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-- Prosa
--- Das Krachen von Knochen (Überall ist Grenzgebiet)

monehartman - 28.05.2003 um 08:56 Uhr

Ich besuche einen Freund. Zwangsvereinbarte Zeit: Von zehn Uhr früh bis halb zwölf Uhr mittags. Um neun Uhr komme ich an, hier am Rande dieser Ruhrgebiets-Stadt, Grenze zum Ländlichen, den Weg vom Bahnhof bis hierher bin ich in einem Taxi gefahren. Jetzt steh ich vor einem Gebäudekomplex aus grauem, verschmutztem Beton, drumherum Wiesen und Äcker und in der Ferne waldähnliche Landschaft. Es regnet leicht aus hellem Himmel, und ich atme kühle, würzige Luft ein und ich denke, dass der Sauerstoff meinem übernächtigten Hirn sicherlich gut bekommt.
(Knapp zwei Stunden später wird ein Kotzreiz mich würgen. Knapp zwei Stunden später das Krachen von Knochen, scheusslich in meinen Ohren.)

Ich gehe in den sogenannten Warteraum, ein kleines Einzelhaus wie ein Schuhkarton aus Stein und mit Fenstern, das Haus ähnelt einer Baracke, innen ein paar abgenutzte Holzbänke, zwei Tische, ein paar leere Aluminiumdosen dienen als Aschenbecher. Es warten schon einige Leute hier, und es ist heute, wie es auch sonst ist: Wenn jemand Neues den Raum betritt, starren die einen der bereits Wartenden über hängenden Schultern schweigend und beharrlich auf irgendeinen Schmutzfleck an der Decke, die anderen sagen ein komplizenhaftes "Guten Morgen", legen ein Verständnis in ihre Gesichter und suchen lächelnd den Augen-Blick des neuen Wartenden. Ich sage ein ganz betont gutgelauntes "Hallo" mit breitem Grinsen, ziehe ganz betont zielstrebig meine Wartenummer -die Elf- aus dem alten Holzkästchen, das an einer der Wände hängt, setze mich ganz betont schwungvoll auf eine der Bänke und zünde mir ganz betont genüsslich eine Zigarette an. Tatsächlich ist meine Stimmung sehr hell: Ich freue mich, Sven wiederzutreffen, vier Wochen ist es jetzt her, dass wir uns gesehen haben, ich freue mich mit fröhlichem Herzklopfen, und ich denke, auch Sven ist voller Vorfreude jetzt, und ich weiss, seine Freude gilt auch dem kleinen Geschenk, von dem er weiss, dass ich es mitbringe, intra*** Milchglas ***l sozusagen, bestens versteckt vor den grapschenden Fingern der Besucherkontrolleure; einen kleinen Tampon habe ich gebaut, mit dem originalen, lindgrünen o.b.-Rückholbändchen, ein Tampon aus einigen Schichten weicher Klarsichtfolie, drinnen stecken, fein säuberlich kleinstgefaltet und plattestmöglich gedrückt, zwei Fünfzig-Euro-Scheine und zwei Gramm wirklich feines Gras. Bargeld ist immer gut, im Knast, weil kaufen kann man da wohl alles, nur eben Bargeld braucht man, und das hat man als Inhaftierter ja offiziell nicht. Und Gras, da kann Sven sich wenigstens dann und wann wegträumen, für eine Weile, denke ich und bin überhaupt nicht nervös, auch wenn ich in wenigen Minuten eine Grenze des hierzulande Erlaubten überschreiten werde: Ich finde nicht unrecht, was ich tue, und drinnen bei den Besuchsräumen ist eine Toilette, dort kann ich in Ruhe meine Mitbringsel für Sven auspacken, und eine versteckte Kamera habe ich dort nach eingehendem Suchen nicht entdecken können (auf öffentlichen oder Kneipen-Toiletten suche ich immer erst nach einer eventuell vorhandenen Kamera, bevor ich dort uriniere oder sonst irgendetwas veranstalte). Bislang hat man mich nicht erwischt mit meinen kleinen Mitbringseln. Was ich tue, ist in Ordnung, denke ich jetzt, ich mache Sven ein Geschenk, eine Freude, und deshalb wird´s auch funktionieren.

