr O., das sieht man an der Gasuhr!"
An der Wohnungstür dann, als der Beamte vorschriftsmäßig "Angemessene Weihnachten!" wünschen wollte, stopfte Werner O. ihm den Zehn-Euro-Schein einfach in den Mund.
Der Beamte war sprachlos.
Wenn das keine stimmungshebende Ausgabe war!
Und sogar fristgemäß!
Einige Sekunden lang überlegt der Verdutzte, ob Werner O. dafür zu belangen sei. Aber selbst ihm als tüchtigen Beamten fiel keine Handhabe gegen das gewaltsame Überreichen von Bargeld ein und er beschloss, es bei einem dunklen Blick zu belassen. Der passte auch gleich gut für den Besuch bei der Schwiegermutter. Ein bisschen warf er auch die Tür zu, hinter der Werner O. durchaus nicht lachen konnte, denn der Spaß war für zehn Euro nicht gerade lang.
Mit seinem typischen Arbeitslosenschlurfschritt schlurfte er in die Küche und zog die Würstchen aus dem Wasser.
Als hätte er mindestens so eine gute Nase wie der Beamte, kam sein ungenehmigter Hund aus dem Wohnzimmer und schnappte zu.
"Aber nur eine!" sagte Werner O. und hakte auch sie innerlich ab.
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