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-- Prosa
--- Krönung. Eine Verneigung.

Wittgenstein - 16.11.2006 um 21:51 Uhr

Nachdem er seine Fehler ausgebessert hatte – seine Zukunft hatte jetzt wieder die dralle Form eines geflickten Autoreifens – wandte er sich wieder anderen Dingen zu. Er wandte den Kopf nach links, sich bewusst des Umstandes, in diesem Zustand nur spärliche Bewegungen machen zu können, da sein Nacken von seiner stetigen Überforderung als Wendehals noch nicht wieder erholt hatte. Es galt also in diesem Nacheinander, in diesem Nach-dem-Früher-Sein eine Betätigung, eine Selbstbeschreibung zu finden, die ihn wieder an das eigentliche Sein ankoppeln würde. Dieses Nach-dem-Früher-Sein bildete eine riesige, in ihrer eigentlichen Konsistenz fäulige Gasblase, die seinen Kopf von einem Ohr rund um seinen Hinterkopf herum einrahmte und seine Mitmenschen in doppelter Weise belästigte. Es war ihnen ein Gräuel in den Augen, da sie den Anblick, schon das Auftauchen seines Kopfes in ihren Blickfeldern, aus der Gleichmütigkeit riss, da die Gasblase nicht zu den Formen und Urmetern menschlicher Köpfe passte, die in ihren Köpfen gespeichert waren. Man könnte sagen, die Gasblase verlieh ihnen schlechte Augenblicke. Zweitens verbreitete die Gasblase einen üblen Geruch, gleich einem Schweinetransporter, der durch den Hafen von Monte Carlo fährt. Das besondere an diesem Schweinetransporter war jedoch, dass die Schweine den Transport potentiell überleben konnten, da die Bilder der Schweine erst durch die Imagination entstanden, die sein Geruch in ihren Köpfen auslöste. Sie hatten es also in der Hand, in ihrer Phantasie den Schweinen, ein artgerechtes Leben zukommen zu lassen – zum Beispiel auf einem Biobauernhof im Kärntner Gailtal.
In dieser Situation plagte ihn die Frage, wovor man sich in einer Welt noch verneigen soll, die in ihren Gedanken den Kopf so tief dem Dreck am Boden annähert, dass ein weiteres Nach-unten-Bewegen des Kopfes zwangsläufig schwere Gesichtsverletzungen nach sich ziehen würde. Die Welt bestach vor allem dadurch, dass Demut – eingepflanzt in die Gehirne und Leibe der Männer und Frauen durch Jahrhunderte katholisch-moralischer Systemtheorie – zu Gesichtsverletzungen würde. Ein kurzes „Ich bewundere Ihre Aufrichtigkeit“, schon würden dem Urheber des Satzes mehrere Zähne durch das Aufschlagen am Asphalt der Gesellschaft fehlen. Den Asphalt würden für einige Zeit stetig verblassende Blutflecken markieren, im Mund des mutigen Sprechers, der in seiner Vorstellung für Würde kämpft, jedoch bestünde Anlass zu einem gröberen und schmerzhaften zahnmedizinischen Aktionspaket, um sein Gebiss auch in Zukunft noch zubeißen lassen zu können. Der einzige Gewinner der Welt war also der gesellschaftliche Punkt, an dem über zahnmedizinische Eingriffe an mutigen Menschen entschieden wurde. Ganz zu schweigen von zahnmedizinischen Eingriffen an glücklichen Schweinen auf Biobauernhöfen im Kärntner Gailtal.
Wie sollte in so einer Welt – liebe LeserIn das wirst auch du dich fragen – eine Krönung von krönenswerten Menschen stattfinden? Gekrönte Häupter erhalten ihre Besonderheit erst dadurch, dass man sich vor ihnen verneigt. Wie soll man dieses Falle – man könnte beinahe behaupten, die Menschen lebten wie glückliche Schweine auf einem Biobauernhof im Kärntner Gailtal und hatten ihren Schweinekönig noch nicht gekrönt, da sie bei seiner Huldigung mit ihren Rüsseln lediglich in den Mist des Schweinekobens gefahren wären – überwinden? Er wusste keine genaue Lösung für dieses Problem zeitwirksamer Krönungszeremonien. Er entschied sich dafür, sich vor sich selbst zu verneigen, nachdem er sich eine Krone aus glänzendem Staniolpapier gefertigt hatte. Regieren musste er somit nur mehr über sich selbst, Schweinereien waren damit vorerst auf die nächste Zeit verlegt.




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