Sven. Er ist hier im Knast, weil er eine deutliche Grenze ganz gewaltig überschritten hat, mit Gewalt; ein anderer Mensch, ein anderer Körper, ein anderes Leben. Völlig untypisch für Sven, der ist wohl immer ganz gewaltig gewesen mit seinem Mund, aber körperliche Gewalt, bis dahin noch nie, und ich kann es mir bis heute nicht wirklich vorstellen, vielleicht will ich es nicht. Sven sagt, er ist über diese Grenze gegangen, oder besser, er hatte es versucht, es ist ja beim Versuch geblieben, aber trotzdem: Das war nicht korrekt und deshalb ist es eben in Ordnung, dass er nun hier einsitzt.
Ich muss an Andi denken, meine zweite grosse Liebe, und dass ich ihm einmal, während eines Streits, beinahe ein Pizzamesser in den Rücken gerammt hätte: Er wollte an jenem Abend einfach nicht mehr weiterstreiten mit mir, hatte sich auf die Couch gelegt und mir den Rücken zugedreht und geschwiegen. Diese Nichtreaktion auf meine Streitlust hatte mich auf ohnmächtige Weise wütend gemacht, und dann stand ich da mit diesem Pizzamesser und habe weitausgeholt und erst im letzten Augenblick schoss mir durch den Kopf: "Von hinten abstechen ist feige", da habe ich gerade noch meine Hand mit dem Messer umlenken können und habe mir die Klinge in den eigenen, linken Unterarm gehackt. Zweimal. Schmerzen hatte ich erst am nächsten Tag, als ich wachwurde mit diesen verkrusteten, am Rand geschwollenen Stichwunden. Im Augenblick des Tuns aber war es eher angenehm, eine Erleichterung, ein Wegnehmen von Spannung. Mein Psychiater meinte, das nun sei nicht wirklich normal, aber ich denke, es ist die alte Sache, ich meine: Das Ziehen von Grenzen, -wer?, -wo?, ... -

Jetzt dröhnt eine männliche, gelangweilt klingende Stimme draussen aus einem Lautsprecher: "Die Nummer eins bitte", und eine junge Frau mit Kind setzt sich in Bewegung. Ich muss also noch eine Weile warten, bis ich drankomme mit meiner Nummer elf, ich rauche eine Zigarette nach der anderen und puste den Rauch zwischendurch in Richtung der beiden Kameras, die zur Überwachung in diesem schäbigen Raum hängen. Als endlich meine Nummer elf aufgerufen wird, ist es fünf nach zehn. Ich gehe eilig aus der Wartebaracke hin zum Haupteingang, grinse in die dort über der schweren, doppelflügigen Eisentür hängende Kamera, und werde hineingelassen. Beim Beamten am Eingang gebe ich meine Karte mit der Wartenummer, die Besuchserlaubnis, meinen Personalausweis und mein Handy ab und werde dann weitergeschickt durch eine grossgaragenartige Halle, muss vor zwei schweren, verschlossenen Eisentüren jeweils warten, bis sie von der anderen Seite aufgeschlossen werden, und lande schliesslich bei zwei Beamtinnen; die Rotgefärbte fragt mich unfreundlich: "Wen besuchen Sie?", und ich antworte freundlich: "Ich besuche Herrn Sven Weigel", und die Rotgefärbte schaut zu ihrer brünetten Kollegin und wiederholt mit vielsagendem Blick: "Den Weigel, von der Sieben"; daraufhin bugsiert mich die Brünette recht rüde in eine Ecke des Raumes, sie zieht einen Vorhang zu, jetzt bin ich mit ihr allein, sozusagen, und sie checkt mich reichlich ruppig durch: Greift mir in den BH und in den Hosenbund, tastet meine Beine ab, den rechten Stiefel muss ich ausziehen, die Beamtin kontrolliert, ob irgendetwas im eventuell hohlen Absatz steckt, aber Fehlanzeige; sie kramt in meinen Hosentaschen, da findet sie einen Streifen Kaugummi, den hält sie mir vor die Nase und fragt: "Wollen Sie gleich wieder nach Hause fahren? Sie dürfen hier nichts einbringen, jedenfalls nicht ohne Genehmigung!", und ich sage, dass das ein Versehen sei; dafür ernte ich einen bösen Blick, und das Kaugummi landet im Papierkorb. Dann sieht die Beamtin die Ringe an meinen Fingern und findet sie "irgendwie seltsam", und ich muss sie ausziehen und in den Spind einschliessen, in dem auch meine Jacke und meine Tasche verstaut werden. Sechs Euro in Münzen kann ich einbringen, um während des Besuchs Getränke aus dem Automaten zu kaufen, und für sechzehn Euro kann ich Tabak oder Süssigkeiten für den Gefangenen ziehen. Die Beamtin starrt mir auf die Finger, während ich die Münzen in den Tabakautomaten einwerfe. Als sie dann die Tür zum Besucherraum aufsperrt, fragt sie mich noch, ob ich dieses A****loch wirklich besuchen will, ob ich nichts Schöneres zu tun weiss, und ich muss mir alles Mögliche verkneifen, Tränen und Fluchen und einen Faustschlag in das dämliche Gesicht dieser Staatsdienerin. (Jetzt bin ich nicht mehr viele Minuten entfernt von diesem Kotzreiz, der mich für den Rest des Tages treu begleiten wird, und nicht mehr weit entfernt von diesem scheusslichen Geräusch, dem Krachen von Knochen, das mir bis heute in den Ohren schmerzt).

Dann bin ich im erstaunlich freundlich eingerichteten Besucherraum, weisse Wände und bunte Bilder, einige Inhaftierte (man erkennt sie an der hier hellblauen und ungebügelten Anstaltskleidung) sitzen schon mit ihrem Besuch an kleinen Tischen. Sven ist noch nicht da. Es ist jetzt bereits kurz nach halb elf, und das trödelige Abfertigen durch die Beamten hat uns wieder eine halbe Stunde Zusammensein gekostet, dranhängen kann man die Zeit nicht, Ende ist brutal um halb zwölf. Ich warte und in meine Wiedersehensfreude mischt sich Ärger. Eine Eisentür geht auf, und endlich, der Sven. Eigentlich gutgebaute Einmeterneunzig, leicht gebräunt und schöne blaue Augen, schwarze Haare, kinnlang und nach hinten frisiert, schwarze Klamotten und silberne Ringe an den schlanken Fingern, polierte Nägel.
Jetzt ist er abgemagert, wirklich dünn, steckt wie falsch in dieser hellblauen Anstaltskleidung, die Haare strähnig über einem gräulich-fahlen Gesicht, die Augen ohne Glanz. Wir trinken ein Automaten-Getränk, das "Kaffee" heisst und nach "Scheusslich" schmeckt. Rauchen ist hier verboten.
Sven erzählt wieder von seinem Tun, von dem, was ihn hierher gebracht hat, und es ist ein lautes Nachdenken, und er weiss nicht, welcher Teufel, welcher Teufel ihn da geritten hatte. Er erzählt wieder von Grenzen, von der Grenze, die er überschritten hat, eine Grenze, an der seine eigene persönliche Freiheit endet und die eines anderen beginnt. Er erzählt, dass hier, an diesem Ort, solche Grenzen scheinbar gar nicht existieren. Dass er sich auf den nächsten Monat freut, weil er da verlegt werden wird auf eine Station, in der er eine Einzelzelle bewohnen wird. Wohngruppe und Anti-Aggressions-Training. Einen
Job in der Anstaltsbücherei kann er dann auch antreten. Ich freue mich für ihn und sage, dass das doch immerhin ein schöner Lichtblick ist. Sven starrt auf den Becher in seiner Hand, er erzählt, dass er wirklich froh ist, nun von dieser Vierer-Zelle wegzukommen, von diesen drei russischen Männern, "Russen-Tiere" nennt er die, und er hat rötliche Flecken im fahlen Gesicht, als er mir sagt: "Stell´ Dir vor, diese drei Tiere steh´n vor dir, gross und wirklich Tiere, und sie geben dir die Wahl: Entweder, du rutscht auf Knien vor Ihnen herum und putzt die Zelle, putzt das Klo mit deiner Zahnbürste und musst die Zahnbürste anschliessend wieder benutzen, für deine Zähne, ich meine: wirklich, das ist kein Scheiss!; oder, du rutscht auf den Knien vor diesen drei Tieren und musst sie oral befriedigen, einen nach dem anderen. Und wenn du beides nicht willst, wirst du halbtot getreten, immer wieder, und du kannst gegen die Zellentür hämmern und um Hilfe schrei´n, aber niemand wird dir helfen, keiner von den anderen und erst recht kein Beamter, die mischen sich da nicht ein, ausserdem haben die hier viel zu viel Angst vor den Russen... also, ich hatte die Wahl, entweder auf Knien rutschen und putzen oder auf Knien rutschen und Russen-Schwänze blasen..."
Ich trinke gerade einen Schluck des Getränks, das "Kaffee" heisst und nach "Scheusslich" schmeckt, und mein Magen will sich umdreh´n, Kotzreiz. Ich frage Sven nicht, wofür er sich entschieden hat. Er redet weiter: "Stolz und Würde. Wenn ich noch mal in der Situation wäre, dann würd´ ich mich lieber treten lassen. Dann wär´ ich im schlimmsten Fall eben tot". Sven´s Augen gehen unruhig durch den Raum, machen die Bewegung von Suchen, eine Unruhe, aber es ist nur dieses mechanische Hin- und Her der Augen, die Augen selbst werfen keinen Inhalt mehr in den Raum, keine Sehnsucht keine Hoffnung keinen Schmerz. "Ich zieh´ uns noch einen Kaffee", sagt er dann und steht auf und geht zum Automaten, so aufrecht wie üblich, innendrin jedoch zusammengefallen, und als ich ihn dort stehen sehe, am Automaten, so dünn, so bleich, höre ich dieses Geräusch, ein Brechen von Wirbeln, und ich weiss, das ist sein Rückgrat; lieber tot sein, hat er gesagt, und ich habe Angst- wie er da steht, leeren Blickes, eine Hülle nur noch, geknickt, das Klo die Zahnbürste und Russen-Schwänze, dieser Kotzreiz und ein Schmerz in den Ohren, Sven, sein Rückgrat, das Krachen von Knochen -- und wenig später, als ich mich von Sven verabschiedet habe, muss ich ihm nachgeben, diesem Kotzreiz, und ich spucke der rotgefärbten Beamtin einen schnellen Schwall direkt auf die Schuhe. -

wortungen - Texte von Mone Hartman





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